In Zeiten von CoVid-19, dem Katastrophenfall in Bayern und dem Social Distancing im Rest der Republik erleben wir den Vormarsch der Telemedizin. Im Interview mit unserer Redaktion blicken die Unternehmensberater und Geschäftsführer der LPS Group GmbH Jens Pätzold und Frank Steuer in die Zukunft und sprechen die digitalen Möglichkeiten, technische Umsetzung und die rechtlichen Bestimmungen der digitalen Lösungen im niedergelassenen Bereich an.
Herr Pätzold, Herr Steuer, die Corona-Krise digitalisiert die zahnärztliche und ärztliche Beratung immer stärker?!
Pätzold: In der Tat. Wir bekommen von zahlreichen Praxen die konkrete Anfrage nach der Zulässigkeit digitaler Beratungsangebote. Das hat zum einen damit zu tun, dass Patienten aufgrund von Infektionsangst aktuell den Gang zum Arzt oder zum Zahnarzt scheuen. Auf der anderen Seite haben viele Praxen freiwillig oder auf Druck der Behörden – insb. in Niedersachsen – ihr Leistungsangebot auf dringende Behandlungen deutlich reduziert.
Steuer: Gleichwohl suchen die Patienten den Kontakt zu ihren Zahnärzten und Ärzten. Daher können Videoangebote hier wertvolle Dienste zur Patientenbindung leisten. Denn irgendwann wird auch die Corona-Krise wieder vorbei sein und sich die Nachfrage nach medizinischen Behandlungen erhöhen. Und ich sehe meinen Arzt oder Zahnarzt lieber, wenn er mit mir über meine Gesundheit spricht, als dies anonym und unsichtbar am Telefon abzuhandeln. Auch das Abrechnungswesen lässt sich so besprechen.
Aber wo stecken denn da die Schwierigkeiten? Das Fernbehandlungsverbot ist doch gefallen …
Pätzold: Das ist richtig und ging durch die Medien. Die Tücke steckt allerdings vielmehr im Detail. Richtig ist: Das Verbot der Fernbehandlung ist aus den ärztlichen Berufsordnungen verschwunden. Auch das Werbeverbot für Fernbehandlungen in § 9 des Heilmittelwerbegesetzes wurde aufgehoben und mittlerweile die Videosprechstunde in die vertragsärztliche Versorgung implementiert. Bei Vertragsärzten ist die Lage relativ klar: Hier wurden Nägel mit Köpfen gemacht. Es existieren im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) zahlreiche Ziffern für Videosprechstunden bei gesetzlich versicherten Patienten.
Steuer: Nicht nur die Ziffern, sondern auch die dafür zugelassenen technischen Verfahren und Anbieter sind auf der Internetseite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auf einen Blick sehr gut nachlesbar. Hier erhält man viele Informationen. Wir bieten bei der Implementierung gern unsere Hilfe an oder empfehlen dazu Fachleute.
Pätzold: Bei den Privatversicherten und Selbstzahlern lassen sich die Beratungsziffern der Gebührenordnung für Ärzte 1, 2 und 4 abrechnen. Hier gibt es keine klaren technischen Vorgaben. Schweigepflicht und DSGVO sollten allerdings erfüllt sein. Dies ist nach unserer Kenntnis bei allen vertragsärztlich zugelassenen technischen Verfahren und Anbietern der Fall.
Bei den Ärzten ist also im Wesentlichen große Klarheit. Wie sieht es aber bei den Zahnärzten aus? Videoberatung und Zahnarzt – passt das überhaupt zusammen?
Steuer: Klar: Per Video können keine Zähne gezogen oder Implantate gesetzt werden. Die Nachfrage der Patienten z. B. hinsichtlich der Behandlungsplanung oder für Ratschläge bei der Therapie oder eigenen Prophylaxe ist da. Während der Corona-Krise liegt hier ein entscheidendes Tool, um den Menschen zu sagen: Ihr braucht dafür nicht in die Praxis zu kommen und Euch dafür ggf. im ÖPNV bewegen. Damit kann man Patienten binden bzw. neue hinzugewinnen. Und das reicht über Corona hinaus: Wer einmal dieses Tool liebgewonnen hat, wird es auch in Zukunft nutzen, zumal es viele Patienten jetzt aus ihrem Homeoffice hinaus ohnehin ständig nutzen.
Pätzold: Rechtlich ist es leider nicht ganz so klar wie bei den Humanmedizinern. In der Berufsordnung findet man zu diesem Thema nämlich überhaupt nichts. Offenbar dachte bisher niemand daran, dass Zahnärzte dieses Tool für sich nutzbar machen kann und das dies auch ganz im Sinne des Patienten liegt – Dabei gibt es bereits Zahnärzte, die z.B. Beratung im ästhetischen Bereich sehr erfolgreich über Videokonferenz-Lösungen anbieten.
