1. April 2021

Die MDR (Medical Device Regulation = EU-Medizinprodukteverordnung 2017/745) ist bereits 2017 in Kraft getreten. Die unmittelbare Geltung (ursprünglich vorgesehen für den 26.05.2020) wurde zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie nochmal um ein Jahr verschoben. Nun ab dem 26. Mai 2021 gilt in allen europäischen Mitgliedstaaten die EU-Medizinprodukte-Verordnung, in Kurzform MDR (Medical Device Regulation), verbindlich und stellt die Neufassung zum bisher gültigen europäischen Medizinprodukterecht dar. Kurzgefasst hat der Gesetzgeber das Inverkehrbringen von Medizinprodukten und deren anschließende Überwachung auf dem Markt verschärft und die bisher geltenden Pflichten für Hersteller und Händler erweitert. Die Verordnung richtet sich primär an industrielle Hersteller von Medizinprodukten aller Art und regelt die Herstellung, den Vertrieb und den Service von Medizinprodukten. Aber: Mit der Einführung der MDR gelten Dentallabore und Praxislabore als Hersteller von sog. „Sonderanfertigungen“ und fallen damit ebenfalls unter den „Herstellerbegriff“ von Medizinprodukten. Sie trifft die Verordnung folglich gleichermaßen. Der nachfolgende Beitrag soll die Auswirkungen der MDR auf die Zahnärzteschaft beleuchten und darlegen, worauf sich Zahnärzte nun einstellen müssen.

Die Medical Device Regulation – MDR

Der Europäische Gesetzgeber bezweckt mit der Verordnung, dass strengere Vorgaben insgesamt den Standard von Medizinprodukten steigern sollen. Dazu soll zunächst geklärt werden, welche Produkte als Medizinprodukte klassifiziert werden können.

Was ist ein Medizinprodukt?

Gemäß Art. 2 MDR bezeichnet der Begriff Medizinprodukt ein Instrument, einen Apparat, ein Gerät, eine Software, ein Implantat, ein Reagenz, ein Material oder einen anderen Gegenstand, das dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen oder mehrere der folgenden spezifischen medizinischen Zwecke erfüllen soll:

  • Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prognose, Behandlung oder Linderung von Krankheiten,
  • Diagnose, Überwachung, Behandlung, Linderung von oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen,
  • Untersuchung, Ersatz oder Veränderung der Anatomie oder eines physiologischen oder pathologischen Vorgangs oder Zustands,
  • Gewinnung von Informationen durch die In-vitro-Untersuchung von aus dem menschlichen Körper- auch aus Organ-, Blut- und Gewebespendenstammenden Proben

und dessen bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, dessen Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.

Der Begriff der Medizinprodukte ist daher weit, sobald das Produkt einen medizinischen Zweck verfolgt. Hintergrund ist die Gewährleistung von höchstmöglicher Produktsicherheit. Fehlerhafte oder risikobehaftete Medizinprodukte sollen erst gar nicht auf den Markt kommen, damit die Patientensicherheit gestärkt wird. Demzufolge ist – wie bisher bereits normiert – eine CE-Zertifizierung für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten erforderlich.

Ab wann sind Zahnärzte Hersteller unter der MDR?

Der Herstellerbegriff

Hersteller ist nach der MDR gemäß Art. 2 Nr. 30 MDR eine natürliche oder juristische Person, die ein Produkt herstellt oder als neu aufbereitet bzw. entwickeln, herstellen oder als neu aufbereiten lässt und dieses Produkt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet.

Der Begriff des Inverkehrbringens

Inverkehrbringen bezeichnet die erstmalige Bereitstellung eines Produkts […].

Zahnärzte fallen daher klassisch erst einmal nicht unter den Hersteller-Begriff, solange es sich um die oben dargelegte Definition von Medizinprodukten handelt.

Sofern Sie jedoch Zahntechniker oder Zahnarzt mit Eigenlabor sind, gelten Sie nach der MDR als Hersteller von sogenannten Sonderanfertigungen.

Was sind Sonderanfertigungen?

Unter Sonderanfertigung, beispielsweise Zahnersatz, bezeichnet man ein Produkt, das aufgrund einer schriftlichen Verordnung von einer berechtigten Person angefertigt wird, die eigenverantwortlich die genaue Auslegung und die Merkmale des Produkts festlegt, das nur für einen einzigen Patienten bestimmt ist, um ausschließlich dessen individuellen Zustand und dessen individuellen Bedürfnissen zu entsprechen.

Sonderanfertigungen sind von der CE-Kennzeichnungspflicht befreit.

Was ist mit serienmäßigen Produkten?

Serienmäßig hergestellte Produkte, die angepasst werden müssen, um den spezifischen Anforderungen des Zahnarztes zu entsprechen, und Produkte, die gemäß den schriftlichen Verordnungen einer dazu berechtigten Person serienmäßig in industriellen Verfahren hergestellt werden, gelten nicht als Sonderanfertigungen.

Was müssen Zahnärzte nun verbindlich umsetzen?

