18. September 2024

Seit dem 1. Januar 2024 prägt das unter der Ampelkoalition entwickelte Hybrid-DRG System die Abrechnungslandschaft im ambulanten und stationären Sektor. Wie ein ungewünschtesWeihnachtsgeschenk wurde kurz vor Jahresende 2023 eine Fülle neuer Verordnungen veröffentlicht, die nicht nur die betroffenen Leistungserbringer, sondern auch Kassenärztliche Vereinigungen und Abrechnungsdienstleister vor große Herausforderungen stellen.

Durch die Kombination von Elementen der traditionellen diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) mit zusätzlichen Abrechnungsansätzen für ambulante Leistungen verspricht dieses System, die Abrechnungspraxis zu modernisieren und zu optimieren. Damit sollen bestehende Ambulantisierungspotenziale gehoben, die Qualität der Patientenversorgung gesteigert und die wirtschaftliche Effizienz erhöht werden.

Im internationalen Vergleich wurde das Thema „Ambulantiserung“ in Deutschland bislang aus unterschiedlichen Gründen, insbesondere finanzieller aber auch gesundheitspolitischerund struktureller Natur, eher stiefmütterlich behandelt. Die bisherigen Vergütungsoptionen in Deutschland bedingten einen Anstieg von stationären Operationen, entgegen dem internationalen Trend. Die Einführung der Hybrid-DRGs soll das nun ändern und für die Akteure Anreize schaffen, grundsätzlich für den ambulanten Bereich geeignete Leistungen auch dort zu erbringen. In der Folge sollen damit langfristig unnötige stationäre Operationen reduziert und eine Entlastung der Pflegekräfte in Krankenhäusern erreicht werden.

Während die potenziellen Vorteile auf der Hand liegen, entstehen zugleich Unsicherheiten und mögliche Konflikte. In diesem Beitrag beleuchten wir, welche Chancen die Hybrid-DRGsfür eine gerechtere Vergütung bieten, und welche Stolperfallen drohen. Welche Konflikte könnten zwischen Vertragsärzten und Krankenhäusern entstehen? Und wie können Ärzte das neue System effizient und rechtssicher für sich nutzen?

Durch eine umfassende Analyse der Hybrid-DRG-Abrechnung möchten wir nachfolgend wertvolle Einblicke geben, um informierte Entscheidungen zu treffen und sich in einem potenziell streitbeladenen Umfeld erfolgreich zu positionieren.

Rechtliche Grundlagen

Die Hybrid-DRG-Verordnung wurde Ende letzten Jahres im Rahmen des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes eingeführt. Da sich GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bis Ende März 2023 nicht auf einen Leistungskatalog und eine Vergütungsstruktur einigen konnten, wurde das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) tätig. Im Juni 2023 entwickelte das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zusammen mit dem Institut des Bewertungsausschusses (InBA) ein Kalkulationsmodell und Fallpauschalen, die im September 2023 veröffentlicht und im Dezember 2023 schließlich gesetzlich festgeschrieben wurden. Die endgültige Version der Hybrid-DRG-Verordnung wurde schließlich am 21. Dezember 2023 im Bundesgesetzblatt (BGBl.) veröffentlicht und trat am 1. Januar 2024 in Kraft.

Aktueller Leistungskatalog

Eine Auflistung der konkreten Leistungen, für welche die besonderen Fallpauschalen derzeit gezahlt werden, findet sich in Anlage 1 der Hybrid-DRG-Verordnung. Dafür enthält der Hybrid-DRG-Katalog 2024 eine indikationsspezifische Prozedurenliste (OPS-Kodes) sowie den jeweiligen OPS-Text für die betroffenen Leistungsbereiche. Zu diesen Bereichen gehören (bisher):

– Bestimmte Hernieneingriffe

– Entfernung von Harnleitersteinen

– Ovariektomien

– Arthrodesen der Zehengelenke

– Exzision eines Sinus pilonidalis

Die Höhe der Hybrid-DRGs (Anlage 2) liegt zwischen dem Niveau des EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) und dem der stationären DRGs. Die Fallpauschalen decken sämtliche Behandlungskosten ab, was eine zentrale Neuerung der Abrechnung für niedergelassene Ärzte darstellt.

