31. Oktober 2025

Das Oberlandesgericht Köln hat am 11.09.2025 eine wegweisende Entscheidung zum Influencer-Marketing im Arzneimittelbereich getroffen (Az. 6 U 118/24). Das Urteil verdeutlicht, dass Social-Media-Werbung für Medikamente denselben strengen Anforderungen unterliegt wie klassische Fernsehwerbung – und dass die besonderen Nutzungsgewohnheiten auf Plattformen wie Instagram diese Vorgaben nicht aushebeln können. 

Worum ging es in dem Fall?

Im Mittelpunkt stand ein Instagram-Reel der Influencerin E., die für das Arzneimittel „D.“ warb. Das 18 Sekunden lange Video zeigte eine typische Alltagssituation: Die Influencerin fühlt sich nach dem Aufstehen unwohl, nimmt eine Tablette des beworbenen Medikaments ein und kann anschließend motiviert ihren Tätigkeiten nachgehen. 

Das Video selbst enthielt weder den gesetzlich vorgeschriebenen Pflichthinweis „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihre Ärztin, Ihren Arzt oder in Ihrer Apotheke“ in gesprochener noch in geschriebener Form. Stattdessen verwies ein Text unterhalb des Videos auf einen separaten Account mit den Pflichtangaben. 

Die beklagte pharmazeutische Unternehmerin, ein Tochterunternehmen des F.-Konzerns, sah darin kein Problem. Der klagende Wettbewerbsverein hingegen erkannte darin gleich zwei Verstöße gegen das Heilmittelwerberecht.  

Gelten für Instagram-Reels die gleichen Regeln wie für Fernsehwerbung?

Ja. Das Gericht stellte unmissverständlich fest: Instagram-Reels sind „audiovisuelle Medien“ im Sinne des § 4 Abs. 5 HWG – und damit gelten dieselben Anforderungen wie für Fernsehwerbung. 

Diese Einordnung begründete das OLG Köln mit mehreren Argumenten: Instagram zeichnet sich durch eine starke Dominanz von Bewegtbildern aus. Nutzer scrollen durch ihren Feed, konsumieren kurze Videoinhalte und wechseln bei Nichtgefallen schnell zum nächsten Beitrag. Die App zielt darauf ab, möglichst lange Verweildauer bei gleichzeitig flüchtigem Konsum vieler Einzelbeiträge zu generieren. 

Das 18 Sekunden lange Reel entspricht dieser Logik – es bleibt sogar noch hinter der durchschnittlichen Länge eines TV-Werbespots von 25 Sekunden zurück. Auch wenn das Video angehalten werden kann und ein Textbereich sichtbar ist, steht die audiovisuelle Komponente klar im Vordergrund. 

Reicht es aus, die Pflichtangaben im Begleittext zu verlinken?

Nein. Die zentrale Argumentation der Beklagten lautete: Anders als beim linearen Fernsehen könne der Nutzer das Video jederzeit anhalten und die verlinkten Pflichtangaben in Ruhe lesen. Das stelle eine bessere Information dar als der kurze Hinweis am Ende eines Videos. Das Gericht folgte dieser Sichtweise nicht – aus mehreren überzeugenden Gründen: 

  1. Warum der Wortlaut des Gesetzes eindeutig ist?

  • 4 Abs. 5 Satz 1 HWG formuliert klar: Der Pflichttext „ist … einzublenden“. Diese Formulierung lässt keinen Spielraum. Während § 4 Abs. 5 Satz 2 HWG bestimmt, dass die umfangreicheren Pflichtangaben nach § 4 Abs. 1 HWG „entfallen können“, gilt dies nicht für den Basishinweis. 
  1. Warum weniger Information manchmal mehr ist?

Der Gesetzgeber hat bewusst eine Reduzierung der Information vorgenommen, weil umfassende medizinische Informationen in audiovisuellen Medien den Verbraucher überfordern würden. Die kurze, prägnante Warnung am Ende des Videos entspricht dem Grundsatz „Weniger ist mehr“ und wird als wirksamere Form der Verbraucherinformation angesehen. 