Es kommt in den folgenden vier Bereichen zu Handlungsbedarf:

Ausgestaltung der Konformitätserklärung

Eine verschärfte Regelung gilt nunmehr für die Erklärung nach Anhang XIII zur Konformität der Sonderanfertigung: diese muss stets beigefügt werden und nicht mehr bloß für Sonderanfertigungen ab der Klasse Ila.

Klinische Bewertungen

In Bezug auf klinische Bewertungen müssen Zahnärzte nunmehr genau dieselben Anforderungen erfüllen, wie Hersteller von seriell bzw. industriell gefertigten Medizinprodukten. Der Gesetzgeber hat die Anforderungen weiter verschärft und konkretisiert, so dass u.a. für implantierbare Produkte der Klasse III klinische Prüfungen durchzuführen sind.

Post Market Surveillance (PMS)

Der Implantologe muss auch nach Fertigstellung der Implantation weiter beobachten, ob die Sicherheit und der medizinische Nutzen des Implantats gegeben sind. Weiter muss er überprüfen, dass es mit dem Implantat keine Vorkommnisse gibt.

Verantwortliche Person

Ferner muss nachgewiesen werden, dass dauerhaft und ständig auf eine für die Einhaltung der Regulierungsvorschriften verantwortliche Person zurückgegriffen werden kann, es sei denn es handelt sich um einen sog. Kleinere oder mittlere Unternehmen.

Einführung eines Qualitätsmanagement-Systems (QMS) sowie Risikomanagement-
Systems (RMS)

Sofern Sie als Zahnarztpraxis unter den Herstellerbegriff fallen, haben Sie dafür zu sorgen, dass sie über Verfahren verfügen, die gewährleisten, dass die Anforderungen der MDR jederzeit eingehalten werden. Dafür müssen Sie ein sog. Qualitätsmanagement-System (QMS) in Ihrer Praxis etablieren, aufrechterhalten, stetig aktualisieren und kontinuierlich verbessern.

Das Qualitätsmanagementsystem umfasst alle Teile und Elemente Ihrer Praxis, die mit der Qualität der Prozesse, Verfahren und Produkte befasst sind. Es steuert die erforderliche Struktur und die erforderlichen Verantwortlichkeiten, Verfahren, Prozesse und Managementressourcen zur Umsetzung der Grundsätze und Maßnahmen, die notwendig sind, um die Einhaltung der Bestimmungen der Verordnung zu erreichen.

Ebenso sind Sie als Hersteller zur Einführung eines Risikomanagement-Systems verpflichtet. Hier verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, dass das spezifische Produktrisiko über seinen gesamten Lebenszyklus geht. Hierzu formuliert der Gesetzgeber:

„Das Risikomanagement ist als kontinuierlicher iterativer Prozess während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts zu verstehen, der eine regelmäßige systematische Aktualisierung erfordert.“

Das RMS begleitet ein Produkt ab seiner Entwicklungsphase, um stetig alle möglichen Risiken im Blick zu haben und dementsprechend zu reduzieren.

Was gilt es weiterhin zu beachten?

Grundsätzlich dürfen Medizinprodukte nur mit CE-Kennzeichnung auf den europäischen Markt gelangen. Für bestimmte Medizinprodukte ist sogar vorgeschrieben, dass klinische Prüfungen durchzuführen sind. Da dies für die Anfertigung von Zahnersatz eine praktisch unmögliche Hürde wäre, sind „Sonderanfertiger“ von dieser Verpflichtung ausgenommen. Nun fordert die MDR, dass Hersteller vor dem Inverkehrbringen der Produkte eine klinische Bewertung durchführen müssen und eine Nachbeobachtung gewährleisten müssen. Für Implantologen ändert sich nichts, weil Implantate schon bisher von Benannten Stellen zertifiziert werden mussten; allerdings hat bis zum 26.5.2024 eine Neuzertifizierung stattzufinden, welches in Anbetracht der viel zu wenigen Benannten Stellen durchaus zu Problemen führen kann.

Eudamed

Die Verordnung führt die eindeutige Produktidentifizierungsnummer (sog. UD, Unique Device Identification) ein, welche der Identifizierung und Rückverfolgbarkeit von Medizinprodukten dient. Die jeweiligen UDI sind in die neu etablierte europäischen Medizinprodukte Datenbank (Eudamed) einzutragen. Herstellern obliegt eine Registrierungspflicht.

Ausgenommen von der Registrierungspflicht sind Sonderanfertigungen. Hier gilt das bisher Bekannte und es kann auch zukünftig nach dem bekannten Konformitätsbewertungsverfahren agiert werden. Denn eine Registrierung jeder einzelnen Sonderanfertigung würde eine extreme Hürde darstellen.

Zweckbestimmung

Der Hersteller hat für jedes von ihm hergestellten Medizinprodukt eine Zweckbestimmung festzulegen. Diese Zweckbestimmung sollte von Zahnärzten unbedingt eingehalten werden. Denn außerhalb der Zweckbestimmung bewegt sich der Anwender nicht mehr in dem vorgegebenen Rahmen, so dass ihm die Herstellerpflichten auferlegt werden. Eine Anwendung außerhalb der Zweckbestimmung liegt nicht vor, wenn das Produkt für den Patienten lediglich montiert oder angepasst wird, ohne dass dadurch die konkrete Zweckbestimmung verändert wird. Handelt es sich um zusammengesetzte Produkte, sollte daher stets überprüft werden, ob der Hersteller die Kombination auch zulässt und die Zweckbestimmung entsprechend ausgestaltet ist.

