In der „Corona-Krise“ überschlagen sich die Ereignisse. Kürzlich hatten wir hier auf dem Blog noch in den Blick genommen, wie sich Zahnärztinnen und Zahnärzte vor einer Haftung wegen Corona-Infektionen schützen können. Inzwischen wird nicht mehr nur die Haftung diskutiert, sondern ob es Zahnärzten überhaupt behördlich gestattet ist, weiterhin in selbstgewähltem Umfang zu praktizieren. Auslöser dafür war ein Rundschreiben der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KZVN) vom 27.03.2020. Diese wies auf die Regelung in § 3 Nr. 3 der niedersächsischen Corona-Verordnung hin, nach der nur zulässig sei:
„die Inanspruchnahme ambulanter und stationärer medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen wie Arztbesuche oder medizinische Behandlungen sowie der Besuch bei Angehörigen medizinischer Fachberufe, insbesondere der Bereiche Psycho- und Physiotherapie, soweit dies medizinisch dringend erforderlich ist;“
Dies wird seitens der KZVN offenbar so ausgelegt, dass jede medizinische Behandlung – also auch eine zahnärztliche – „medizinisch dringend erforderlich“ sein muss. Zudem kontrollierten einige Gewerbeaufsichtsämter, ob in Zahnarztpraxen noch PZR-Behandlungen durchgeführt wurden, da diese nicht unter diese Kategorie fielen. Am Ende des Schreibens konstatiert die KZVN, dass letztlich der Zahnarzt entscheiden müsse, was „medizinisch dringend erforderlich“ ist. Hintergrund sei, den Schutzkleidungsverbrauch zu minimieren.
Fraglich ist, wie sich eine Zahnärztin oder ein Zahnarzt nach einer solchen Information aber verhalten soll. Wenn „medizinisch dringend erforderlich“ bedeutet „auf Leben und Tod“ dürfte dies nur in den seltensten Fällen in Zahnarztpraxen der Fall sein. Vermutlich wird man davon ausgehen müssen, dass nur noch Schmerz- und Entzündungsbehandlungen möglich sind, vielleicht auch die Beendigung von Zahnersatzarbeiten, wenn der Patient ansonsten gravierende Nachteile hätte. Professionelle Zahnreinigung oder gar Bleaching wären nicht mehr möglich; das Beginnen von Zahnersatzbehandlungen sehr fraglich.
Rundschreiben der KVZN glücklich formuliert?
Zudem stellt sich die Frage, ob das Rundschreiben der KZVN sehr glücklich formuliert war. Es scheint fast so, dass damit (ohne Not) ein Einzelproblem einzelner Gewerbeaufsichtsämter zu einer Angelegenheit von landesweiter Tragweite gemacht wurde. Umso mehr, als eine andere Auslegung durchaus möglich wäre: Durch das Wort „sowie“ könnte auch ausgedrückt werden, dass sich das Kriterium „medizinisch dringend erforderlich“ nur auf den Besuch bei Angehörigen medizinischer Fachbesuche, nicht jedoch auf die Inanspruchnahme ambulanter medizinischer Versorgungsleistungen bezieht.
Für letzteres spricht auch der Rechtsvergleich, wenn man einen Blick in andere Bundesländer wirft: In Bayern ist die Regelung in § 1 Abs. 5 nämlich sehr ähnlich, dort stehen die „Psycho- und Physiotherapeuten“ allerdings in Klammern hinter „medizinisch dringend erforderlich“.
In Nordrhein-Westfalen gibt es zu Arzt- und Zahnarztterminen gar keine expliziten Regelungen. Hier findet sich in § 7 Abs. 3 S. 2 der Landesverordnung nur Folgendes:
„Therapeutische Berufsausübungen, insbesondere von Physio- und Ergotherapeuten, bleiben gestattet, soweit die medizinische Notwendigkeit der Behandlung durch ärztliches Attest nachgewiesen wird und strenge Schutzmaßnahmen vor Infektionen getroffen werden.“
Auch in der kommunalen Praxis werden nach Kenntnis des Verfassers ausschließlich derartige Praxen kontrolliert, nicht Arzt- und Zahnarztpraxen.
Hessen hingegen trifft zur ambulanten Versorgung gar keine Regelungen, hat allerdings verordnet, dass in Krankenhäusern, Privatkliniken oder Einrichtungen des ambulanten Operierens alle nicht dringend medizinisch notwendigen Eingriffe und Behandlungen nicht mehr durchgeführt werden dürfen.
Fazit zu „medizinisch dringend erforderlichen“
Festzuhalten ist: Es ist ein ziemlicher Wirrwarr entstanden, was im Gesundheitswesen noch erlaubt ist, zumal die Kategorie des „medizinisch dringend erforderlichen“, gerade in ordnungsrechtlichen Zusammenhängenden, bisher noch nicht ausreichend definiert oder gar mit Fällen oder Beispielen unterfüttert ist. Gerade in Niedersachsen sollte man allerdings bei allen Behandlungen, bei denen kein unmittelbarer Behandlungsbedarf vorliegt, sehr vorsichtig sein. Dies wird bei Behandlungen, wo Risikogruppen betroffen sind, noch einmal gesteigert.
Ansonsten müssen die entsprechenden Behandlungen im Einzelfall beurteilt werden. Grundsätzlich muss hier der Zahnarzt entscheiden wie weit er geht. Dies sollte er zudem gut dokumentieren, um in einem etwaigen Bußgeldverfahren – wo diese Frage ggf. gutachterlich beantwortet wird – gewappnet zu sein. Eine Anwendungshilfe haben auch das IDZ und die KZBV erstellt. Diese sind aber nicht rechtsverbindlich und gelten nur vor der Hintergrund der landesrechtlichen Regelungen.