10. Juli 2025

Die EU hat bereits im Juni 2019 mit der Richtlinie (EU) 2019/882 – auch bekannt als European Accessibility Act (EAA) – einen entscheidenden Schritt in Richtung eines barrierefreien Binnenmarkts unternommen. Erklärtes Ziel der Richtlinie ist es, Barrieren für Menschen mit Behinderungen im Zugang zu Produkten und Dienstleistungen abzuschaffen, insbesondere im digitalen Bereich. Deutschland hat die Vorgaben des EAA im Jahr 2021 durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in nationales Recht umgesetzt. 

Was bislang nur für öffentliche Stellen galt, trifft nun auch viele Arztpraxen, medizinische Versorgungszentren, private Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. 

Doch welche konkreten Pflichten ergeben sich aus dem BFSG? Wer ist betroffen – und was ist unter „digitaler Barrierefreiheit“ überhaupt zu verstehen? 

Dieser Beitrag gibt einen fundierten, praxisnahen Überblick zu den wesentlichen Inhalten der Richtlinie, ihrer Umsetzung durch das BFSG und beleuchtet, wie die neuen Pflichten einzuordnen sind, welche Anforderungen jetzt für Unternehmen im Gesundheitswesen gelten und wie die Umsetzung juristisch wie organisatorisch gelingt. 

Hintergrund: Was ist der European Accessibility Act? 

Die EU-Richtlinie 2019/882 legte bereits im Jahr 2019 einheitliche europäische Anforderungen an die Barrierefreiheit bestimmter Produkte und Dienstleistungen fest. Sie geht zurück auf die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) aus 2006, welche u. a. die Beseitigung von Barrieren in der physischen und digitalen Umwelt forderte, um Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. 

Dabei sind „Menschen mit Behinderungen“ im Sinne der insoweit maßgeblichen Definition des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) „Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können“. Als langfristig gilt hierbei ein Zeitraum, der mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert. 

Der EAA konkretisiert das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe und setzt es um mittels Harmonisierung des EU-Binnenmarktes durch einheitliche Barrierefreiheitsstandards und den Abbau von Handelshemmnissen für Unternehmen. 

Umsetzung in Deutschland: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)

Der deutsche Gesetzgeber hat die EU-Vorgaben durch das am 22. Juli 2021 in Kraft getretene Barrierefreiheitsstärkungsgesetz umgesetzt. Das Gesetz konkretisiert die Anforderungen des EAA für Deutschland und ist für viele Wirtschaftsakteure mit weitreichenden Pflichten verbunden. Betroffen sind vor allem Anbieter von digitalen und elektronischen Produkten und Dienstleistungen, wie z. B. von E-Commerce-Websites, mobile Apps, E-Books, Telekommunikationsdiensten oder Gesundheitsdienstleistungen. 

Aktuell betroffen sind die Unternehmen deshalb, weil das BFSG für sie seit dem 28. Juni 2025 verbindlich gilt. Nicht betroffen sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und unter 2 Mio. € Jahresumsatz – mit einer wichtigen Einschränkung: Die Ausnahme gilt nur für Dienstleistungen, nicht für barrierepflichtige Produkte wie z.B. digitale Geräte oder Terminals. 

Was bedeutet digitale Barrierefreiheit konkret für Unternehmen im Gesundheitswesen?

Digitale Barrierefreiheit bedeutet, dass digitale Angebote so gestaltet sind, dass sie von allen Menschen – unabhängig von körperlichen oder kognitiven Einschränkungen – selbstständig genutzt werden können (z.b. Hörgeschädigte, Personen mit motorischen Einschränkungen oder ältere Patienten mit kognitiven Barrieren). 

Das umfasst insbesondere:  

Digitale Anwendung    Was barrierefrei bedeutet 
Website    Navigation mit Tastatur oder Screenreader, klare Schriftgrößen, kontrastreiche Farben, Alternativtexte für Bilder 

 

Patientenportal    Formulare mit verständlichen Feldbeschriftungen, einfache Sprache bei medizinischer Information, logische Seitenstruktur 
PDF-Dokumente (z.B. Anamnesebögen, Einwilligungen)    Text als maschinenlesbarer Inhalt (nicht als Bild), Beschriftungen für Eingabefelder, strukturierte Überschriften 

 

 

Aufklärungs- oder Informationsvideos 

   

Untertitel für Hörgeschädigte, ggf. Gebärdensprachdolmetscher, Pausier- und Wiederholfunktion 

Apps oder Online-Dienste    Bedienbarkeit per Sprachsteuerung, ausreichend große Schaltflächen, Kompatibilität mit Hilfsmitteln (z.B. VoiceOver) 

 

Technisch ist die Barrierefreiheit nach den Standards der WCAG 2.1 (Web Content Accessibility Guidelines)1, Konformitätsstufe AA sowie der europäischen Norm EN 301 549 umzusetzen. Einhaltung bedeutet: Die digitale Anwendung muss wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet sein.  

Wie zeigt sich das im Praxisalltag?