Klassifizierung der dentalen Medizinprodukte

Die MDR verändert die Klassifizierung der dentalen Medizinprodukte in die Risikoklassen I, Ila, IIb und III nicht. Es bleibt bei den bisher bestehenden Klassifizierungen, so dass als Klasse I Medizinprodukte mit geringem Risiko beispielsweise grundsätzlich Provisorien zu fassen sind. Klasse Ila Produkte haben ein mittleres Risiko inne, so dass dauerhafter Zahnersatz hierunter klassifiziert wird. Dentalimplantate fallen in die Risikoklasse IIb, das heißt solche Medizinprodukte, die ein hohes Risiko für den Verbraucher darstellen. Bei Medizinprodukten der Risikoklasse III spricht man von einem sehr hohen Risiko, so dass die Pflicht zu eingehenden klinischen Prüfungen besteht.

Was muss der Zahnarzt bei provisorischem Zahnersatz beachten?

Wird das Provisorium direkt im Mund hergestellt, wie z.B. eine provisorische Einzelkrone, liegt eine Sonderanfertigung vor und der Zahnarzt ist Hersteller und muss die Regularien der MDR beachten.

Fällt der digital erstellte Zahnersatz unter den Begriff der „Sonderanfertigung“?

Mittels CAD/CAM Verfahren kann schnell und hocheffizient provisorischer Zahnersatz hergestellt werden. Die MDR definiert den Begriff der „Sonderanfertigung“ kompliziert als Produkt, „das speziell gemäß einer schriftlichen Verordnung einer aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation nach den nationalen Rechtsvorschriften zur Ausstellung von Verordnungen berechtigten Person angefertigt wird, die eigenverantwortlich die genaue Auslegung und die Merkmale des Produkts festlegt, das nur für eine einzige Patientin/Patient bestimmt ist, um ausschließlich den individuellen Zustand und den individuellen Bedürfnissen zu entsprechen.“

In Abgrenzung dazu stehen „serienmäßig hergestellte Produkte“, die angepasst werden müssen, um den spezifischen Anforderungen eines berufsmäßigen Anwenders zu entsprechen, sowie Produkte, die gemäß den schriftlichen Verordnungen einer dazu berechtigten Person serienmäßig in industriellen Verfahren hergestellt werden. Sie gelten nicht als Sonderanfertigungen.

Unklar war, ob es sich bei Produkten, die digital im Dentallabor oder in der Zahnarztpraxis gefertigt worden sind (CAD/CAM), um serienmäßig produzierte Medizinprodukte handeln soll, die folglich mit einer UDI versehen werden müssten, oder ob es sich bei dieser Produktgruppe um Sonderanfertigungen handelt, die vom Zahnarzt verordnet und individuell angepasst werden. Würden digitale Fertigungsprodukte als serienmäßig hergestellte Produkte klassifiziert, müssten Labore und Dentalpraxen weitaus höheren Anforderungen als bisher nachkommen. Auf Anfrage des europäischen Zahntechnikerverbandes FEPPD läge trotz Nutzung von industriellen Verfahren eine Sonderanfertigung vor, so die europäische Kommission:

„Zahnärzte und Zahntechniker, die Zahnersatz mittels CAD/CAM herstellen, gelten
als Hersteller gemäß der Definition im Art. 2(3) der MDR. Wird Zahnersatz mittels CAD/CAM-Verfahren hergestellt, fällt diese Herstellungsart in den Geltungsbereich der MDR. Wird ein Medizinprodukt aufgrund einer schriftlichen Verordnung für einen bestimmten Patienten hergestellt, handelt es sich gemäß Art. 2(3) um eine Sonderanfertigung. [….]. Die Methode der Herstellung ist dabei nicht relevant.“

Was heißt das für Ihren Praxisalltag?

Arbeitet ihre Praxis bereits jetzt nach den Prozessen der neuen Norm DIN EN ISO 13485:2016, entsprechen Sie bereits zu einem überwiegenden Anteil den Vorgaben der MDR. Für Hersteller von Sonderanfertigungen oder Zahnersatz besteht nun die Pflicht zur Einführung eines MDR konformen RMS & QMS. Als weitere Verpflichtung trifft Hersteller die Pflicht zur Nachbeobachtung, worunter eine Art Produktbeobachtung verstanden wird.

Zahnärzte sollten sich mit den Vorgaben der MDR vertraut machen, damit es nicht zu teuren Versäumnissen kommt. Gehen Sie Ihr Leistungsspektrum durch und ziehen Sie an den Stellschrauben, an denen Nachbesserungsbedarf besteht, nach, so dass Sie Ihre Arbeit MDR konform aufstellen können.

Kategorien
Newsletter
Wollen Sie unter den Ersten sein, die über aktuelle Entwicklungen im Gesundheitsrecht und der Gesundheitspolitik informiert werden?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.