Ein aktueller Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt vom 21.09.2023 (6 W 69/23) sorgt für neue Diskussionen, ob auch ärztliche Kapitalgesellschaften, wie Ärzte- und MVZ-GmbHs, bei der Abrechnung an die GOÄ bzw. die GOZ gebunden sind. Während die Gerichte bisher davon ausgingen, dass die GOÄ auch auf Kapitalgesellschaften Anwendung findet, entschied das OLG Frankfurt nun, dass Kapitalgesellschaften freie Preise vereinbaren können. Hier ein Überblick über den Stand der Rechtsprechung:
OLG Frankfurt: Keine Bindung von Kapitalgesellschaften an die GOÄ
Das Oberlandesgericht Frankfurt entschied in seinem Beschluss vom 21.09.2023 (6 W 69/23), dass Adressat der GOÄ ausschließlich Ärzte als Vertragspartner des Patienten aus dem Behandlungsvertrag (§ 1 Abs. 1 GOÄ) sind. Hingegen sei die GOÄ nicht verbindlich im Verhältnis des Patienten zu einer Kapitalgesellschaft als Leistungserbringer und Behandelnder i.S.d. § 630a Abs. 1 BGB.
Kapital- und Personengesellschaften als Vertragspartner auf Behandlerseite
Der Behandlungsvertrag hat nach § 630a BGB das Versprechen einer Behandlung zum Inhalt, so das OLG Frankfurt. Das OLG stellt in seinem Beschluss klar, dass Vertragspartner auf Behandlerseite nicht nur ein Arzt sein kann. Vielmehr könnten auch Kapitalgesellschaften oder Personalgesellschaften Vertragspartner sein, so z.B. GmbHs oder GbRs, bzw. Partnerschaftsgesellschaften z.B. in Form des Medizinischen Versorgungszentrums.
Honorar kann unabhängig von der GOÄ frei vereinbart werden
In der Folge seien Kapitalgesellschaften nicht gehindert, mit Patienten Behandlungsverträge nach § 630a BGB (die weder formbedürftig noch exklusiv Ärzten vorbehalten sind) abzuschließen und hierbei das Honorar unabhängig von GOÄ frei zu vereinbaren. Eine Ärzte-GmbH oder MVZ-GmbH sind also nicht verpflichtet, ihre Leistungen an Selbstzahlern nach GOÄ abzurechnen; sie können also – anders als Ärzte – freie Preise vereinbaren, so das OLG Frankfurt.
OLG Frankfurt bestätigt Rechtsprechung mit weiterer Entscheidung
Diese Einschätzung bestätigt das OLG Frankfurt mit einem weiteren Beschluss 09.11.2023 (6 U 82/2). Der Senat nimmt auf den vorherigen Beschluss Bezug und stellt erneut klar, dass Adressaten der GOÄ ausschließlich Ärzte als Vertragspartner der Patienten aus dem Behandlungsvertrag sind. Deshalb könnten Gesellschaften – wie eine Ärzte-GmbH – Preise frei vereinbaren, wenn sie den Behandlungsvertrag mit dem Patienten schließen und die geschuldete Behandlungsleistung durch einen angestellten Arzt oder einen Honorararzt erbringen, den nicht der Patient, sondern die Gesellschaft bezahle. Entscheidend sei nur, dass der jeweilige Kooperationsarzt der Gesellschaft den von ihm nach der GOÄ korrekt in Rechnung gestellten Betrag vollständig erhalte und folglich selbst nicht gegen die Vergütungsregelungen verstoße. Denn die Kooperationsärzte unterlägen den Vorschriften der GOÄ, nicht aber die beklagte Vermittlungsplattform.
Andere Gerichte kamen zum gegenteiligen Ergebnis
Anders als das OLG Frankfurt entscheiden andere Gerichte, dass die Regeln der GOÄ nicht nur für Ärzte, sondern auch für juristische Personen gelten. Anders als das OLG Frankfurt stellten sie nicht auf eine rein formale Betrachtung mit enger Wortlautauslegung ab. Vielmehrbeziehen andere Gerichte den Sinn und Zweck der GOÄ in ihre Entscheidungen mit ein.
