29. August 2024

Im Oktober 2023 sorgte ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) für Aufregung: Ein Zahnarzt, der als sog. Poolarzt im ärztlichen Bereitschaftsdienst tätig war, wurde als sozialversicherungspflichtig eingestuft (wir berichteten).

Diese Entscheidung löste große Unsicherheit darüber aus, ob die Notfallversorgung außerhalb der Sprechstundenzeiten auch durch den Einsatz von sog. Poolärzten sichergestellt werden kann. Nun haben sich die sich die handelnde Akteure auf Kriterien verständigt, die festlegen, wann Poolärzte weiterhin als Selbständige tätig sein können. Doch wie sicher ist diese neue Vereinbarung wirklich?

Reaktionen auf BSG-Urteil

Das BSG-Urteil hatte weitreichende Konsequenzen. Der 12. Senat des BSG hatte entschieden, dass ein ehemaliger Vertragszahnarzt, der seine Praxis verkauft hatte und nun als Poolarzt im Notdienst tätig war, nicht selbständig, sondern abhängig beschäftigt war. Infolge dieser Entscheidung sahen sich einige KVen gezwungen, erstmal keine Poolärzte im ärztlichen Bereitschaftsdienst einzusetzen.

Lösung durch Dialog

In Reaktion auf das Urteil startete ein Dialogprozess zwischen Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) zusammen mit dem Bunddesministerium für Gesundheit (BMG), Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Am 16. August 2024 einigten sich die Beteiligten dann auf drei zentrale Voraussetzungen, unter denen Poolärzte selbständig im Notdienst arbeiten können:

  1. Eigene Abrechnung: Poolärzte sollen ihre erbrachten Leistungen wie in ihrer eigenen Praxis selbst abrechnen. Die Vergütung erfolgt dabei auf Basis der tatsächlich erbrachten Leistungen.
  2. Nutzungsentgelt für Ressourcen: Für die Nutzung von Personal, Technik und Räumlichkeiten der KVen zahlen die Ärzte ein angemessenes Entgelt.
  3. Vertretungsregelung: Poolärzte dürfen sich im Notdienst durch selbst gewählte und qualifizierte Personen vertreten lassen.

 

Diese Einigung wird von der KBV als wichtiger Durchbruch bezeichnet (https://www.kbv.de/html/presse_71310.php). Sie werde für mehr Rechtssicherheit sorgen und damit auch die Notfallversorgung stabilisieren. Die genannten Kriterien sollen auch jetzt schon berücksichtigt werden.

Wirtschaftliches Risiko für Poolärzte

Die Kriterien für selbständige Poolärzte scheinen damit klar definiert. Gleichzeitig wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass das wirtschaftliche Risiko auf die Poolärzte übertragen wird, was einer möglichen „Bereitschaft“ dieser Arztgruppe im wahrsten Sinne des Wortes entgegen stehen kann.

Selbständig Poolärzte werden entsprechend der Einigung nach der Anzahl der behandelten Patienten bezahlt, die sie gegenüber der KV zur Abrechnung bringen müssen. Da Notfälle unvorhersehbar sind, besteht das Risiko, dass bei geringen Patientenzahlen auch das Einkommen entsprechend niedrig ausfällt. Zwar soll den KVen auch Spielraum für Sicherstellungspauschalen eingeräumt werden, ob und in welchem Umfang dies erfolgen wird, ist noch unklar.

Es bleibt auch unklar, welches Entgelt als angemessen für die Nutzung der von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) bereitgestellten Ressourcen gilt. Bisher wird davon ausgegangen, dass für die Nutzung der von der KV zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten, Betriebsmittel und Personal ein angemessener Betrag gezahlt werden soll – und zwar unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Patienten.

Genau an diesem Punkt zeigt sich der noch bestehende Klärungsbedarf. Es ist entscheidend zu wissen, welcher Betrag tatsächlich als angemessen angesehen wird und nicht lediglich symbolischen Charakter hat. Dies ist besonders wichtig, da ein zu niedriger Betrag den Anschein erwecken könnte, dass es sich nicht um eine selbständige Tätigkeit handelt.

Für Poolärzte, die selbständig tätig werden wollen, ist es daher von großer Bedeutung, genau zu wissen, welche Kosten auf sie zukommen. Davon wird abhängen, ob dieses Modell für sie attraktiv ist oder nicht.

Mit der dritten Voraussetzung, dass die Poolärzte sich durch selbst ausgewählte, qualifizierte Personen vertreten lassen können, wollte man offenbar nochmal eine klare Linie in Abgrenzung zur abhängigen Beschäftigung setzen. Denn dem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ist es immanent, dass die Arbeitsleistung persönlich erbracht werden muss. Angestellte können gerade nicht einfach einen Vertreter schicken. Ob dieses Abgrenzungskriterium allerdings wirklich sinnvoll und praktikabel ist oder vielleicht gerade nur hier reine Symbolik darstellt, wird sich noch zeigen.

Ausblick: Was die Zukunft bringt

Der gefundene Einigung ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, dennoch bleibt er ein Kompromiss, der sich an den bereits bekannten Abgrenzungskriterien für eine selbständige Tätigkeit orientiert. Besonders, da das wirtschaftliche Risiko jetzt bei den selbständigen Poolärzten liegt, bleibt abzuwarten, ob dieser Ansatz tatsächlich zur Sicherstellung des Notdienstes durch den Einsatz von selbständigen Poolärzten beitragen kann.

Es ist klar, dass weitere gesetzliche Regelungen erforderlich sind, um die gefundene Lösung dauerhaft abzusichern und praktikabel zu gestalten. Nur so kann gewährleistet werden, dass auch in Zukunft genügend Poolärzte für den Bereitschaftsdienst zur Verfügung stehen.

Die medizinische Versorgung außerhalb der regulären Sprechzeiten hängt somit entscheidend von einem stabilen und klaren rechtlichen Rahmen ab, der bisher noch nicht vollständig definiert ist. Es liegt nun in der Verantwortung des Gesetzgebers, diesen Rahmen zu schaffen, um den Fortbestand eines funktionierenden Notdienstes sicherzustellen.

Die Hoffnung bleibt, dass die beteiligten Akteure ihren bisherigen Einsatz fortsetzen und die Einigung zu einer stabilen und sicheren medizinischen Versorgung führen wird. Denn sichere Medizin beginnt mit einem sicheren System.

 

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