Am 8. August 2025 hat das Arbeitsgericht Hamm (Urt. v. 08.08.2025, Az. 2-CA -182/25) die Klage des Gynäkologen und Chefarztes Prof. Dr. Joachim Volz gegen seinen neuen Arbeitgeber, einen katholischen Klinikträger, abgewiesen. Hintergrund waren die dienstlichen Weisungen, die ihm untersagten, sowohl in der Klinik Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen als auch in seiner eigenen Praxis– mit Ausnahme von Notfällen, in denen Leib oder Leben der Mutter in Gefahr sind. Diese Weisung wurde nach der Übernahme des Hauses durch den katholischen Träger erlassen.
Das arbeitgeberseitige Direktions- und Weisungsrecht nach § 106 GewO
Nach § 106 Gewerbeordnung (GewO) kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach „billigem Ermessen“ näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht bereits durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dieses sogenannte Direktions- und Weisungsrecht umfasst nicht nur organisatorische Anweisungen (z. B. Schichtzeiten, Dienstpläne), sondern auch grundsätzliche unternehmerische Entscheidungen, so etwa welche Behandlungsmethoden eine Klinik anbietet.
Die Grenzen ergeben sich aus dem Grundsatz des billigen Ermessens: Der Arbeitgeber muss bei seiner Weisung sowohl seine eigenen Interessen als auch die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen. Bei kirchlichen Einrichtungen spielt zusätzlich die verfassungsrechtlich geschützte Religionsfreiheit (Art. 4 GG) eine wichtige Rolle, die ihnen ermöglicht, die Arbeit nach ihren Glaubensgrundsätzen zu gestalten. Für den Arbeitnehmer streitet – insbesondere, wenn sich die Weisungen bis hin zu Nebentätigkeiten erstrecken – die Berufsfreiheit (Art. 12 GG).
Direktionsrecht in der Praxis – Beispiele
So wirkt sich § 106 GewO konkret aus
- Zulässig:
- Festlegung des Dienstplans und der Einsatzorte innerhalb des vertraglich vereinbarten Rahmens.
- Vorgabe bestimmter Arbeitsmethoden oder Standards (z. B. Hygieneprotokolle im OP).
- Anordnung, bestimmte Behandlungen nicht durchzuführen, wenn diese der Betriebsausrichtung widersprechen (z. B. in kirchlichen Krankenhäusern).
- Nicht zulässig:
- Weisungen, die gegen Gesetze verstoßen (z. B. Anordnung zu einer medizinisch nicht indizierten und strafbaren Handlung).
- Änderungen, die den vertraglich vereinbarten Tätigkeitsbereich wesentlich überschreiten (z. B. Versetzung einer Chefärztin dauerhaft in die Pflege ohne Vertragsergänzung).
- Eingriffe in das Privatleben oder die selbstständige Nebentätigkeit, sofern keine berechtigten Arbeitgeberinteressen bestehen.
Juristische Einordnung des Urteils
Dass ein katholischer Arbeitgeber Behandlungsmethoden ausschließt, die mit seinen ethischen Grundsätzen unvereinbar sind, überrascht nicht. Die ärztliche Therapiefreiheit unterliegt allerdings nicht dem arbeitgeberseitigen Weisungsrecht, sondern soll eine rein medizinische Entscheidung des behandelnden Arztes sein. Das Gericht hat hier wohl allerdings keine therapeutische Entscheidung gesehen, sondern die unternehmerische Seite gewertet, nach der bestimmte Leistungen in der Klinik – außer in medizinischen Notfällen – nicht erbracht werden. Zumindest arbeitsrechtlich ist dies grundsätzlich nachvollziehbar.
Verbot auch in der Privatpraxis
Juristisch spannender ist hingegen die Ausweitung des Verbots auch auf die Privatpraxis des Chefarztes. Zwar darf ein Arbeitgeber Nebentätigkeiten untersagen, wenn sie gegen berechtigte Interessen des Arbeitgebers verstoßen, etwa durch Imageschäden oder Loyalitätskonflikte. Doch hier greift das Verbot unmittelbar in die selbstständige Berufsausübung ein, was einer besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegt. Nach der getroffenen Entscheidung scheint für das Gericht wieder einmal die Religionsfreiheit und das damit einhergehende Arbeitgeberimage schwerer als die Berufsfreiheit und ethische Verantwortung des Arztes zu wiegen.
Ausblick
Die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus. Wir erwarten mit Spannung, wie das Gericht die Balance zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht, arbeitsvertraglicher Loyalitätspflicht und ärztlicher Berufsausübungsfreiheit gewichtet hat. Sollte es zu einer Berufung kommen, könnte insbesondere die Frage, wie weit das Direktionsrecht in den selbstständigen, beruflichen Bereich hineinwirken darf, neue rechtliche Maßstäbe setzen.