21. Juni 2012

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat gestern sein Sondergutachten 2012 zum „Wettbewerb an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung“ an Herrn Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr  übergeben.

In einer Pressemitteilung teilt der Sachverständigenrat dazu mit, dass das Gutachten untersucht, ob und inwieweit eine Stärkung des Wettbewerbs an der Schnittstelle zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor zu einer Verbesserung von Effizienz und Effektivität der Gesundheitsversorgung beizutragen vermag.

Der Sachverständigenrat kommt im Ergebnis zu einem vernichtenden Urteil. In der Pressemitteilung heißt es u.a.: „Die zahlreichen Schnittstellen in der deutschen Gesundheitsversorgung bergen ein großes Risikopotential für ineffiziente oder sogar unnötige Behandlungen und vermeidbare Wohlfahrtsverluste der Patienten. Strukturelle Veränderungen in der Krankenhausversorgung und der mit der demographischen Entwicklung einhergehende Wandel der Patientenstruktur konfrontieren insbesondere das Schnittstellenmanagement zwischen akutstationärer und ambulanter Versorgung mit neuen Herausforderungen.“

Zur Überwindung dieser und anderer Schnittstellenprobleme empfiehlt der Sachverständigenrat u.a., moderne Informations- und Kommunikationstechnologien stärker zu nutzen.

Im Detail unterbreitet der Rat zur Sicherung einer sektorenübergreifenden Versorgungskontinuität u.a. folgende Empfehlungen:

  • Harmonisierung sozialrechtlicher Regelungen in SGB V und XI, auch zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus und umfassender Pflegeberatung nach § 7a SGB XI,
  • verbindliche gesetzliche Vorgaben zur Ausgestaltung des Entlassungsmanagements nach Nationalen Expertenstandards mit Entwicklung einer nationalen Leitlinie,
  • Erweiterung der nachstationären Behandlungsmöglichkeiten des Krankenhauses im Sinne von Transitional Care-Modellen und Weiterentwicklung um rehabilitative Anforderungen,
  • Dokumentation von ungeplanten Rehospitalisierungen und deren Aufnahme in die Qualitätsberichterstattung,
  • Vorgabe von Mindeststandards für die multidisziplinäre Informationsübermittlung bei der Krankenhausentlassung,
  • Festlegung von Rahmenbedingungen zur Förderung der sektorenübergreifenden Interoperabilität von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie
  • vollständige Übermittlung des Medikamentenplans einschließlich Begründungen für erfolgte Umstellungen.

Der Sachverständigenrat vertritt außerdem die Auffassung, dass „der Qualitätswettbewerb  in der deutschen Gesundheitsversorgung auch im Verhältnis zum Preiswettbewerb noch immer ein Schattendasein fristet“.  Dies liege zum einen an methodischen Problemen, denn es gelte hier valide Indikatoren der Prozess- und Ergebnisqualität zu finden und zudem die kausalen Beziehungen zu den jeweiligen medizinischen Behandlungen zu analysieren. Auf dieser Grundlage könne Transparenz entstehen, die eine Voraussetzung für einen funktionsfähigen Qualitätswettbewerb bildet.

Eine ordnungspolitische Analyse der Wettbewerbsbedingungen an der Sektorengrenze zwischen ambulant und stationär deuten nach Auffassun des Sachverständigenrates  darauf hin, dass im Rahmen der deutschen Gesundheitsversorgung relevante Potentiale ambulanter Leistungserbringung bisher unausgeschöpft bleiben.

Folgende Reformmaßnahmen schägt der Sachverständigenrat vor, um  einen zielorientiertenWettbewerb an der Schnittstelle ambulant-stationär zu unterstützen bzw. zu fördern:

  • eine geringere Regulierung der Eigentumsverhältnisse, was insbesondere für Medizinische Versorgungszentren gilt, denn die Rechtsform der Leistungsanbieter besitzt für die Versorgungsqualität und -sicherheit keine Relevanz,
  • eine selektivvertragliche Gestaltung der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung sowie
  • eine Angleichung der Honorierungssystematik von stationären Kurzzeitfällen und vergleichbaren ambulanten Behandlungen, um einen Anreiz zur Auslastung und zum Erhalt stationärer Überkapazitäten zu beseitigen.

Die besonderen Versorgungsformen ermöglichen nach Auffassung des Rates zwar grundsätzlich selektive Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern und teilweise auch die Implementierung innovativer, sektorenübergreifender Konzepte. Gleichzeitig stellt der Rat aber auch fest, die hierzu bestehenden gesetzlichen Regelungen  von einem Misstrauen in die Vertragsfreiheit sowie das Effizienz- und Effektivitätspotential zeugt, das sich mit Hilfe selektiver Verträge und wettbewerblicher Prozesse heben lässt. So zwingt der Gesetzgeber die Krankenkassen zum Angebot einer hausarztzentrierten Versorgung und unterwirft diese ebenso wie die besondere ambulante ärztliche Versorgung und die integrierten Versorgungsformen nach § 140 a-d SGB V der Beitragssatzstabilität.

Die Forderung, etwaige Mehraufwendungen durch vertraglich abgesicherte Einsparungen und Effizienzsteigerungen zu finanzieren, bezeichnet der Sachverständigenrat angesichts der Unsicherheit künftiger Erträge für innovative Versorgungskonzepte als „nahezu prohibitiv“.

Das Gutachten können Sie hier downloaden:

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