Corona war nicht nur der Katalysator für die Digitalisierung, sondern auch für neue Online-Lehr-/Lernformate, die früher in Präsenz stattfanden. Nun hat der BGH eine aufsehenerregende Entscheidung zur Anwendbarkeit des Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG) getroffen, die die Branche mit Schlagzeilen wie „Online Fortbildungen vor dem Aus?“ verunsichert und die man sich deshalb genauer ansehen sollte.
Worum ging es?
In dem konkreten Fall, den der BGH mit Urteil vom 12. Juni 2025 (Az. III ZR 109/24) entschieden hat, ging es um Zahlungsansprüche aus einem Dienstleistungsvertrag über ein 9-Monats-Business-Mentoring-Programm zum Thema „Finanzielle Fitness“, welches der Kläger für 47.600 EUR brutto bei der Beklagten gebucht hatte.
Das Programm, für das keine Zulassung nach dem FernUSG vorlag, bestand unter anderem aus regelmäßigen Online-Meetings bzw. Live-Calls, die aufgezeichnet und von den TeilnehmerInnen nachträglich abgerufen werden konnten, sowie aus diversen Selbstlerneinheiten. Der Kläger rügte die fehlende behördliche Zulassung nach dem FernUSG und kündigte seinen Vertrag mit der Beklagten.
Der Schutzzweck des FernUSG
Das FernUSG stammt aus dem Jahr 1976 und verfolgt – wie der Name schon sagt – den Schutz von FernunterrichtsteilnehmerInnen vor unseriösen Fernunterrichtsangeboten und nachteiliger Vertragsgestaltung. Dazu hat der Gesetzgeber die Prüfung und Zulassung (§ 12 FernUSG) von Fernunterrichtslehrgängen bundeseinheitlich geregelt. Fernunterricht im Sinne dieses Gesetzes ist nach § 1 FernUSG die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die ausschließlich oder überwiegend in räumlicher Trennung von Lehrenden und Lernenden stattfindet und durch eine wiederholt vorgenommene Überwachung des Lernerfolgs durch den Lehrenden oder seinen Beauftragten ergänzt wird, sofern die Vermittlung auf vertraglicher Grundlage gegen Entgelt erfolgt.
Wichtig zu wissen ist, dass es das ausdrückliche gesetzgeberische Ziel war, auf diese Weise den Weg für eine größere Anerkennung und Verbreitung des Fernunterrichts zu eben und gerade nicht, diesen einzudämmen.
Die Entscheidung
Der BGH entschied den Fall zugunsten des unzufriedenen Fernunterrichtsteilnehmers und verurteilte die Beklagte aufgrund der festgestellten Nichtigkeit des Vertrags (§ 7 Abs. 1 FernUSG) zur Rückzahlung der klägerseits bereits entrichteten Kursgebühr. Dabei – und das ist von großer Relevanz für die Praxis – entschied der BGH hier ausdrücklich nicht, ob eine „räumliche Trennung“ i. S. d. § 1 FernUSG auch bei Videokonferenzen vorliegt, bei denen eine synchrone Kommunikation ähnlich wie bei Präsenzveranstaltungen möglich ist, d. h. bei sog. „online-live-Formaten“.
Die Frage, welche die Vorinstanz (OLG Stuttgart, Urt. v. 29.08.2024, AZ. 13 U 176/23) noch mit der Begründung bejaht hatte, dass bei Präsenzveranstaltungen eine stärkere soziale Kontrolle stattfinde, „da im Falle einer geringen Qualität des Unterrichts die Lehrenden unmittelbar mit dem Unmut der Teilnehmer konfrontiert werden und die Teilnehmer sich – unter anderem hierüber – auch unmittelbar austauschen können“, ließ der BGH mangels Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offen.
Stattdessen führten die Karlsruher Richter nur lapidar aus:
„Ob dieses Tatbestandsmerkmal (die räumliche Trennung) entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts einschränkend dahingehend auszulegen ist, dass zusätzlich erforderlich ist, dass die Darbietung des Unterrichts und dessen Abruf durch den Lernenden zeitlich versetzt (asynchron) erfolgt, ist allerdings nicht entscheidungserheblich und kann daher offenbleiben. Denn im vorliegenden Fall wäre selbst bei einer solchen einschränkenden Auslegung von einer überwiegenden räumlichen Trennung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 FernUSG auszugehen, da asynchrone Unterrichtsanteile hier jedenfalls überwiegen.“
Fazit
Fernunterricht i. S. d. FernUSG findet statt, wenn Lehrende und Lernende überwiegend oder ausschließlich räumlich getrennt. Darüber, ob eine „räumliche Trennung“ auch bei synchronen Online-Lehr-/Lernformaten vorliegt, hat der BGH bisher nicht entschieden.
Nach Ansicht der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) handelt es sich bei Online-Live-Formaten nicht um eine räumliche Trennung, d. h. derartige Programme bedürfen keiner Zulassung. Wenn allerdings Lehr-/Lernveranstaltungen aufgezeichnet und den TeilnehmerInnen nachträglich zur Verfügung gestellt werden, zählt dies als Fernunterricht, auch wenn die Lehrveranstaltung selbst synchron (z. B. als Live-Call oder Online-Meeting) stattgefunden hat. Weil die Inhalte durch die FernstudienteilnehmerInnen zeitversetzt konsumiert werden können, werden sie als asynchroner Unterricht gewertet. Wenn solche nachträglich konsumierbaren Inhalte dann auch noch überwiegend oder ausschließlich zum Einsatz kommen, bedarf es der behördlichen Zulassung.
Bei Anwendbarkeit des FernUSG drohen den Anbietern ohne behördliche Zulassung nicht nur Ordnungsstrafen (§ 21 Abs.1 FernUSG), sondern aufgrund der Nichtigkeit der Verträge auch die Rückzahlung der Kursgebühr. Dass dieses Ergebnis unbefriedigend und sicher nicht im Sinne des Gesetzgebers ist, der die synchrone Online-Lehre im Jahr 1976 noch nicht vor Augen hatte, steht fest. Erste Stimmen in der Literatur fordern daher eine Gesetzesreform mit entsprechenden Bereichsausnahmen.
Empfehlung zum Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG)
Anbieter von Lerninhalten sind aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheit gut beraten, ihre Angebote kritisch auf synchrone und asynchrone Anteile zu überprüfen. In jedem Fall sollte erwogen werden, Mitschnitte und deren nachträgliches Zurverfügungstellen (was unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten ohnehin nicht unproblematisch ist) auf ein Minimum zu reduzieren oder ganz zu vermeiden. Gegebenenfalls müsste eine Zulassung beantragt werden, was nach § 21 Abs. 1 FernUSG auch vorläufig möglich ist.