LG München I: GOÄ gilt für Ärzte und juristische Personen gleichermaßen
Das Landgericht (LG) München I hat in seinem Urteil vom 19. Dezember 2020 (Az.: 17 HK O 11322/18) die Anwendbarkeit der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) auf juristische Personen bestätigt. Es verweist auf § 1 Abs. 1 GOÄ, der sämtliche ärztlichen Leistungen umfasst, unabhängig davon, ob sie im Rahmen eines direkten Behandlungsvertrags zwischen Arzt und Patient oder durch angestellte Ärzte erbracht werden. Diese Auslegung trägt nach Ansicht des LG München dazu bei, den Zweck der Gebührenordnung zu erfüllen, nämlich einen angemessenen Ausgleich der Interessen von Ärzten und zahlungspflichtigen Personen sicherzustellen. Das LG München stellt klar, dass es für die Anwendung der GOÄ nicht auf den Vertragspartner, sondern auf den Inhalt des Vertrags ankommt. Soweit es sich um die Erbringung einer ärztlichen Leistung handle, müsse die Abrechnung gemäß der GOÄ erfolgen, unabhängig davon, ob der Vertrag mit einer Kapitalgesellschaft oder einem einzelnen Arzt abgeschlossen wurde.
OLG Köln: GOÄ bindet auch juristische Personen
Das Urteil des OLG Köln vom 16. August 2023 (Az.: 5 U 32/22) kommt ebenso zu dem Ergebnis, dass der Wortlaut des § 1 Abs. 1 GOÄ keine Unterscheidung zwischen selbständigen und angestellten Ärzten trifft. Gemäß dieser Bestimmung sollen die Vergütungen für ärztliche Leistungen gemäß den Regelungen der GOÄ erfolgen, es sei denn, es ist durch Bundesgesetz etwas anderes festgelegt. Das OLG Köln schließt sich somit der weiten Auslegung des Wortlauts und des Anwendungsbereichs vor dem Hintergrund des Zwecks der GOÄ an und unterstreicht die potenzielle Gefahr des Missbrauchs. Fielen nämlich ambulante Behandlungen durch bei einer juristischen Person beschäftigte Ärzte aus dem Anwendungsbereich der GOÄ heraus, könnten sich Ärzte durch eine entsprechende Gestaltung und die Gründung einer juristischen Person relativ einfach einer Bindung an die GOÄ zum Nachteil des Patienten entziehen.
KG Berlin: Anwendbarkeit der GOÄ auch bei juristischen Personen
Auch das Kammergericht (KG) Berlin stellte in einer früheren Entscheidung vom 04.10.2016 (5 U 8/16) bereits klar, dass der Umstand an der Anwendbarkeit der GOÄ nichts ändert, dass das Angebot der ärztlichen Leistung von einer in der Rechtsform einer GmbH betriebenen Privatklinik stammt. Der Anwendungsbereich der GOÄ wird in § 1 Abs. 1 wie folgt bestimmt: „Die Vergütungen für die beruflichen Leistungen der Ärzte bestimmen sich nach dieser Verordnung, soweit nicht durch Bundesgesetz etwas anderes bestimmt ist“.
§ 1 Abs. 1 GOÄ stelle damit allein auf die beruflichen Leistungen der Ärzte ab, ohne zwischen Leistungen zu differenzieren, die aufgrund eines Behandlungsvertrages zwischen Arzt und Patient oder von Ärzten im Rahmen eines Angestellten- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnisses ohne eigene vertragliche Beziehung zum Patienten erbracht werden. Diese Auffassung sei geeignet, dem in der Ermächtigungsnorm zum Ausdruck kommenden Zweck der Gebührenordnung, einen angemessenen Ausgleich der berechtigten Interessen der Ärzte und der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten herbeizuführen (§ 11 Satz 2 BÄO), zur Durchsetzung zu verhelfen.
Praxistipp
Die verschiedenen Gerichtsentscheidungen und die daraus resultierenden Uneinigkeiten in der Rechtsprechung führen zu einer gewissen Rechtsunsicherheit bezüglich der Anwendbarkeit der Gebührenordnungen (GOÄ und GOZ) auf Kapitalgesellschaften wie Ärzte-GmbHs oder MVZ-GmbHs. Trotz der abweichenden Entscheidung des OLG Frankfurt ist davon auszugehen, dass die Gebührenordnungen auch für juristische Personen verbindlich sind. Das OLG Frankfurt legt die GOÄ sehr eng aus, ohne ihren Sinn und Zweck zu berücksichtigen. Das greift zu kurz, sodass die Argumentationen des OLG Köln und LG München I mehr überzeugen. Daher ist Ärzte-GmbHs aktuell dazu zu raten, bei der Abrechnung die Regelungen der GOÄ einzuhalten. Bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage oder einer klaren Regelung durch den Gesetzgeber bleibt abzuwarten, welcher Auffassung die Gerichte letztendlich folgen.