Praxiskäufe sind komplexe Transaktionen, bei denen viele Komponenten berücksichtigt werden müssen. Ein entscheidendes Instrument sind in diesem Zusammenhang sogenannte Earn–Out-Regelungen und die damit verbundenen Earn-Out-Zahlungen, die oft Teil der Kaufpreisvereinbarung sind. Hierbei wird neben einem fixen Kaufpreis eine variable Komponente vereinbart, die an bestimmte Zielvorgaben des Unternehmens wie beispielsweise Umsatz, Gewinn, Aufrechterhaltung bestimmter Kundenbeziehungen geknüpft sind.
Vorteile von Earn-Out-Regelungen
Eine derartige Regelung ist immer dann von Vorteil, wenn zwischen den Parteien Uneinigkeit über den Kaufpreis eines Unternehmens und dessen zukünftige Ertragsentwicklung bestehen. Hierdurch werden die Kaufpreisrisiken auf beide Parteien verteilt und es werden Anreize geschaffen, bestimmte Ziele zu erreichen.
Steuerliche Behandlung von Earn-Out-Zahlungen
Trotz der Vorteile solcher Earn-Out-Vereinbarungen können diese insbesondere für den Praxisverkäufer wegen der hohen Kaufpreissummen nachteilig sein. Dies zeigt sich spätestens dann, wenn das Finanzamt vor der Tür steht. In diesem Zusammenhang gibt es regelmäßig Unstimmigkeiten hinsichtlich der Frage, ob Earn-Out-Zahlungen – trotz der Zahlung zu einem späteren Zeitpunkt – den Veräußerungsgewinn im Jahr des Praxisverkaufes erhöhen. Betrachtet man diese Zahlungen als Teil des Verkaufspreises, sind sie entsprechend zu versteuern. Dem Verkäufer ist regelmäßig daran gelegen, den Veräußerungsgewinn mit dem sogenannten „halben Steuersatz“ zu versteuern (§ 34 Abs. 3 EstG). Dies erfordert eine Rückwirkung der Earn-Out-Zahlungen auf den Veräußerungszeitpunkt gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
Der Bundesfinanzgerichtshof hat sich in seiner wegweisenden Entscheidung vom 09.11.2023 (Az. IV R 9/21) mit der steuerlichen Behandlung variabler Kaufpreisbestandteile im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Mitunternehmensanteils auseinandergesetzt und hier nunmehr Klarheit geschaffen:
Demnach erhöhen Earn-Out-Zahlungen, bei denen das Entstehen der sich hieraus ergebenden variablen Kaufpreisbestandteile sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewiss ist, den im Jahr der Veräußerung entstandenen Veräußerungsgewinn nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Einkommenssteuergesetz nicht.
Was lag der Entscheidung zugrunde?
Die Klägerin war eine Personengesellschaft, an der eine weitere Personengesellschaft als alleinige Kommanditistin beteiligt war. Diese hielt 100 % der Anteile der Komplementär-GmbH der Klägerin. Die Kommanditistin veräußerte sämtliche Anteile an der Klägerin sowie sämtliche Anteile an der Komplementär-GmbH. Neben einem festen Kaufpreis war ein zusätzlicher Kaufpreis in Form eines variablen Entgelts (Earn–Out) vereinbart. Der variable Kaufpreisbestandteil wurde in Abhängigkeit von der in den zukünftig erzielten Rohmarge vereinbart. Aufgrund der positiven wirtschaftlichen Entwicklungen der Klägerin kam es in den Folgejahren zur Auszahlung des Earn-Outs. Die steuerliche Behandlung dieser variablen Kaufpreisbestandteile war streitig. Die Kommanditistin hat diese Zahlung als laufende Einkünfte erfasst. Das Finanzamt vertrat hingegen die Auffassung, dass die nachträglichen Kaufpreiszahlungen gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO rückwirkend im Zeitpunkt der Übertragung der Anteile an der Klägerin auf Ebene der Kommanditistin zu erfassen sind.
In der Entscheidung hat das BFH folgende Punkte klargestellt:
- Der Veräußerungsgewinn entsteht grundsätzlich stichtagsbezogen im Veräußerungszeitpunkt, d.h. mit Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums. Dies gilt unabhängig davon, ob der vereinbarte Kaufpreis sofort fällig, in Raten zahlbar oder langfristig gestundet ist und wann der Verkaufserlös dem Veräußerer tatsächlich zufließt.
- Nachträgliche Veränderungen des Veräußerungspreises wirken grundsätzlich auf den Veräußerungszeitpunkt zurück, wenn der Erwerber seine Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises noch nicht erfüllt hat.
- Ist die Gegenleistung bereits erbracht und die Anteilsveräußerung vollzogen, liegt eine Rückwirkung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO nur dann vor, wenn der Rechtsgrund für die später geleistete Zahlung im ursprünglichen Rechtsgeschäft – der Anteilsveräußerung – angelegt ist.
- Ist die nach Vollziehung der Veräußerung geleistete Zahlung jedoch Gegenstand eines selbstständigen Rechtsgeschäfts, das nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Anteilsveräußerung steht, wirkt diese nicht auf den Zeitpunkt des Entstehens des Veräußerungsgewinns zurück.
- Bei gewinn- oder umsatzabhängigen Kaufpreisforderungen ist auf die Realisierung des Veräußerungsgewinns abzustellen, da der Veräußerer die Gewinne erst im Zuflusszeitpunkt erzielt.
- Gewinn- oder umsatzabhängige Kaufpreisforderungen im Allgemeinen und Earn–Out-Zahlungen im Besonderen sind grundsätzlich gleichzubehandeln.
- Konsequenz für die Praxis
Der BFH hat in seinem Urteil keine Stellung zu der Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG („halben Steuersatz“) genommen. Allerdings ist aufgrund der nachträglichen Besteuerung der Earn–Out-Zahlungen eine für die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG erforderliche Zusammenballung des gesamten Kaufpreises in diesen Fällen grundsätzlich nicht gegeben.
Um in derartigen Fällen auf Verkäuferseite dennoch in den Genuss des „halben“ Steuersatzes zu kommen, sollten Earn-Out-Klauseln bereits bei der Erstellung des rechtlichen und steuerlichen Konzepts berücksichtigt und an die neuste Rechtsprechung angepasst werden.