Im SGB V – im Rahmen der Regelungen über Vertragszahnärzte – finden sich inzwischen Modelle für die Videosprechstunde, so dass der Gesetzgeber offenbar von einer Zulässigkeit ausgeht. Diese Modelle haben aktuell allerdings für gesetzlich versicherte Patienten noch zwei Mängel: Zum einen gibt es im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (BEMA) noch keine Ziffern und Zuschläge für die Videosprechstunde. Zum anderen sind sie limitiert auf bestimmte Personengruppen wie z. B. Pflegebedürftige, Behinderte oder Menschen, die die Praxis nicht mehr aufsuchen können.
Die bisherigen Beratungen sind also eher als Serviceleistung sinnvoll und dienen so zunächst einmal mittelbar zur Umsatzgenerierung.
Steuer: Hinzukommt auch, dass die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband bislang ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Der Gesetzgeber hat Ihnen aufgetragen bis zum 30.09.2019 entsprechende technische Verfahren festzulegen – bis heute ist das nicht geschehen.
Dabei wäre es ja gerade in Corona-Zeiten für Pflegebedürftige ein Segen gewesen.
Pätzold: Ganz genau. Hier hätte man ggf. schon einiges abfedern können, ohne in die Einrichtungen kommen zu müssen, in denen die Risikogruppen wohnen. Wir sehen ja in Würzburg oder Wolfsburg, welch schreckliche Konsequenzen von außen eingeschleppte Keime in Senioreneinrichtungen haben. Auf diese Weise hätte man die Kontakte noch weiter minimieren können. Die Standesvertretungen werden aktuell teilweise etwas unfair von Zahnarztseite kritisiert. Hier hätte man aber den gesetzlichen Vorgaben nachkommen müssen. So bleiben Unsicherheiten: Darf der Zahnarzt es trotzdem tun, auch ohne offizielle Verfahren? Auch bei den KZVen gibt dazu nach unserer Kenntnis noch keine Meinungsbildung.
Steuer: Für den normalen Praxisbetrieb bleiben dann also nur Privatabrechnungen zur Videosprechstunde.
Pätzold: In der Tat. Auch hier sind ähnlich wie bei den Ärzten die Beratungsziffern 1, 2 und 4 der GOÄ abrechenbar, von der PKV ist das bisher auch noch nicht bestritten worden. Hinsichtlich der technischen Voraussetzungen müssen zumindest Schweigepflicht und DSGVO eingehalten werden. Mit den von der KBV freigegebenen Verfahren, dürfte man hier auf der sicheren Seite sein.
Steuer: Im Rahmen der Patientenbindung für die Zeit nach Corona, sollte man allerdings nicht nur auf die reine Abrechenbarkeit achten, sondern mit dem Patientenbindungs- und –gewinnungstool Videosprechstunde eine moderne und flexible Visibilität schaffen. Langfristig lässt sich ein solches Beratungsgebot ausbauen. Kommt es in Corona-Zeiten wirklich noch auf die Erstberatung und Befundbesprechung an, ist langfristig an Aufklärungsgespräche vor Eingriffen zu denken. Das entlastet die Praxis organisatorisch und finanziell. Man könnte in einem nächsten Schritt auch einen bestimmten Teil des Tages für bereits online-gebuchte Videosprechstunden frei halten, um damit die Abläufe noch bequemer zu gestalten.
Die Experten der LPS group GmbH
Rechtsanwalt Jens Pätzold ist Fachanwalt für Medizinrecht und Gründungspartner der Unternehmensberatung LPS Group GmbH und der Kanzlei Lyck+Pätzold. healthcare.recht.
- Seit 2002 rechtsberatend im dentalen Markt
- Seit 2009 Geschäftsführer der Unternehmensberatung LPS Group GmbH
- M+A von Zahnarztpraxen
- Due-Diligence-Prüfung von Zahnarztpraxen
- Business Development von Unternehmen in der Dental-Industrie (z. B. Handel und Hersteller
- Investorenberatung
- Top-Speaker in der Healhcarebranche
Frank Steuer ist Diplom-Betriebswirt, Steuerberater, Fachberater Gesundheitswesen (IBG/HS Bremerhaven), Fachberater für Unternehmensnachfolge und Gründungspartner der Unternehmensberatung LPS Group GmbH
- Seit 1991 steuerberatend tätig im dentalen Markt
- Seit 1998 Geschäftsführer einer überregional tätigen Steuerberatungsgesellschaft
- Seit 2009 Geschäftsführer eines bundesweiten Steuerberaternetzwerkes
- Seit 2009 Fachberater für den Heilberufebereich (IFU/ISM gGmbH)
- Seit 2011 Fachberater Gesundheitswesen (IBG/HS Bremerhaven)
- Due-Diligence-Prüfung von Zahnarztpraxen
- M+A Beratung von Praxen
- Vortragstätigkeit für Ärztekammern, Handwerk, Industrie sowie Abrechnungsdienstleistern im dental Markt
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