20. Juli 2009

Ergibt sich für einen (Not-)Arzt keine klare Diagnose, so hat er seinen Überlegungen die vital bedrohlichste Erkrankung zugrunde zu legen. Er handelt hingegen fahrlässig, wenn er einen Patienten bei unsicherer Diagnose nicht unter Annahme der vital bedrohlichsten Erkrankung in eine Spezialklinik einweist. Auf Grundlage dieser Annahme hat das LG Potsdam die Strafbarkeit eines Notarztes wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen gesehen und zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt (LG Potsdam, Urteil vom 25.08.2008 – Az 27 Ns 96/07).

In dem entschiedenen Fall verstarb eine Patientin des später angeklagten Notarztes an den Folgen eines von diesem nicht erkannten Herzinfarkts. Das LG Potsdam sah ein pflichtwidriges Verhalten des Angeklagten zum einen darin begründet, dass dieser die Geschädigte nicht ausreichend gründlich untersucht und somit den kurz zuvor erlittenen Herzinfarkt nicht erkannt hat. Insbesondere habe er die von ihm letztlich angenommenen Ursachen für die Beschwerden der Geschädigten nicht in ausreichendem Maße abgeklärt und pflichtwidrig eine differenzierte Diagnose verworfen.

Zum anderen sei aufgrund der Symptome – Übelkeit, Erbrechen, Durchfall sowie Schmerzen im Rücken, in der Schulter und Missempfindungen im linken Arm – ein Herzinfarkt ernsthaft in Erwägung zu ziehen gewesen, selbst wenn anhand der konkreten Gesamtumstände auch andere Ursachen in Betracht kamen. In einem solchen Fall sei ein Arzt jedoch verpflichtet, seinem weiteren Vorgehen, die vital bedrohlichste Alternative zugrunde zu legen. Dies, so das LG Potsdam, gebiete schon die allgemeine ärztliche Sorgfaltspflicht. Insbesondere sei aber ein Notarzt, der seine Patienten regelmäßig nicht näher kenne, zu besonderer Vorsicht angehalten. Vorliegend hätte der Angeklagte die Geschädigte demnach zur weiteren Behandlung und Abklärung der Symptome in eine Herzklinik einweisen müssen.

Die Entscheidung des LG Potsdam macht erneut deutlich, welch hohen Anforderungen an die eigene Sorgfaltspflicht ein Arzt in seiner täglichen Praxis gerecht werden muss. Selbst bei schwierigen Diagnosen besteht kein „Arztprivileg“ in Form einer Beschränkung der Strafbarkeit auf Fälle grober Behandlungsfehler.

Fazit

Da Art und Maß der erforderlichen Sorgfalt stets im Wege einer objektiven ex-ante-Betrachtung festgestellt werden, kommt es gerade Bereich der Strafbarkeit von Ärzten letztlich immer auf die Einschätzungen eines Sachverständigen an, der nunmehr im Rahmen eines Strafprozesses mit Kenntnis aller relevanten Tatsachen die Frage der Verletzung einer Sorgfaltspflicht zu beurteilen hat.

Auf den ersten Blick scheint sich aus der Entscheidung des LG Potsdam eine klare Richtlinie für das Verhalten bei unsicheren Diagnosen ableiten zu lassen. Immer dann, wenn mehrere Ursachen für die festgestellten Beschwerden in Betracht kommen, ist die vital bedrohlichste Alternative der weiteren Behandlung zugrunde zu legen. In der täglichen Praxis eines Arztes dürfte es aber regelmäßig der Fall sein, dass nicht sofort eine klare und eindeutige Diagnose getroffen werden kann. Es stellt sich dann jedoch die Frage, wann eine mögliche Ursache so wahrscheinlich ist, dass sie ernsthaft in Erwägung zu ziehen ist. Diese Frage beantwortet auch das LG Potsdam nicht. Letztlich wird dies nach den Umständen eines jeden Einzelfalls zu beurteilen sein.

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