Der bundesweite Start der ePA steht nun unmittelbar bevor. Darauf, dass die ePA nicht nur neue technische Möglichkeiten mit sich bringt, sondern in ihrer Anwendung auch neue rechtliche Pflichten für die Behandlerseite nach sich zieht, soll im folgenden Beitrag überblicksartig eingegangen werden.
Pflichten aus dem Behandlungsvertrag
Neben ihrer Kernpflicht, eine medizinische Behandlung am Patienten „lege artis“ (= nach den Regeln der ärztlichen Kunst) durchzuführen, trifft die Behandlerseite gegenüber dem Patienten eine ganze Reihe weiterer wichtiger Pflichten (z. B. Aufklärungs- und Dokumentationspflicht). Den Patienten hingegen treffen – bis auf die Zahlung der Behandlung (meistens erfüllt durch die KK) – eher wenige Pflichten gegenüber dem Behandler (§ 630 c BGB sagt lediglich, dass er und der Behandler bei der Behandlung „zusammenwirken sollen“). Im Zuge der Einführung der ePA und ihrer speziellen Anwendungen entstehen jetzt neue bzw. modifizierte Pflichten für die Behandlerseite.
Pflicht zur Einsichtnahme in die ePA?
Fraglich ist zunächst, ob der Behandler die gesamte ePA kennen muss. Diese Frage wird man sicherlich verneinen können, denn abgesehen davon, dass dazu in der Praxis überhaupt keine Zeit sein dürfte, wird dies auch rechtlich nicht von der Behandlerseite verlangt. Es gibt keine einklagbare Pflicht gegenüber dem Patienten, die gesamte Krankengeschichte zu kennen. Allerdings liegt es im eigenen Interesse des Behandlers, eine umfassende Anamnese durchzuführen, um in der Folge eine korrekte Diagnose stellen und eine passende Therapie verordnen zu können. Die KBV schreibt in ihrem PraxisInfoSpezial (aus Januar 2025) mit dem Titel „Die elektronische Patientenakte ab 2025 Basisinformationen zu Aufgaben, Pflichten und Zugriffsrechten“ es gäbe keine Verpflichtung zur anlasslosen Einsichtnahme:
„Eine anlasslose Ausforschungspflicht, also dass der Arzt oder Psychotherapeut routinemäßig in die ePA schauen muss, gibt es nicht. Grundlage der ärztlichen Behandlung bleibt das anamnestische Gespräch. Hieraus können sich Umstände ergeben, die eine Einsichtnahme erforderlich machen – eine Patientin mit Oberbauchschmerzen weist zum Beispiel auf einen aktuellen Befund einer kürzlich durchgeführten Magenspiegelung hin. Der Arzt kommt seiner ärztlichen Sorgfalt nach“.
Diese Informationen bedarf einer Klarstellung: Da es eher selten bis nie ein anlassloses Aufsuchen des Arztes geben wird, wird es auch selten bis nie zu einer anlasslosen Ausforschung der Patientenakte kommen – im Umkehrschluss wird der Behandler ergänzend zum anamnestischen Gespräch von sich aus und gezielt (etwa über die Suchfunktion oder idealerweise über ein Software-gestützte Anwendung, welche die Informationen aus der ePA aufbereitet) nach Befunden suchen, die im Kontext der geschilderten Beschwerden stehen. Bei Patienten mit besonderen Bedarfen (etwa sehr alte oder unter Betreuung stehende Menschen) wird dies erst recht gelten. Es muss klar sein, dass ePA zu einem Befunderhebungs- und Diagnosefehler führen kann, wenn relevante Informationen aus der Krankengeschichte bei der Behandlung keine Beachtung finden. Der Arzt wird sich auch nicht auf den Standpunkt stellen dürfen, der Patient habe einen bestimmten Befund unerwähnt gelassen. Denn möglicherweise ist der Patient als medizinischer Laie überhaupt nicht in der Lage, diesen Befund in Verbindung mit seinen aktuellen Beschwerden zu bringen. Und ohne Beschwerden kommt der Patient ja eher selten zum Arzt.
Pflicht zur Aufklärung?
Im Zuge der Nutzung der ePA sind auch im Bereich der ohnehin schon sehr umfassenden Aufklärungspflichten für die Behandlerseite (man denke nur an die Sicherungsaufklärung, die Therapeutische Aufklärung und die Wirtschaftliche Aufklärung) weitere ePA-spezifische Aufklärungspflichten hinzugetreten. Dies betrifft vor allem die Aufklärung des Patienten über sein Widerspruchsrecht, bestimmte Daten nicht in die ePA aufzunehmen. Gegen das Einstellen von einzelnen Informationen und Dokumenten kann der Patient direkt in der konkreten Behandlungssituation widersprechen. Darüberhinausgehend kann das Widerspruchsrecht direkt in der ePA-App, bei der Ombudsstelle oder bei der Krankenkasse ausgeübt werden.
Pflicht zur Dokumentation?
Korrespondierend mit der erweiterten Aufklärungspflicht ergibt sich auch eine entsprechend erweiterte Dokumentationspflicht für die Behandlerseite. Widerspricht der Patient/die Patientin der Aufnahme von Informationen in die ePA, ist dies zu dokumentieren. Aus Beweissicherungsgründen ist zudem zu dokumentieren, dass über das Widerspruchsrecht aufgeklärt wurde. Besonders bedeutsam sind Aufklärung und Dokumentation bei hochsensiblen Daten, etwa bei psychischen oder sexuell übertragbaren Krankheiten sowie bei Schwangerschaftsabbrüchen, da diese ein potenzielles Risiko von Diskriminierung und Stigmatisierung mit sich bringen. Ergebnisse von genetischen Untersuchungen oder Analysen nach dem Gendiagnostikgesetz hingegen dürfen von vornherein nur bei positiver Einwilligung der Patientenseite in die ePA aufgenommen werden. Die Einwilligung hierüber muss in schriftlicher oder elektronischer Form vorliegen und ebenfalls dokumentiert werden.
Fazit
Die ePA ist eine patientengeführte Akte. Sie soll die Behandlungsdokumentation erleichtern, jedoch nicht ersetzen. Sie bringt zahlreiche Vorteile im Umgang mit Patientendaten, birgt aber auch rechtliche Risiken. Die neuen bzw. modifizierten Pflichten für die Behandlerseite sind unbedingt zu beachten, um Haftungsrisiken – insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Beweisnot im Gerichtsprozess – zu vermeiden.