  1. Warum die Nutzungsrealität gegen Verlinkungen spricht?

Der Text in der Instagram-App ist nur teilweise sichtbar und muss aktiv aufgeklappt werden – anders als in der Browser-Ansicht auf Desktop-Geräten. Der Anlass für Nutzer, den Beitrag aufzurufen, ergibt sich aus der visuellen Präsentation im Feed. Die Texte haben typischerweise eine untergeordnete Bedeutung und beschränken sich häufig auf kurze, schlagwortartige Ergänzungen. Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu zwingend, dass „kurz gezeigten Werbebotschaften mit einem über die beiden Sinneskanäle ‚Hören und Sehen‘ wahrnehmbaren Warnhinweis ein zuverlässig auffälliger Kontrapunkt entgegengesetzt wird“  

Neben diesen formalen Anforderungen stellte sich jedoch eine noch grundlegendere Frage:  

Dürfen Influencer überhaupt für Arzneimittel werben?

Das kommt darauf an. Der zweite Verstoß betraf § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG, der Werbung mit bekannten Personen verbietet, die aufgrund ihrer Bekanntheit zum Arzneimittelverbrauch anregen können. Die entscheidende Frage lautet also: Handelt es sich bei dem Influencer um eine „bekannte Person“? Diese Frage beantwortet das Gericht differenziert und entwickelt dabei einen neuen Maßstab für die Beurteilung von Influencer-Bekanntheit. 

Ab wann gilt ein Influencer als „bekannte Person“?

Es gibt keine starre Follower-Grenze. Das Gericht lehnte sowohl eine zu enge als auch eine zu weite Auslegung ab: 

  • Zu eng wäre es, nur Personen mit „absoluter Bekanntheit“ aus Funk und Fernsehen zu erfassen  
  • Zu weit wäre es, jeden Influencer allein aufgrund seiner Follower als bekannte Person einzustufen 

Stattdessen fordert das Gericht eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls . 

Welche Faktoren sprechen für eine Bekanntheit?

Im konkreten Fall sprachen mehrere Faktoren für die Bekanntheit der betroffenen Influencerin E.: 

  • 130.000 Instagram-Follower (im Verfahren von 120.000 angewachsen) 
  • Teilweise millionenfache Klickzahlen bei einzelnen Videos, die die Followerzahl stark übersteigen 
  • Ein YouTube-Kanal mit 155.000 Abonnenten 
  • Tätigkeit als Sängerin mit millionenfachen Klicks auf YouTube und Spotify 
  • Präsenz auf TikTok mit 29.100 Followern und 1,8 Millionen Likes 
  • Themen mit breiter Ansprache über alle Altersgruppen (Alltag, Sozialleben, Beziehung) 

In der Gesamtschau begründen diese Umstände die Gefahr, dass E. in gleicher Weise wie „echte“ Prominente zum Arzneimittelkonsum anregen kann. 

Was macht Influencer aus werberechtlicher Sicht so problematisch?

Influencer vermitteln ihren Followern das Gefühl, sie bei ihrer täglichen Lebenswirklichkeit zu begleiten. Diese Öffnung des privaten Lebensbereichs schafft ein Gefühl der Vertrautheit – eine sogenannte „parasoziale Beziehung“. Gerade diese wahrgenommene Nähe macht Influencer besonders glaubwürdig und verstärkt die Überzeugungskraft ihrer Werbung. 

  • 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG liegt der Gedanke zugrunde, dass von bekannten Personen eine starke meinungsbildende und handlungsleitende Wirkung auf das Laienpublikum ausgeht. Insbesondere den „bekannten Personen“, die sich nicht aufgrund fachlicher Autorität äußern, wird – aus häufig irrationalen Gründen – von dem angesprochenen Verkehr regelmäßig auch bei werblichen Auftritten eine neutrale und objektive Rolle zugeordnet, die geeignet ist, die Verbraucher zu unreflektierter Selbstmedikation oder -diagnose zu bringen.

Wer haftet für rechtswidrige Influencer-Werbung? 

Das pharmazeutische Unternehmen trägt die Verantwortung. Auch wenn das Video von der Influencerin selbst gedreht und auf ihrem eigenen Kanal veröffentlicht wurde, ändert dies nichts an der Haftung des werbenden Unternehmens. 

