22. September 2021

Kein Einzelfall im Alltag vieler Zahnärzte: Patienten werden von ihrer privaten Krankenversicherung ermuntert, die Behandlung bei einem anderen – vorzugweise günstigeren – Zahnarzt durchführen zu lassen. Jetzt hat sich eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis mit eigenem Praxislabor gegen diese Praxis zur Wehr gesetzt und nahm den private Krankenversicherer einer Patientin auf Unterlassung in Anspruch. Diese hatte versucht, die Patientin nach der Einreichung des Heil- und Kostenplans durch finanzielle Anreize zu einem Zahnarztwechsel zu bewegen und sie so in ihrer freien Zahnarztwahl zu hindern.

Der konkrete Fall

Die Patientin bekam ein Schreiben ihrer privaten Krankenversicherung, nachdem sie dieser den Heil- und Kostenplan der Gemeinschaftspraxis für eine geplante zahnärztliche Behandlung übersandt hatte. In dem Schreiben forderte die Versicherung weitere Kostenvoranschläge ein und schrieb darüber hinaus:

„Als ihr Krankenversicherer möchten wir Ihnen gerne anbieten, ihre Behandlungskosten im vollen tariflichen Umfang zu zahlen. Aus diesem Grund haben wir uns mit verschiedenen Gesundheitspartnern, welche unsere Qualitätsansprüche erfüllen, zusammengeschlossen.

Ihre Vorteile bei einer Behandlung durch unseren Gesundheitspartner:

• bundesweites Qualitätsnetzwerk von Zahnarztpraxen und regionalen Zahnlaboren
• qualitativ hochwertige Versorgung
• preiswerter Zahnersatz zu 100 % aus Deutschland
• schnelle Terminvereinbarung
• erweiterte Öffnungszeiten
• weitere Serviceleistungen zu vergünstigten Konditionen.

Möchten Sie unser Angebot nutzen und unseren Gesundheitspartner kennen lernen?
Setzen Sie sich mit unserem Partner in Verbindung und reduzieren Sie ihren
Eigenanteil:

YYY …

Entscheiden Sie sich für unseren Gesundheitspartner erhöht sich sogar ihr Erstattungsanspruch für zahntechnische Leistungen um 5 %.

Bitte beachten Sie:

Die Wahl ihres Zahnarztes sowie die des Labors steht Ihnen selbstverständlich frei. Der Hinweis auf unseren Gesundheitspartner ist lediglich ein Tipp von uns an sie, ihren Geldbeutel zu entlasten. …“

Die Gemeinschaftspraxis sah hierin ein wettbewerbswidriges Abfangen von Patienten und nahm die Krankenversicherung auf Unterlassung in Anspruch. Während die zahnärztliche Gemeinschaftspraxis in der ersten Instanz noch unterlagt, gab das OLG Dresden ihr Recht. Das OLG Dresden sah in dem Verhalten der Krankenversicherung ein wettbewerbswidriges Abfangen von Kunden und verurteilte die Krankenversicherung zur Unterlassung.

Die Entscheidung

Im Berufungsverfahren entschied das Oberlandesgericht (OLG) Dresden, dass es ein nach § 4 Nr. 4 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) unlauteres Abfangen von Patienten darstelle und das Recht auf freie Arzt- und Zahnarztwahl berühre, wenn ein Krankenversicherer seine Schlüsselposition dazu nutze, Patienten zu einem Wechsel zu Netzwerk-Zahnärzten des Krankenversicherers zu bewegen, indem er ihm eine Vergünstigung in Aussicht stelle.

Zwischen der Gemeinschaftspraxis und dem Versicherungsunternehmen besteht ein Wettbewerbsverhältnis

Das OLG Dresden bejahte ein Wettbewerbsverhältnis zwischen der Gemeinschaftspraxis und dem Versicherungsunternehmen, das für die Anwendbarkeit der Regelungen des UWG erforderlich ist. Zwar bestehe zwischen den beiden kein unmittelbares Wettbewerbsverhältnis, wohl aber ein mittelbares. Die geschäftliche Handlung könne sich nämlich auch auf die Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen eines fremden Unternehmens beziehen. Die Gemeinschaftspraxis und die Zahnärzte und -labore des Gesundheitsnetzwerks YYY seien auf demselben Markt tätig, da sie gleichermaßen zahnärztliche und labortechnische Dienstleistungen und Waren anbieten und in demselben Endverbraucherkreis abzusetzen versuchen. Wird ein Patient, der bereits einen Heil- und Kostenplan von der Gemeinschaftspraxis hat erstellen lassen und sich demnach für eine Behandlung bei dieser entschieden hat, durch das Schreiben der Krankenversicherung angeregt, einen Zahnarzt des Netzwerks YYY zu wählen, berührt das die wettbewerbsrechtlich geschützten Interessen der Gemeinschaftspraxis, so das OLG Dresden.

