Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 09.11.2021 einen bemerkenswerten Hinweisbeschluss erlassen. Der BGH hat ausgefügt, dass ein Kaufvertrag über den Patientenstamm einer Zahnarztpraxis gegen das berufsrechtliche Verbot der Zuweisung gegen Entgelt verstoße und zudem sogar Korruption darstellen könne.
Wir fassen das Wichtigste für Sie wie folgt zusammen:
Sachverhalt
„Der Kläger ist niedergelassener Zahnarzt in Regensburg. Die Beklagte betrieb dort bis zum 30. Juni 2018 ebenfalls eine Zahnarztpraxis, die über einen Stamm von rund 600 Patienten verfügte. Die Parteien (= beide Zahnärzte; Anmerkungen durch den Verfasser) unterzeichneten am 25. Mai 2017 mit Blick auf die (…) beabsichtigte Aufgabe ihrer Praxis einen „Kaufvertrag [über den] Patientenstamm“. Der Vertrag sieht in § 1 die Veräußerung des Patientenstamms der privat- und vertragszahnärztlichen Praxis der Beklagten an den Kläger sowie die künftige Versorgung der Patienten durch diesen vor.“
Der Kaufvertrag enthielt u.a. folgende Regelungen:
- Eine Umleitung sämtlicher Anrufe von der alten in die neue Zahnarztpraxis,
- eine Umleitung der Aufrufe der Internetseite der alten auf die neue Domain,
- eine vollständige Übernahme der (analogen und digitalen) Patientenkartei nach Zahlung des Kaufpreises, soweit eine schriftliche Einwilligungserklärung der Patienten vorliege,
- die Vereinbarung eines Kaufpreises für den Patientenstamm sowie für die Domain und Telefonnummer (Goodwill) i.H.v. 12.000 €.
Die Entscheidung – Achtung Korruption?
Der BGH hat in seinem Hinweisbeschluss hierin einen Verstoß gegen § 8 Abs. 5 der Berufsordnung (für Zahnärzte in Bayern) gesehen.
Nach § 8 Abs. 5 ist es einem Zahnarzt nicht gestattet, für die Zuweisung von Patienten oder Untersuchungsmaterial ein Entgelt oder eine sonstige wirtschaftliche Vergünstigung zu fordern, sich versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.
Da es sich bei dieser Regelung um ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB handelt, hat der BGH den Kaufvertrag als nichtig angesehen. Darüber hinaus sieht der BGH durch die Vertragsgestaltung eine grundsätzliche Zuführung im Sinne der antikorruptionsrechtlichen Vorschriften gem. §§ 299a, 299b StGB.
Praxistipp
Der Beschluss des BGH hat für die Beratungspraxis weitreichende Folgen. Zwar führt der BGH aus, dass ein Verkauf einer (Zahn-)Arztpraxis im Ganzen selbstverständlich möglich und zulässig ist. Allerdings stellen sich bei dem Lesen des Beschlusses schon ganz erhebliche Fragen, wie z.B.:
Was bedeutet der Beschluss für Praxen , z.B. für psychotherapeutische Praxen, die meist über kein Praxisinventar verfügen? Können diese Praxen nicht mehr verkauft werden?
Was ist mit Praxen, bei denen der ideelle Wert den materiellen deutlich übersteigt?
Und wie viel muss der materielle Wert am Gesamtkaufpreis mindestens ausmachen?
Warum ist der Verkauf des ideellen Wertes gemeinsam mit den materiellen Werten in Ordnung, während der ausschließliche Verkauf des ideellen Wertes bzw. Patientenstamm eine Zuweisung gegen Entgelt ist?
Der BGH lässt all diese Fragen leider unbeantwortet.
Für die Beratungspraxis heißt das:
Eine Praxis sollte im Ganzen verkauft werden. Geschieht dies nicht, schwebt das Damoklesschwert der Korruption und somit der Strafbarkeit über dem Vertrag bzw. den Vertragspartnern. Freilich ist diese Situation sehr unbefriedigend, gerade in Fällen, in einen die Praxis nur (oder weit überwiegend) aus dem ideellen Wert besteht, der wiederum maßgeblich auf den Patientenstamm zurückzuführen ist. Obige Fragen zu Grunde gelegt, scheint es, als dass der BGH die praktischen Auswirkungen nicht bedacht hat. Dies zeigt sich vor allem auch daran, dass der BGH die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zur Übertragung der Patientenkartei völlig außer Acht lässt (wie Sie einen Praxiskaufvertrag datenschutzrechtlich sicher gestalten, erfahren Sie hier.) Jedenfalls muss der Gestaltung von Praxiskaufverträgen nun noch mehr rechtliche Aufmerksamkeit geschenkt werden.