Abrechnungsvereinbarung für Hybrid-DRGs

Um Klarheit bei der Abrechnung zu schaffen, einigten sich die KBV und der GKV-Spitzenverband zunächst auf eine Übergangsregelung für das Jahr 2024. Danach können Vertragsärzte und MVZ Hybrid-DRGs im Rahmen der Quartalsabrechnung mit den Kassenärztlichen Vereinigungen abrechnen. Ab 2025 bzw. sobald die technische Infrastruktur steht, soll eine direkte Abrechnung mit den Krankenkassen möglich sein.

Hybrid-DRG: Pauschale Abrechnung mit Tücken

Das Hybrid-DRG-System unterscheidet sich fundamental von der EBM-Abrechnung. Während beim EBM jede ärztliche Einzelleistung separat vergütet wird, beinhalten die Hybrid-DRGs alle anfallenden Kosten – einschließlich Sachkosten, Personal, Infrastruktur sowie Leistungen des Operateurs und Anästhesisten. Dementsprechend darf auch nur ein Leistungserbringer die Pauschale abrechnen. Dies führt dazu, dass er alle im Rahmen der Operation anfallenden Kosten auf die beteiligten Akteure aufteilen muss.

Fallstrick: Vorkalkulation

Hier liegt der erste Fallstrick: Die Vorkalkulation. Es ist oft schwierig, die Material- und Personalkosten sowie den tatsächlichen Aufwand im Vorfeld auskömmlich zu kalkulieren und gerecht aufzuteilen. Kommt es zu unvorhergesehenen Komplikationen oder Verzögerungen, können diese nicht zusätzlich abgerechnet werden. Bleibt der Aufwand unter der Pauschale, profitiert der Operateur. Steigen die Kosten jedoch über die Pauschale, trägt er das finanzielle Risiko. Inwieweit dieses Problem auch unmittelbaren Einfluss auf die Qualität der Behandlung nehmen kann, sei einmal veranschaulicht am Beispiel der Hernien-Netze:

Aufgrund der Tatsache, dass die Sachkosten und sämtliche Verbrauchsmaterialien bereits in der Pauschale inkludiert sind – besteht die Gefahr, dass sich die bisherige Qualität der verwendeten Materialien wirtschaftlich nicht mehr abbilden lässt. Aufgrund stetig steigender Kosten für Material und Personal, können hier deshalb in Einzelfällen nur die Verwendung besonders kostengünstiger Netze oder die Behandlung mit Nahtmaterial (wie vor 30 Jahren) kostendeckend sein.

Dieses Beispiel dürfte jedoch ein ungewollter Qualitätsverlust sein und den Fehler in der Architektur des § 115f SGB V verdeutlichen. Um hier Abhilfe zu schaffen, würde sich eine vordefinierte Liste an zu verwendenden Materialien, die dann extrabudgetär über das BMG / KBV etc. geordert werden könnten, eignen.

Abrechnungsstreit zwischen Operateur und Anästhesist

Ein weiteres Damoklesschwert ist die Verteilung der Pauschale zwischen Operateur und Anästhesist. Da in der Pauschale sämtliche Leistungen enthalten sind, muss sich der Operateur bereits im Vorfeld mit dem Anästhesisten verbindlich einigen. Eine klare gesetzliche Vorgabe gibt es dafür nicht, was die Verhandlungen kompliziert und mitunter konfliktbeladen macht.

Allerdings gibt es einige gängige Ansätze und Parameter, die zur Aufteilung der Pauschale herangezogen werden können:

Typische Verteilungsmuster der Pauschale könnten 70% für den Operateur und 30% für den Anästhesisten sein. Doch diese Prozentsätze hängen stark von der Komplexität des Eingriffs, der Dauer der Narkose und den jeweiligen individuellen Vereinbarungen (z.B. bestimmte Kooperationsmodelle) ab.

In einigen größeren Einheiten oder medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gibt es feste Verteilungsschlüssel, die im Rahmen von Betriebsvereinbarungen festgelegt werden. Diese Schlüssel basieren oft auf historischen Daten oder betriebswirtschaftlichen Kalkulationen und werden von der Klinikleitung oder einem Abrechnungsteam verwaltet. Ärzte, die im Rahmen dieser Strukturen arbeiten, haben dann weniger Verhandlungsspielraum, müssen sich aber auch weniger um die Abrechnungsdetails kümmern.

