Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht an einem Wendepunkt: Mit Facharztzentren (FAZ) und Primärversorgungszentren (PVZ) entstehen neue Versorgungsmodelle, die auf eine umfassende, interdisziplinäre Betreuung abzielen und Patienten eine zentrale Anlaufstelle für komplexe Behandlungsbedarfe bieten. Diese modernen Konzepte könnten die Effizienz und Qualität der Versorgung erheblich steigern. Doch um das volle Potenzial dieser Zentren zu realisieren, bedarf es entscheidender Anpassungen im rechtlichen Rahmen. Dieser Beitrag beleuchtet die zentralen rechtlichen Herausforderungen und notwendigen Reformansätze.
1. Kooperationsmöglichkeiten und Zulassungsfragen: Interdisziplinarität ohne Hindernisse
Facharzt- und Primärversorgungszentren leben davon, dass verschiedene Gesundheitsprofessionen, von Allgemeinmedizinern und Fachärzten über Therapeuten bis hin zu pflegerischem Personal, reibungslos zusammenarbeiten können. Diese Zusammenarbeit ist entscheidend für eine umfassende und schnelle Versorgung, birgt allerdings rechtliche Herausforderungen, insbesondere durch Regelungen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und berufsrechtliche Vorgaben.
Zulassungsfragen und Regelungen der Kassenärztlichen Vereinigung:
- Bedarfsplanung und Zulassungsbeschränkungen: Die kassenärztliche Versorgung unterliegt der Bedarfsplanung, die sicherstellen soll, dass die Ärzteanzahl in einem Gebiet den Bedürfnissen der dort lebenden Bevölkerung gerecht wird. FAZ und PVZ, die sich interdisziplinär aufstellen, stoßen jedoch auf Hindernisse, wenn bestimmte Fachrichtungen als „überversorgt“ gelten. Hier wären spezifische Ausnahmeregelungen notwendig, um Zentren dort zu etablieren, wo medizinischer Versorgungsdruck besteht.
- Zulassung interdisziplinärer Teams: Aktuell sind Gemeinschaftspraxen und Medizinische Versorgungszentren (MVZ) auf monodisziplinäre oder eng verwandte Fachbereiche ausgerichtet. FAZ und PVZ benötigen jedoch Kooperationen von Fachärzten, Allgemeinmedizinern und nicht-ärztlichen Berufen. Der Gesetzgeber könnte hier erweiterte Regelungen schaffen, die die interdisziplinäre Zusammenarbeit erleichtern und so das Potenzial dieser Zentren fördern.
Berufsrechtliche Bestimmungen und Zusammenarbeit verschiedener Professionen:
- Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen: Das Berufsrecht enthält klare Vorgaben zur Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachrichtungen. Diese Regelungen schränken oft den Betrieb gemeinsamer Einrichtungen sowie gemeinsame wirtschaftliche Interessen zwischen ärztlichem und nicht-ärztlichem Personal ein. Eine Lockerung dieser berufsrechtlichen Vorgaben könnte interprofessionelle Kooperationen in FAZ und PVZ fördern, ohne die ärztliche Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen.
- Ärztliche Leitung und Verantwortung: In FAZ und PVZ wird häufig eine ärztliche Leitung eingesetzt, um die medizinische Qualität und Sicherheit zu gewährleisten.Dies kann jedoch Konflikte verursachen, wenn die Verantwortung für den Behandlungsverlauf geteilt wird. Auch hier könnte ein klarer rechtlicher Rahmen für die Leitung multiprofessioneller Einrichtungen sicherstellen, dass Zuständigkeiten transparent geregelt sind.
Steuerliche und gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen:
- Steuerliche und gesellschaftsrechtliche Anerkennung: Die Wahl der Rechtsform stellt multiprofessionelle Teams oft vor Herausforderungen. Während MVZ als GmbH oder Partnerschaften geführt werden können, erschwert die Einbindung nicht-ärztlicher Leistungserbringer dieses Modell. Eigene steuerliche und gesellschaftsrechtliche Regelungen könnten hier die Zusammenarbeit in FAZ und PVZ vereinfachen.
- Berufsrecht und Wirtschaftlichkeitsprüfung: Wirtschaftlichkeitsprüfungen stellen sicher, dass nur notwendige Leistungen erbracht werden. Unterschiedliche Prüfmaßstäbe für verschiedene Gesundheitsberufe, die auch in FAZ und PVZ zusammentreffen, können hier zu Intransparenz führen. Einheitliche Standards für multiprofessionelle Einrichtungen könnten Transparenz und wirtschaftliche Effizienz fördern.
Zulassung gemeinsamer Behandlungseinrichtungen und Patientensicherheit:
- Patientensicherheit und Effizienz in der Praxis: Für FAZ und PVZ sind klare Regeln für die gemeinsame Nutzung von IT, Diagnostik oder Pflegepersonal notwendig, um Effizienz und Patientensicherheit zu verbessern. Einheitliche Qualitätsstandards für die interprofessionelle Versorgung könnten die Patientensicherheit weiter erhöhen.