Verhalten der Krankenversicherung stellt gezielte Mitbewerberbehinderung und einen unzulässigen Eingriff in das Recht auf freie Arzt- und Zahnarztwahl dar

Hier sei das Schreiben der Krankenversicherung objektiv geeignet und vorrangig darauf gerichtet, den Absatz von Dienstleistungen der Zahnärzte im Netzwerk YYY zu fördern. Zugleich fördere die Krankenversicherung durch das Versprechen einer um 5 % erhöhten Kostenerstattung die Erhaltung und Erweiterung ihres eigenen Kundenstamms.

Das OLG Dresden hob hervor, dass sich die Krankenversicherung in dem Streitfall nicht darauf beschränke, auf Veranlassung des Patienten hin, eine Zweitmeinung oder ein Gegenangebot anzubieten. Nach der Rechtsprechung des BGH zur „zweiten Zahnarztmeinung“ verstößt ein Zahnarzt, der auf Bitte des Patienten ein Gegenangebot zu dem Heil- und Kostenplan eines anderen Zahnarztes abgibt, weder gegen das berufsrechtliche Kollegialitätsgebot noch gegen das Verbot berufswidriger Werbung. So liegt der vorliegende Fall gerade nicht.


Vielmehr wendete sich das Versicherungsunternehmen, noch vor Prüfung des Heil- und Kostenplans der Gemeinschaftspraxis, von sich aus, aktiv mit dem Angebot an den Patienten, dass dieser sich stattdessen auch bei einem ihrer Netzwerk-Zahnärzte behandeln lassen könne. Sie beschreibt die Behandlung dieser Gesundheitspartner sodann auch noch als qualitativ besonders hochwertig mit preiswertem Zahnersatz und verweist insbesondere auf eine schnelle Terminvereinbarung und vergünstigte Konditionen für weitere Serviceleistungen. Darin läge – würde dies der dem Netzwerk angehörende Zahnarzt selbst tun – eine verbotene aktive Werbung um Patienten, und damit ein berufs- und wettbewerbswidriges Verhalten. Geschieht dies durch den Krankenversicherer stelle sich dieses Verhalten ebenso als gezielte Mitbewerberbehinderung dar.

Das OLG betonte weiter, dass sich das Versicherungsunternehmen in einer vom Versicherungsnehmer als stärker empfundenen Position befinde, da es über den Umfang der Kostenübernahme aufgrund eines Heil- und Kostenplans entscheide. Diese Position habe die Krankenversicherung ausgenutzt, um die Nachfrage auf ihre Gesundheitspartner umzulenken, noch dazu durch das Angebot finanzieller Anreize. Der Patient könne so nicht unbeeinflusst abwägen, ob ihm das Angebot des Gesundheitspartners ausreichende Veranlassung für einen Wechsel des Zahnarztes gebe. Vielmehr könne der nicht unerhebliche finanzielle Anreiz Einfluss auf die Arzt- bzw. Zahnarztwahl gewinnen. Dadurch greife die Krankenversicherung unzulässig in die freie Arzt- und Zahnarztwahl des Patienten ein.

Das Fazit zur freien Arzt- und Zahnarztwahl

Private Krankenversicherer, die durch finanzielle Anreize versuchen, Patienten zu einem Wechsel ihres Zahnarztes zu bewegen, handeln wettbewerbswidrig, so das OLG Dresden. Die Entscheidung des OLG Dresden macht deutlich, dass ein Verhalten, das sich für konkurrierende Zahnärzte als unlauter darstellen würde, sich auch für Versicherungsunternehmen als wettbewerbswidrig darstellt. Zahnärzte müssen ein solches Geschäftsgebaren von privaten Krankenversicherern nicht dulden. Vielmehr bestehen Unterlassungsansprüche, wenn Krankenversicherer ihre Schlüsselposition ausnutzen, um Patienten noch vor Prüfung des Heil- und Kostenplans durch finanzielle Anreize zu einem Wechsel ihres Zahnarztes zu bewegen.

Kategorien
Newsletter
Wollen Sie unter den Ersten sein, die über aktuelle Entwicklungen im Gesundheitsrecht und der Gesundheitspolitik informiert werden?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.