10. Februar 2023

Was sich auf den ersten Blick für einen bösen Scherz anhört, wurde für eine Ärztin bittere Realität. Der dritte Senat des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts hatte am 15.12.2022 über die Frage der Zulässigkeit eines rein digitalen Praxissitzes und der dort ausgeübten Praxistätigkeit zu entscheiden. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass kraft Gesetzes die zur Entscheidung stehenden Ausgestaltung nicht zulässig ist und bestätigte im Ergebnis den wegen der Ausübung rein digitale Medizin ausgesprochenen Approbationsentzug der Behörde.

Wir berichten im Einzelnen:

Die Besonderheiten des Falles

Es handelte sich um eine Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, die bis zum Jahr 2013 als Ärztin in vertragsärztlicher Praxis niedergelassen war. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung war sie rein privatärztlich tätig.

Die Ärztin war für die Dr. A. GmbH, einem telemedizinischen Dienstleister, tätig, deren Gründer und Geschäftsführer ihr Sohn war. Das Geschäftsmodell der Dr. A. GmbH besteht in der Entwicklung und Vermarktung von Software für die telemedizinische Diagnose, Therapieempfehlungen und gegebenenfalls Krankschreibung von Patienten, insbesondere wegen Erkältungssymptomen. 

Die von der Dr. A. GmbH betriebene Website ermöglichte dem Nutzer dabei vorwiegend eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (im Folgenden: AU-Bescheinigung) ausschließlich auf elektronischem Wege zu erhalten. Hierfür tätigte der Nutzer einige Angaben in Form eines vorgefertigten Fragen-/ Antwortkatalogs auf der Webseite. Nach Abschluss der persönlichen Angaben wurden diese von der Ärztin ausgewertet und nach entsprechender Feststellung unterzeichnete die Ärztin für die Dr. A. GmbH die jeweiligen AU-Bescheinigungen. Zu einem persönlichen Kontakt zwischen der Ärztin und dem Patienten ist es dabei nicht gekommen. Noch wurden die Antworten in andere Weise belegt.

Darüber hinaus konnten über die von der Dr. A. GmbH betriebene Webseiten Online-Corona-Selbsttest-Zertifikate erlangt werden. Für den Erhalt eines Zertifikats war die Angabe, man habe sich selbst negativ getestet, ausreichend. Ohne ärztliche Rücksprache wurde ein Zertifikat mit der Unterschrift nebst Praxisstempel der Ärztin generiert und dem Empfänger per E-Mail zugesandt.

Das Verfahren zur online Krankschreibung bzw. digitale Medizin

Das Hamburgische Berufsgericht für die Heilberufe erteilte der Ärztin mit Urteil vom 27. Oktober 2021 wegen Berufsvergehen einen Verweis und erlegte ihr eine Geldbuße von 6000,- Euro auf.

Zur Begründung führte das Gericht an, dass sich die Ärztin nach § 25 Satz 1, § 7 Abs. 3, § 2 Abs. 2, § 17 Abs. 1 und § 21 der Berufsordnung der Hamburger Ärzte und Ärztinnen i.V.m. § 27 Abs. 3 Nr. 1 des Hamburgischen Kammergesetzes schuldig gemacht, indem sie ohne persönlichen Kontakt AU-Bescheinigungen ausgestellt habe.

Zudem widerrief die zuständige Approbationsbehörde mit Bescheid vom 21. Januar 2022 die Approbation der Ärztin und ordnete die sofortige Vollziehung an.

Die Entscheidung

Das Gericht bestätigte die Entscheidung der Approbationsbehörde und bestätigte damit den Widerruf der Approbation.

Nach Ansicht des Gerichts hat sich die Ärztin mit ihrem Verhalten als berufsunwürdig erwiesen. Das Gericht stellte darauf ab, dass die Ärztin über mehrere Jahre in einem automatisierten Verfahren über das Internet massenhaft AU-Bescheinigungen gegen Entgelt unter ihrem Namen ohne verlässliche Prüfung ausgegeben habe.

Dabei sei die Ausstellung von mit ihrer Unterschrift versehenen AU-Bescheinigungen erfolgt, ohne dass sie jemals mit den betreffenden Personen wegen ihrer angegebenen Erkrankungen persönlich, per Videoschaltung oder per Telefon in Kontakt getreten sei. Die Bescheinigungen seien allein auf der Grundlage einer formularmäßigen Beantwortung einiger Fragen auf der Internetseite des Unternehmens des Sohnes ausgegeben worden.

Mithilfe des automatisierten Verfahrens habe jede interessierte Person ohne Weiteres unabhängig von einer tatsächlich vorliegenden Erkrankung über das Internet eine AU-Bescheinigung der Antragstellerin erwerben können.

Fazit: digitale Medizin ohne Patientenkontakt

Telemedizinische Anbieter sind auf dem Vormarsch; und das ist auch gut so. Die Telemedizin hat viele positive Aspekte, angefangen von einer Versorgungsverbesserung auf dem Land, weniger Fahr- und Wartezeiten für Patienten, weniger Ansteckungsgefahr etc.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung der Telemedizin bzw. digitale Medizin müssen allerdings beachtet werden, sonst droht für ÄrztInnen, wie der Fall anschaulich zeigt, ein Widerruf der Approbation und damit faktisch ein Berufsverbot.

Sicherlich sind die rechtlichen Rahmenbedingungen der Telemedizin starr und überarbeitungsbedürftig. Allerdings muss ein Mindestmaß der ärztlichen Verantwortung, wie z.B. eine Möglichkeit den Patienten per Videosprechstunde behandeln zu können, gewahrt werden. Die rechtlichen Regelungen sind nach wie vor so ausgestaltet, dass die Telemedizin (nur) unterstützend eingesetzt werden darf.

Und für Deutschland heißt es nach wie vor: Es müssen endlich die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um telemedizinische Modelle (digitale Medizin) zu ermöglichen. Es sollte meines Erachtens mehr auf die Verantwortlichkeit eines einzelnen Arztes abgestellt werden. Wenn ein Arzt / Ärztin die Telemedizin für sinnvoll erachtet, sollte er sie auch durchführen dürfen.

Insofern sollte jeder telemedizinischer Anbieter sein Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen. Dies insbesondere deshalb, um ÄrztInnen nicht der Gefahr des Berufsverbots auszusetzen. Wenn Sie Fragen haben, fragen Sie uns.

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