Im Sommer 2016 hatte die Landesärztekammer Baden-Württemberg als Vorreiter ihre Berufsordnung geändert, um die ärztliche Fernbehandlung ohne persönlichen Erstkontakt im Rahmen von Modellprojekten zu ermöglichen. Im Mai dieses Jahres hatte der 121. Deutsche Ärztetag in Erfurt mit einer bedeutenden Mehrheit eine Änderung von § 7 Abs. 4 der Muster-Berufsordnung (für Ärztinnen und Ärzte) beschlossen.
Änderung von § 7 Abs. 4 Muster-Berufsordnung (für Ärztinnen und Ärzte)
Laut der geänderten Fassung gilt Folgendes:
„Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“
Die einzelnen Landesärztekammern müssen die Vorschrift nun noch in ihre rechtsverbindlichen Berufsordnungen aufnehmen. Dies kann laut dem Ärzteblatt bis zu zwei Jahre dauern. Die saarländische Ärztekammer hatte sich beispielsweise erst kurz vor dem diesjährigen Ärztetag gegen eine Lockerung des Fernbehandlungsverbots ausgesprochen.
Laut der Ärztezeitung (Mai 2018) übernehmen weiterhin bereits vier gesetzliche und drei private Krankenversicherungen die Kosten für eine Fernbehandlung für Ärzte in Baden-Württemberg. Die PKVen ziehen aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit nach.
Fernbehandlung nicht generell zulässig
Der Eindruck, dass das Fernbehandlungsverbot aufgehoben wurde, trügt allerdings.
Dies zeigt ein aktuelles Urteil des Sozialgerichts München vom 15.05.2018. Das Gericht erklärte eine Fernbehandlung für unzulässig und berief sich auf den noch unveränderten § 7 Abs. 4 der Berufsordnung Bayern (BOÄ Bayern) sowie auf § 15 Abs. 2 des Bundesmantelvertrags-Ärzte (BMV-Ä).
Der Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) regelt die ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung gesetzlich Krankenversicherter in Deutschland. Er gilt für Vertragsärzte und spielt eine bedeutende Rolle, da über 90 % der Patienten in Deutschland gesetzlich versichert sind.
Vertragspartner sind der GKV-Spitzenverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Der Bundesmantelvertrag bildet den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge, die die Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen auf Landesebene schließen. Auch wenn die Berufsordnung der Ärzte geändert und eine Fernbehandlung ermöglicht wird, steht der Bundesmantelvertrag dieser also weiterhin im Wege!
Änderung des Bundesmantelvertrags?
Ungeklärt ist, ob der Bundesmantelvertrag nach einer Änderung des § 7 Abs. 4 (Muster-)Berufsordnung weiterhin gültig ist. Fraglich ist hier, ob gemäß § 313 BGB nicht die Geschäftsgrundlage gestört sein könnte. Denn der Bundesmantelvertrag bildet lediglich den Inhalt der Gesamtverträge. Sollten auf Landesebene die Berufsordnungen geändert werden, müsste demnach richtigerweise auch der Bundesmantelvertrag angepasst werden. Dies ist bisher noch nicht geschehen.
Spannend wird es, wenn nur ein Teil der Länder ihre Berufsordnung ändern sollte oder die Änderungen nicht zeitgleich umgesetzt werden.
Wäre eine Fernbehandlung beispielsweise in Hessen zulässig und in Bayern nicht, würde sich folgendes Szenario bieten:
Der Patient aus Bayern könnte – um die Möglichkeit einer Fernbehandlung wahrzunehmen – einen Arzt aus Hessen wählen. Dies hätte zur Folge, dass Ärzte aus Bayern – gerade im Zeitalter der Digitalisierung – weniger wettbewerbsfähig wären.
Wie steht es um die Zahnärzte?
Bei Zahnärzten ist in der (Muster-)Berufsordnung das Fernbehandlungsverbot nicht ausdrücklich erwähnt. Gleiches gilt beispielsweise auch für die Landesberufsordnung in Hessen. Allerdings knüpft § 9 Abs. 1 MBO-Z die Berufsausübung des selbständigen Zahnarztes an einen Praxissitz. Hieraus ist zu schließen, dass eine Fernbehandlung ohne Patientenkontakt nicht ohne weiteres möglich ist. Im Ergebnis wäre auch hier eine Anpassung an den technischen Fortschritt wünschenswert.
Fazit:
Durch den Beschluss des 121. Deutsche Ärztetags ist ein bedeutender Schritt in Richtung Aufhebung des Fernbehandlungsverbotes erfolgt. Dabei ist es sicherlich richtig eine Fernbehandlung (nur) dann zuzulassen, wenn sie ärztlich vertretbar ist. Denn nur so kann der unbedingte Schutz der Patientengesundheit gewahrt werden.
Nichtsdestotrotz gilt, dass eine Fernbehandlung nur dann rechtlich zulässig ist, wenn dies auch in den Berufsordnungen der Länder (flächendeckend) verankert und in die Musterberufsordnung eingeflossen ist.