Ein weiteres Modell besteht darin, den Anteil des Anästhesisten und des Operateurs anhand der Dauer des Eingriffs zu berechnen. Hier wird entweder die Gesamtdauer der Operation herangezogen oder die Zeit der Anästhesie und der Operation werden separat bewertet (z.B. Grundpauschale und Stundenlohn).

Zusätzlich belasten die Sach- und Personalkosten die Pauschale. Diese müssen sowohl vom Anteil des Operateurs als auch des Anästhesisten gedeckt sein. Auch hier ist der Operateur als Hauptleistungserbringer oft in der Rolle, diese Kosten vorab kalkulieren zu müssen – ein komplexer und risikobehafteter Prozess.

Bauliche Anpassungen erforderlich

Insbesondere Krankenhäuser müssen sich auch physisch auf die neuen Anforderungen einstellen. Die Hybrid-DRGs setzen auf eine Verzahnung von ambulanten und stationären Leistungen, was bedeutet, dass stationäre Einrichtungen flexiblere Versorgungsmöglichkeiten schaffen müssen. Die zum Teil bereits vorhandenen Ambulatorien könnten nach Möglichkeit weiter ausgebaut oder neue Behandlungszentren geschaffen werden, die sich speziell für ambulante Eingriffe eignen. Diese baulichen Anpassungen sind einerseits notwendig, um Kosten zu reduzieren und die Versorgungsqualität für Patienten zu steigern. Andererseits sind derartige Umstrukturierungen mit hohen Kosten verbunden, und es ist nicht garantiert, dass die Einsparungen durch eine effizientere Leistungserbringung diese Investitionen kurzfristig ausgleichen. Darüber hinaus gibt es strikte gesetzliche und regulatorische Vorgaben, die zwingend zu beachten sind und derartige Anpassungen wohlüberlegt sein lassen.Insbesondere kleinere und finanzschwächere Krankenhäuser dürften hier vor erheblichen Herausforderungen stehen.

Fazit: Abrechnung oder Streitpotenzial?

Die Einführung der Hybrid-DRGs mag im Grundsatz dem Wunsch der Politik nach einem Fortschreiten der Ambulantisierung in Deutschland und einer Vereinfachung und Angleichung der Vergütung an das stationäre DRG-System entsprechen. Gleichzeitig entsteht eine Vielzahl neuer Probleme und Herausforderungen für niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser. Die Pauschalvergütung macht die wirtschaftliche Kalkulation vorab äußerst schwierig, da alle mit der Operation verbundenen Kosten gedeckt werden müssen und bei Abweichungen keine Nachvergütung möglich ist. Die transparente und wirtschaftlich sinnvolle Aufteilung der Hybrid-DRG-Pauschale bleibt unzweifelhaft eine komplexe Aufgabe, die sowohl Erfahrung als auch gute Absprachen zwischen den beteiligten Leistungserbringern erfordert. Ohne klare Vorgaben sind die Beteiligten auf Verhandlungen angewiesen, die nicht selten kompliziert und konfliktträchtig sind.

Zudem verlangt der Ausbau der ambulanten Versorgung hohe Investitionen in neue Infrastruktur. Vor allem Krankenhäuser müssen in spezialisierte ambulante Operationsräume, zusätzliche Fachkräfte und modernere Technik investieren, um die Anforderungen des Hybrid-DRG-Systems und der steigenden Anzahl an ambulanten Eingriffen zu erfüllen und weiterhin rentabel agieren zu können.

Ob Hybrid-DRGs in der jetzigen Ausgestaltung die Abrechnungslandschaft tatsächlich revolutionieren können oder vor allem zu neuen Hürden im System führen, die das geplante Voranschreiten der Ambulantisierung in Deutschland ausbremsen, bleibt abzuwarten.

Für potenzielle Leistungserbringer von Hybrid-DRGs ist es daher unerlässlich, sich frühzeitig durch Experten über die rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen und möglichen Fallstricke beraten zu lassen. Eine fundierte rechtliche und wirtschaftliche Einschätzung ermöglicht es, die notwendigen Maßnahmen rechtzeitig zu planen und umzusetzen. Nur so können Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte sicherstellen, dass sie im neuen System nicht nur rechtskonform, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich agieren.

Eine proaktive Herangehensweise, kombiniert mit rechtlicher und strategischer Planung, wird entscheidend sein, um die Chancen der Hybrid-DRGs zu nutzen und mögliche Risiken zu minimieren.

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