Großes Aufsehen erregte in den vergangenen Wochen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (Az.: C-68-17) zum Arbeitsrecht der katholischen Kirche. Der Sachverhalt war dabei nicht neu, wir hatten darüber 2010 berichte: Es handelt sich um den Fall des katholischen internistischen Chefarztes an einem Krankenhaus in Düsseldorf. Dies Krankhaus steht in katholischer Trägerschaft und unterliegt kirchlich der Aufsicht des Erzbischofs von Köln. Der Chefarzt war gekündigt worden, da er nach Scheidung seiner staatlichen Ehe eine neue staatliche Ehe einging, während seine katholische Ehe noch fortbestand. Der Chefarzt hatte dagegen Kündigungsschutzklage erhoben, da er den Gleichheitsgrundsatz dadurch verletzt, da die zivile Wiederheirat von evangelischen und konfessionslosen Kollegen keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen hatte.
Das Bundesarbeitsgericht hatte dem Chefarzt zunächst Recht gegeben (Urt. v. 08.09.2011, Az.: 2 AZR 543/10). Dagegen hatte der Krankenhausträger erfolgreich Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt, dass die Angelegenheit an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen hatte (Beschl. v. 22.10.2014, Az.: 2 BvR 661/12). Im Rahmen dieses Verfahrens hatte das Bundesarbeitsgericht Zweifel über die Auslegung europarechtlicher Normen und hatte dies daher dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt. Dabei ging es im Wesentlichen um § 9 Abs. 2 GG, der Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78 EG in nationales Recht transformierte.
(1) Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
(2) Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berührt nicht das Recht der in Absatz 1 genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.
§ 9 Abs. 2 AGG
Der EuGH hat dabei in seinem Urteil Folgendes entschieden:
· Es besteht eine gerichtliche Kontrolle dahingehend, ob die die Kriterien für kirchliche Sonderrechte nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 EG erfüllt sind. Die Kirche oder auch eine von ihr betriebene Privatgesellschaft könne nicht ohne Gerichtskontrolle unterschiedliche Anforderungen an die für sie tätigen Beschäftigten beschließen, ohne dass dies von Gerichten kontrolliert werden kann.
· Unterschiedliche Loyalitätsanforderungen bei Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen können nicht ohne Gerichtskontrolle festgelegt werden.
· Eine unterschiedliche Behandlung unterschiedlicher Konfessionsangehöriger ist nur dann zulässig, wenn die Religion bei Art und Ausübung der betreffenden Tätigkeit eine Anforderung ist, die wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und zudem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Diese Anforderungen unterliegen wiederum der gerichtlichen Kontrolle. Nach Ansicht des EuGH ist bei einer Tätigkeit als Chefarzt der Inneren Medizin eine „Akzeptanz [des katholischen] Eheverständnisses für die Bekundung es Ethos“ des katholischen Trägers nicht notwendig. Hier kommt auch hinzu, dass die katholische Konfession gar keine notwendige Voraussetzung für die Stelle ist.
· Nationale Vorschriften, die Antidiskriminierungsvorschriften der EU zuwiderlaufen, müssen im Zweifel unangewandt bleiben. Dies gilt dann, wenn sich das nationale Recht nicht im Einklang auslegen lässt.
Für die heutige arbeitsrechtliche Praxis ist die Entscheidung verhältnismäßig wenig relevant. Grund dafür ist, dass die dem Arbeitsvertrag zu Grunde liegende „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ (GrO) mittlerweile geändert wurde. Heutzutage ist bei der Kündigung von nicht pastoral, katechetisch oder in ähnlichen Feldern beschäftigten Mitarbeitern bereits eine doppelte Abwägung erforderlich: Ein Kündigungsgrund liegt bei Eingehen einer Zivilehe nur noch vor,
„wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen“.
5 Abs. 2 Nr. 2c GrO
Schon dies ist bei einer ärztlichen Tätigkeit eher fernliegend. Selbst wenn man dies bejaht, so ist nach § 5 Abs. 3 der GrO vor einer Kündigung eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen. Dies dürfte die praktische Relevanz der Loyalitätsobliegenheiten kirchlicher Dienstnehmer außerhalb des echten Verkündigungsdienstes in erheblichem Maße senken. Dies ist sicherlich einer faktischen Entwicklung geschuldet, die von der „diakonia“ als kirchlichem Grundvollzug (durchaus auch in neuerer Zeit durch die Enzyklika „Deus Caritas Est“ und das Motu Proprio „Intima Ecclesiae Natura“ Papst Benedikts XVI. betont) zu einer fast normalen Marktteilnahme führte.
Doch schon nach altem Recht und bisheriger Rechtsprechung mussten im Übrigen von den Gerichten Verhältnismäßigkeitsüberlegungen angestellt werden.
Wesentlich größeren Einfluss hat die EuGH-Entscheidung auf verfassungsrechtliche Fragen: Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 ff. WRV – vom Bundesverfassungsgericht traditionell sehr weit ausgelegt – wurde erheblich beschränkt und muss sich an Europarecht messen lassen.