Im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Bayern vom 27.06.2024 (Az. L 14 BA 34/23) ging es um die Frage, ob ein kardiologischer Facharzt, der in einer Landkreisklinik stationär aufgenommene Patienten behandelte und zugleich eine eigene Praxis als Vertragsarzt betrieb, sozialversicherungsrechtlich als Selbstständiger oder als abhängig Beschäftigter anzusehen ist. Das Gericht entschied, dass der niedergelassene Facharzt mit Klinktätigkeit vorliegend selbstständig tätig ist. Diese Einschätzung hat weitreichende Bedeutung für ähnliche Kooperationsmodelle zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten.
Hintergrund des Verfahrens
Der Fall wurde in einem Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV geklärt, das sowohl vom Arzt als auch von der Klinik angestoßen wurde. Die Deutsche Rentenversicherung hielt den Arzt für in das Klinikpersonal eingegliedert und damit für sozialversicherungspflichtig. Ein genauer Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse ergab, dass der Arzt eigene Betriebsmittel einsetzt und ein beträchtliches unternehmerisches Risiko trug.
Rolle des Arztes und Ausgestaltung der Kooperation
Der Kardiologe betrieb bereits mehrere Jahre eine eigene Praxis. Ab November 2018 mietete er zusätzlich Räume in einer Klinik an, um eine Praxisfiliale einzurichten. Vertraglich war vereinbart, dass er stationär aufgenommene Patienten kardiologisch versorgt und die Abrechnung über Fallpauschalen (DRG) lief. Beide Seiten erhielten anteilige Erlöse, wobei der Arzt eigene Betriebsmittel und Personal beschäftigte.
Zentrale Kriterien für Selbstständigkeit
Das LSG hob mehrere Faktoren hervor, die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen:
- Kapital- und Personaleinsatz: Der Arzt finanzierte Praxisräume, Geräte und Personal selbst. Bei Einsatz von Klinikpersonal wurde dieses entsprechend vergütet.
- Organisatorische Eigenständigkeit: Terminvergabe, Operationszeitpunkte und Verantwortungsbereiche lagen beim Kardiologen. Die Klinik hatte darauf kaum Einfluss.
- Unternehmerisches Risiko: Eine Vergütung über DRG-Anteile statt fester Gehaltszahlungen führte zu schwankenden Einnahmen. Der Arzt hatte kein Anrecht auf Lohnfortzahlung bei Krankheit oder Urlaub.
Abgrenzung zu Honorarärzten
Die Deutsche Rentenversicherung sah den Kardiologen als „typischen Honorararzt“, doch das Gericht verneinte eine abhängige Beschäftigung. Anders als bei punktuell eingesetzten Honorarärzten agierte er dauerhaft mit eigenem Kostenapparat. Damit konnte weder von einem klassischen Arbeitnehmerverhältnis noch von einem normalen Honorararzt-Modell gesprochen werden.
Bedeutung für die Klinikorganisation
Nach Ansicht des LSG lagen Kooperationsstrukturen vor, aber keine Eingliederung in den Klinikbetrieb. Der Arzt war keinem Chefarzt unterstellt und hatte keine ständigen Dienstzeiten. Er entschied selbst, ob und wann er stationäre Anfragen annimmt. Die Klinik übte kein Weisungsrecht im Sinne einer klassischen Anstellung aus.
Praxisfolgen und Rechtssicherheit
Das Urteil verdeutlicht, dass eine stationäre Abrechnung über DRGs nicht automatisch auf eine abhängige Beschäftigung schließen lässt. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arzt eigene Ressourcen einsetzt, ein finanzielles Risiko trägt und organisatorisch unabhängig agiert. Damit bietet das LSG Bayern einen Leitfaden für Kooperationsverträge, in denen Kliniken und niedergelassene Ärzte eng zusammenarbeiten, ohne sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu begründen.
Grenzen der Entscheidung
Jede Statusfrage muss stets im Einzelfall geprüft werden. Das LSG betonte, dass ein Kooperationsvertrag mal selbstständige, mal abhängige Merkmale aufweisen kann. Wichtig ist, wie die Kooperation praktisch gelebt wird. Eine schematische Einstufung allein aufgrund von Abrechnungsmodalitäten greift zu kurz.
Ausblick
Das Urteil hat eine hohe Praxisrelevanz, da sektorenübergreifende Versorgungsmodelle für medizinische Einrichtungen zukünftig immer wichtiger werden. Gerade in strukturschwachen Regionen kann eine solche Zusammenarbeit Vorteile bieten. Kliniken ermöglichen hoch spezialisierte Leistungen, während freiberufliche Ärzte ihre eigene Infrastruktur nutzen können.
Fazit
Das LSG Bayern stellt klar, dass die Einordnung als Selbstständiger oder abhängig Beschäftigter jeweils von der konkreten Ausgestaltung des Kooperationsmodells abhängt. Entscheidend ist, ob der Arzt eigenverantwortlich agiert, eigenes Kapital einsetzt und Weisungsfreiheit genießt. Kliniken und niedergelassene Ärzte sollten daher im Vorfeld ihrer Verträge genau prüfen, wie Rechte, Pflichten und Risiken verteilt werden. Nur so lässt sich ein stimmiges und rechtskonformes Konzept entwickeln, das sowohl die Qualität der Patientenversorgung sicherstellt als auch sozialversicherungsrechtliche Fallstricke vermeidet. Mit diesem Urteil erhalten sowohl Kliniken als auch Ärzte mehr Klarheit über die Voraussetzungen einer selbstständigen Tätigkeit. Zugleich zeigt der Rechtsstreit, wie groß die Bedeutung einer detaillierten vertraglichen und organisatorischen Ausgestaltung ist. Wer ähnliche Kooperationen plant, profitiert von den präzisen Kriterien, die das LSG Bayern in seiner Entscheidung aufgestellt hat. Gerne beraten wir Sie bei der konkreten Ausgestaltung solcher Kooperationen, um rechtliche Fallstricke zu vermeiden.