Aufgrund der eingegangenen Werbepartnerschaft liegt eine mittäterschaftliche Begehung vor. Jedenfalls ist die Influencerin als Beauftragte im Sinne von § 8 Abs. 2 UWG anzusehen. Der Begriff des Beauftragten ist weit zu verstehen: Es genügt, dass jemand für das Unternehmen eines anderen aufgrund eines vertraglichen oder anderen Rechtsverhältnisses tätig ist. 

Was bedeutet das Urteil für die Praxis?

Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf das Influencer-Marketing im Arzneimittelbereich. Pharmazeutische Unternehmen sollten ihre Social-Media-Strategien kritisch überprüfen.   

Wie müssen Werbevideos für Arzneimittel gestaltet werden?

Die Verlinkung auf Pflichtangaben in einem separaten Post oder Account genügt nicht. Der Hinweis „Zu Risiken und Nebenwirkungen …“ ist am Ende des Videos sowohl einzublenden als auch zu sprechen – unabhängig davon, ob zusätzlich ausführlichere Angaben verlinkt werden.  

Die rechtlichen Anforderungen im Einzelnen: 

  • Einblendung des Pflichttextes am Ende des Videos vor neutralem Hintergrund 
  • Gute Lesbarkeit der Einblendung 
  • Dies gilt zusätzlich zu eventuellen Verlinkungen auf ausführlichere Angaben 

Welche Influencer dürfen nicht für Arzneimittel werben?

Nicht nur Prominente mit Millionen-Followern, sondern auch Influencer mit einer im mittleren fünfstelligen bis sechsstelligen Bereich liegenden Gefolgschaft können als „bekannte Personen“ gelten – insbesondere wenn sie: 

  • Über mehrere Plattformen präsent sind 
  • Hohe Interaktionsraten aufweisen 
  • Klickzahlen erzielen, die ihre Followerzahl deutlich übersteigen 
  • Themen behandeln, die ein breites Publikum ansprechen 

Im Zweifel gilt: Je höher die Followerzahl und je präsenter über mehrere Plattformen, desto höher das Risiko.

Welche vertraglichen Vorkehrungen sollten getroffen werden? 

Pharmazeutische Unternehmen sollten sicherstellen, dass ihre Influencer-Partner die heilmittelwerberechtlichen Vorgaben kennen und vertraglich zur Einhaltung verpflichtet sind. Ein Freigabeprozess sollte gewährleisten, dass Influencer-Content vor Veröffentlichung auf Rechtmäßigkeit geprüft wird.

Welche konkreten Schritte sollten Unternehmen und Leistungserbringer jetzt ergreifen?

Dieses Urteil betrifft unmittelbar pharmazeutische Unternehmen bei der Arzneimittelwerbung. Die Grundgedanken sind jedoch auch für andere Akteure im Gesundheitswesen relevant – wenn auch unter unterschiedlichen rechtlichen Vorzeichen. 

Folgende Handlungsempfehlungen sollten daher umgesetzt werden: 

  1. Videogestaltung überprüfen

Pflichthinweise müssen ans Ende jedes Werbevideos integriert werden – eingeblendet und gesprochen, vor neutralem Hintergrund und gut lesbar. Dies gilt für alle Produkte und Leistungen, für die gesetzliche Informationspflichten bestehen. 

  1. Influencer-Auswahl kritisch prüfen

Analysieren Sie, ob der gewünschte Influencer als „bekannte Person“ gelten könnte. Berücksichtigen Sie dabei nicht nur die Followerzahl, sondern auch: 

  • Die Präsenz auf anderen Plattformen (YouTube, TikTok, Spotify) 
  • Die Interaktionsraten und tatsächlichen Klickzahlen 
  • Die Art der Inhalte und die Breite der angesprochenen Zielgruppe

 

  1. Vertragliche Absicherung implementieren

Stellen Sie sicher, dass Ihre Influencer-Partner die werberechtlichen Vorgaben kennen und vertraglich zur Einhaltung verpflichtet sind. Dies sollte umfassen: 

  • Schulungen zu den rechtlichen Anforderungen 
  • Klare Vorgaben zur Gestaltung von Werbeinhalten 
  • Freigabepflichten vor Veröffentlichung 
  • Haftungsregelungen bei Verstößen 

 

  1. Compliance-Prüfung etablieren

Implementieren Sie einen Freigabeprozess, der sicherstellt, dass Influencer-Content vor Veröffentlichung auf Rechtmäßigkeit geprüft wird. Dies gilt besonders für: 

