4. Dezember 2025

Telemedizin macht medizinische Versorgung ortsunabhängiger. Doch was gilt, wenn der Behandelnde und der Patient in verschiedenen EU-Staaten sitzen? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat hierzu mit seiner Entscheidung vom 11. September 2025 (C-115/24) für Klarheit gesorgt: Bei Telemedizin-Dienstleistungen innerhalb der EU ist das Recht des Sitzlandes des Anbieters entscheidend – und nicht das Recht des Patienten oder des Leistungsortes. Für den rasch wachsenden Digital-Health-Markt ist das ein echter Meilenstein, der internationale Kooperationen wesentlich erleichtert.

Was hat der EuGH entschieden?

Im Mittelpunkt des Verfahrens stand ein österreichischer Fall: Eine Zahnärztin kooperierte mit einem deutschen Unternehmen im Bereich der Alignertherapie. Während die Erstuntersuchung noch vor Ort in Österreich stattfand, wurden Diagnostik und Therapiesteuerung rein digital aus Deutschland erbracht. Die Österreichische Zahnärztekammer wollte diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit untersagen – mit Verweis auf das eigene Berufsrecht.

Der EuGH hat nun klargestellt: Telemedizinische Leistungen unterliegen dem Herkunftslandprinzip. Das bedeutet: Es gilt das Recht des Landes, in dem der Anbieter seinen Sitz hat. Nationale Einschränkungen des Ziellands (also etwa österreichische oder deutsche Sondervorschriften) finden keine Anwendung – solange der Behandler nicht vor Ort tätig wird. Damit folgt das Gericht dem in der EU geltenden Herkunftslandprinzip aus der E-Commerce- und Patientenmobilitätsrichtlinie.

Wer ist betroffen?

Diese Neuerung betrifft nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sondern sämtliche reglementierte Gesundheitsberufe – ebenso Zahnärzt:innen, Psychotherapeut:innen, Physiotherapeut:innen oder Pflegefachkräfte. Entscheidend ist, dass die medizinische Leistung ausschließlich mit digitalen Kommunikationsmitteln und ohne persönlichen Kontakt erbracht wird. Sobald ein Teil der Behandlung physisch vor Ort erfolgt, bleibt das jeweilige nationale Recht einschlägig.

Was bleibt national geregelt?

Für Anbieter mit Sitz in Deutschland ändert sich zunächst wenig im Tagesgeschäft: Innerhalb Deutschlands gelten weiterhin die Berufsordnungen, Zulassungsregeln und sozialrechtlichen Vorgaben. Interessant wird das Herkunftslandprinzip für Unternehmen, die ihr Angebot auf mehrere EU-Staaten ausweiten möchten. Wer Standorte in Ländern mit liberaleren Regeln wählt, schafft sich neue Spielräume und kann innovative Versorgungsmodelle schneller umsetzen.

Was bedeutet das Urteil konkret?

1. Mehr Freiheit für digitale Angebote:

Wer telemedizinische Leistungen grenzüberschreitend innerhalb der EU anbietet, profitiert vom Herkunftslandprinzip: Anbieter können sich für ihre rein digitalen, virtuellen Angebote grundsätzlich an den rechtlichen Vorgaben ihres eigenen Sitzlandes orientieren und müssen die spezifischen Einzelregelungen der jeweiligen Zielländer in der Regel nicht berücksichtigen.

2. Wichtige Einschränkungen:

Die Entscheidung des EuGH betrifft ausschließlich telemedizinische Leistungen, die vollständig digital und ohne persönlichen Kontakt mit dem Patienten erbracht werden. Findet hingegen eine Untersuchung oder Behandlung vor Ort statt, kommt ergänzend das nationale Recht des jeweiligen Leistungsortes zur Anwendung.

3. Chancen und Pflichten:

Das Urteil eröffnet Chancen: Plattformen, Praxen und Unternehmen können deutlich flexibler europaweit tätig werden. Gleichzeitig bleibt es wichtig, für eine rechtssichere Compliance und eine transparente Zuordnung aller Leistungsschritte zu sorgen.

Wie sollten Anbieter jetzt vorgehen?

Analysieren Sie Ihr Leistungsspektrum: Welche telemedizinischen Services lassen sich vollständig digital erbringen und wo ist weiterhin die Einhaltung der jeweiligen nationalen Vorschriften erforderlich?
Hinterfragen Sie Ihre Standortstrategie: Gibt es in anderen EU-Ländern für Ihr Geschäftsmodell günstigere regulatorische Rahmenbedingungen?
Evaluieren Sie bestehende und neue Kooperationen: Internationale Vorhaben gewinnen an Rechtssicherheit, wenn sie das Herkunftslandprinzip gezielt in ihrer Ausgestaltung berücksichtigen.

Fazit

Das EuGH-Urteil eröffnet der Telemedizin neue Perspektiven: Die Internationalisierung digitaler Gesundheitsangebote wird rechtlich einfacher, und sowohl Anbieter als auch Patienten profitieren von erweiterten Möglichkeiten. Umso wichtiger bleibt es, Prozesse und Compliance sorgfältig auszurichten. Jetzt ist der ideale Moment, Ihre Strategie zu überprüfen und die Entwicklungen im Bereich digitale Gesundheit proaktiv mitzugestalten.

Sie überlegen, wie Sie das Herkunftslandprinzip optimal für Ihr Unternehmen nutzen können oder möchten bestehende Unsicherheiten im Bereich der Telemedizin ausräumen? Gerne stehen wir Ihnen mit fundierter Beratung und maßgeschneiderten Handlungsempfehlungen zur Seite.

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