2. Vertragsgestaltung und Honorierungsmodelle
Die Finanzierung von Facharzt- und Primärversorgungszentren stellt eine der größten Herausforderungen dar. Da die Zentren auch die Versorgung außerhalb klassischer Klinikstrukturen übernehmen, muss die Vergütung den spezifischen Anforderungen gerecht werden.
- Vergütungsmodelle für interdisziplinäre Teams: Bisherige Honorierungsmodelle orientieren sich stark an Einzelleistungen und Fallpauschalen. Eine ganzheitliche Versorgung, die interdisziplinäre Zusammenarbeit umfasst, wird jedoch unzureichend abgedeckt. Eine Mischung aus Grundpauschalen und leistungsbezogenen Zuschüssen könnte hier Abhilfe schaffen.
- Vertragsgestaltung in multiprofessionellen Teams: In FAZ und PVZ arbeiten Fachärzte, Allgemeinmediziner und Pflegekräfte oft Hand in Hand. Dies erfordert klare Regelungen zur Zuständigkeit und Haftung, um die Zusammenarbeit zu erleichtern und Missverständnisse zu vermeiden.
3. Datenschutz und IT-Strukturen
Eine effiziente Patientenversorgung erfordert den schnellen Austausch von Gesundheitsdaten zwischen den einzelnen Fachbereichen. Datenschutzrechtliche Bestimmungen, insbesondere die DSGVO, stellen jedoch strenge Anforderungen an die Datenverarbeitung.
- Datenschutzkonforme IT-Infrastrukturen: FAZ und PVZ benötigen eine vernetzte IT-Infrastruktur für den einfachen und sicheren Austausch von Patientendaten. Die aktuelle Gesetzgebung deckt noch nicht umfassend die speziellen Anforderungen vernetzter Zentren ab. Auch hier wäre eine spezifische Anpassung der Datenschutzregelungen für Gesundheitsdaten in multiprofessionellen Einheiten notwendig.
- Datensicherheit und Zugriffsrechte: Die Festlegung von Datensicherheitsstandards und Zugriffsrechten in einem PVZ oder FAZ erfordert eine klare rechtliche Regelung, die festlegt, wer auf welche Daten zugreifen darf. Einheitliche Vorgaben könnten nicht nur den interdisziplinären Arbeitsablauf vereinfachen, sondern auch für mehr Transparenz im Umgang mit Patientendaten sorgen.
4. Haftungsfragen und Patientensicherheit
In Einrichtungen, in denen mehrere medizinische Fachbereiche zusammenarbeiten, stellt sich die Frage der Haftung bei Behandlungsfehlern. Die Verantwortung für Diagnose und Therapie verläuft oft über verschiedene Ebenen, was die Haftungsfrage relativ komplex macht.
- Haftungsverteilung in Teams: Gesetzliche Klarstellungen zur Haftungsaufteilung innerhalb multiprofessioneller Teams könnten dabei helfen, die individuelle Verantwortung bei Behandlungsfehlern eindeutig zu regeln. Solche Regelungen würden das Haftungsrisiko für einzelne Beteiligte reduzieren und Vertrauen in kooperative Versorgungsmodelle schaffen.
- Risikomanagement und Qualitätssicherung: Verbindliche gesetzliche Standards für ein umfassendes Risikomanagement sowie einheitliche Qualitätsrichtlinien könnten eine bedeutende Rolle bei der Sicherung der Patientensicherheit spielen. Einheitliche Vorschriften für FAZ und PVZ würden nicht nur die Identifizierung und Kontrolle potenzieller Risiken erleichtern, sondern auch eine solide Grundlage für die kontinuierliche Überwachung und Verbesserung der Versorgungsqualität bieten. Aktuell fehlen jedoch in vielen Bereichen verbindliche Standards, die speziell auf diese Versorgungsmodelle zugeschnitten sind, was die Etablierung von einheitlichen Qualitäts- und Sicherheitsstandards erschwert.
5. Fazit: Ein klares Bekenntnis zu rechtlichen Reformen
Facharzt- und Primärversorgungszentren sind vielversprechende Modelle für eine nachhaltige, zukunftsorientierte Gesundheitsversorgung, stoßen jedoch weiterhin auf erhebliche rechtliche Barrieren. Gesetzgeber, Berufsverbände und Datenschutzbehörden stehen daher in der Pflicht, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, die nicht nur die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, sondern auch den speziellen Anforderungen dieser interprofessionellen Modelle gerecht werden.
Eine zukunftsgerichtete Reform des rechtlichen Rahmens könnte es Facharzt- und Primärversorgungszentren ermöglichen, ihre Rolle in der Entlastung des Gesundheitssystems voll auszuschöpfen. Klare und moderne rechtliche Vorgaben würden nicht nur die Versorgungsqualität und die Sicherheit der Patienten verbessern, sondern auch die Effektivität der interdisziplinären Zusammenarbeit steigern und langfristig zur Stabilisierung des gesamten Gesundheitswesens beitragen.
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Foto: IStock