  • Videos mit Produkt- oder Leistungsempfehlungen 
  • Inhalte mit Gesundheitsbezug 
  • Kooperationen mit Dritten 

 

  1. Alternative Werbeformen erwägen

Überlegen Sie, bei gesundheitsbezogener Werbung auf Influencer-Kooperationen zu verzichten und stattdessen auf andere digitale Werbeformate zu setzen, die die gesetzlichen Anforderungen leichter erfüllen lassen: 

  • Eigene Social-Media-Kanäle mit kontrollierten Inhalten 
  • Fachlich fundierte Informationsvideos 
  • Klassische Online-Werbung mit klaren Pflichtangaben 

 

Was sind die Stärken dieser Entscheidung?

  • Medienadäquate Auslegung:  

Das Gericht hat die Besonderheiten von Social Media (flüchtiger Konsum, kurze Aufmerksamkeitsspanne) zutreffend erfasst und entsprechend gewürdigt. Diese Erkenntnisse lassen sich auf alle Gesundheitsbereiche übertragen. 

  • Differenzierter Bekanntheitsbegriff:  

Die Abkehr von starren Schwellenwerten zugunsten einer Einzelfallbetrachtung erscheint sachgerecht und verhindert Umgehungsstrategien. Dies schafft einen flexiblen Rahmen, der auch für zukünftige Entwicklungen im Influencer-Marketing anwendbar bleibt. 

  • Gesetzeszweck im Fokus:  

Die Entscheidung stellt konsequent den Verbraucherschutz in den Mittelpunkt, ohne sich durch technische Möglichkeiten von diesem Ziel abbringen zu lassen. Diese Grundhaltung ist gerade im sensiblen Gesundheitsbereich unverzichtbar. 

Gilt dieses Urteil auch für Medizinprodukte und Ärzte?

Das Urteil des OLG Köln betrifft ausschließlich Arzneimittelwerbung nach dem HWG. Sowohl die Pflichttext-Regelungen (§ 4 Abs. 5 HWG) als auch das Verbot der Werbung mit bekannten Personen (§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG) gelten nur für Arzneimittel, nicht für Medizinprodukte oder ärztliche Leistungen. 

Für Medizinprodukte bestehen eigene Informationspflichten nach dem Medizinprodukterecht. Eine Werbung mit Influencern ist hier grundsätzlich nicht verboten, unterliegt aber den allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Anforderungen. 

Für ärztliche Leistungen gilt das HWG nicht. Hier sind Berufsrecht (insbesondere das Sachlichkeitsgebot des § 27 MBO-Ä) und UWG maßgeblich. Auch hier ist Influencer-Werbung grundsätzlich möglich, sofern sie sachlich bleibt und nicht marktschreierisch wirkt. 

Werben Ärzte jedoch für konkrete Arzneimittel, unterliegen sie dem HWG vollumfänglich – einschließlich des Verbots der Werbung mit bekannten Personen, sofern sie selbst als solche gelten. 

Die Erkenntnisse des Gerichts zur Wahrnehmbarkeit von Hinweisen in audiovisuellen Medien und zur Glaubwürdigkeit von Influencern können jedoch als rechtliche Orientierung für vergleichbare Situationen in anderen Gesundheitsbereichen herangezogen werden. 

Was bedeutet dieses Urteil langfristig für das Gesundheitsmarketing?

Das Urteil des OLG Köln markiert einen wichtigen Meilenstein in der rechtlichen Bewertung von Influencer-Marketing im Gesundheitsbereich. Es macht deutlich, dass die Dynamik sozialer Medien nicht zu einer Aufweichung der Schutzmechanismen des Heilmittelwerberechts führen darf. 

Die Botschaft an alle betroffenen Akteure im Gesundheitswesen lautet daher:  

Social Media ist kein rechtsfreier Raum. Wer für Arzneimittel oder Medizinprodukte auf Instagram, TikTok oder YouTube wirbt, muss dieselben Sorgfaltsstandards einhalten wie in klassischen Medien – nur eben medienadäquat umgesetzt. Sie haben Fragen zu den Möglichkeiten und Grenzen bei Influencer-Marketing? Kontaktieren Sie unser spezialisiertes Team – wir beraten Sie verlässlich, effizient und persönlich!

 

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