Viele der Anforderungen lassen sich anhand klassischer Praxisbeispiele konkretisieren: 

  • Ein Online-Terminkalender, der nur per Maus bedienbar ist, ist für Menschen mit motorischen Einschränkungen nicht nutzbar – eine barrierefreie Lösung erlaubt auch die Navigation über die Tastatur. 
  • Ein PDF-Einwilligungsformular, das eingescannt und hochgeladen wurde, kann von einem Screenreader nicht gelesen werden – barrierefrei ist nur ein digital erstelltes, strukturiertes Dokument mit korrekt vergebenen Text-Tags. 
  • Eine Praxis-Website, die nur per Smartphone erreichbar ist und keine Schriftgrößenvergrößerung zulässt, schließt z.B. sehbehinderte Nutzer aus. 
  • Ein Patientenportal, das keine Untertitel oder Transkriptionen für Erklärvideos bereitstellt, ist für hörgeschädigte Nutzer nicht zugänglich. 

 

Weitere gesetzliche Anforderungen für Leistungserbringer 

Neben der barrierefreien Gestaltung digitaler Inhalte sieht das BFSG weitere Verpflichtungen vor, die oft übersehen werden: 

  • Barrierefreiheitserklärung 

Für jedes betroffene digitale Angebot (Website, App etc.) ist eine öffentlich zugängliche Erklärung zur Barrierefreiheit erforderlich.  

  • Kontinuierliche Aktualisierung 

Barrierefreiheit ist kein einmaliges Projekt: Änderungen an Technik oder Inhalten müssen ebenfalls barrierefrei erfolgen. 

  • Dokumentation 

Empfehlenswert (wenn auch nicht ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben) ist die nachvollziehbare Dokumentation aller Schritte zur Umsetzung. Gerade im Konfliktfall kann eine lückenlose Dokumentation hilfreich sein. 

Welche Rolle spielt die Aufsicht – und was droht bei Verstößen?

Im Zuge der sogenannten Marktüberwachung stellen die Bundesländer in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sicher, dass die Vorgaben des BFSG auch eingehalten werden. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass Verbände oder Patienten selbst Mängel anzeigen. Sieht sich ein Verbraucher oder eine Verbraucherin in seinen/ihren Rechten verletzt, weil bestimmte Produkte oder Dienstleistungen nicht den Anforderungen zur Barrierefreiheit entsprechen, können sie sich bei der zuständigen Landesbehörde zur Marktüberwachung beschweren und beantragen, dass Maßnahmen gegen diejenigen ergriffen werden, die Standards nicht einhalten. Wird dies von der Behörde abgelehnt, steht den Verbrauchern der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen. 

Wer gegen das BFSG verstößt, riskiert somit: 

  • Bußgelder 
  • Abmahnungen durch Mitbewerber (z.B. bei Wettbewerbsverstößen) 
  • Reputationsschäden, insbesondere im sensiblen Gesundheitsumfeld  

Was sollten Unternehmen im Gesundheitsunternehmen jetzt tun?

  • Bestandsaufnahme: Welche digitalen Angebote werden derzeit genutzt? 
  • Schwellenprüfung: Liegt eine Ausnahme als Kleinstunternehmen vor? 
  • Barrierefreier Relaunch: Neue digitale Angebote sollten grundsätzlich „Accessibility by Design“ geplant und umgesetzt werden. 
  • Technische Umsetzung: Dienstleister und Webagenturen müssen nachweislich mit den Anforderungen vertraut sein. 
  • Schulung und interne Prozesse: Auch das Praxisteam sollte sensibilisiert werden – etwa im Umgang mit barrierefreien Dokumenten oder Online-Kommunikation. 

Fazit: Handeln Sie jetzt und gestalten Sie Zukunft aktiv mit!

Das BFSG ist weit mehr als nur eine weitere gesetzliche Vorgabe – es ist Ihre Chance, sich als fortschrittlicher, verantwortungsvoller Anbieter im Gesundheitswesen zu positionieren. Barrierefreiheit erleichtert allen Menschen den Zugang zu Ihren Leistungen, stärkt Ihr Image, erschließt neue Patientengruppen und sorgt für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit. Gerade im Gesundheitsrecht, wo es um die Versorgung vulnerabler Menschen geht, setzt die Schaffung barrierefreier Strukturen nicht nur gesetzliche, sondern auch ethische Maßstäbe.

Nutzen Sie diesen Wandel als Gewinn für Ihre digitale Zukunft und als echten Mehrwert für Ihre Patientinnen und Patienten!

Sie sind unsicher, wie Sie die Vorgaben des BFSG sicher und pragmatisch umsetzen können? Sprechen Sie uns an – wir unterstützen Sie dabei, Ihre digitalen Angebote einfach, rechtssicher und nutzerorientiert barrierefrei zu gestalten. Mit uns gehen Sie den nächsten Schritt zu einer inklusiven Gesundheitsversorgung!

Barrierefreiheit ist kein Luxus, sondern Ausdruck professioneller, inklusiver Versorgung. 

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