Das Landgericht München I hat sich mit der Fernbehandlung von Adipositas befasst und wichtige Klarstellungen zur Reichweite des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) getroffen. Im Fokus stand die Frage, unter welchen Voraussetzungen Pharmaunternehmen, Online-Apotheken oder ärztliche Dienstleister für verschreibungspflichtige Präparate – hier die sogenannte„Abnehmspritze“ – werben dürfen. Das Urteil bietet Unternehmen und Ärzten eine praxisrelevante Orientierungshilfe und grenzt zulässige von unzulässigen Werbemaßnahmen eindeutig ab.
Hintergrund: Online-Apotheke wirbt direkt bei Verbrauchern
Eine niederländische Online-Apotheke bewarb in Deutschland eine verschreibungspflichtige „Abnehmspritze“ direkt gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern. Anstelle eines persönlichen Arzt-Patienten-Kontakts war lediglich ein Online-Fragebogen vorgesehen. Warnhinweise und die Möglichkeit, die Therapie fortzusetzen oder abzubrechen, wurden zwar angeboten – doch eine ärztliche Untersuchung und Nachsorge fanden nicht persönlich statt. Eine deutsche Apothekerkammer beanstandete diese Werbemaßnahme mit einem Eilantrag.
Gerichtliche Bewertung: Persönliche ärztliche Betreuung unverzichtbar
Das LG München I betonte: Eine alleinige Anamnese per Fragebogen genügt den anerkannten medizinischen Standards bei Adipositas-Behandlungen nicht. Die Richter hoben hervor, dass eine persönliche ärztliche Konsultation vor Verordnung notwendig ist, um Risiken und Nebenwirkungen angemessen beurteilen zu können. Hierbei haben sie sich unter anderem auf die eigenen Warnhinweise der Online-Apotheke gestützt. Zudem stellte das Gericht klar, dass engmaschige Nachsorge und Patientenüberwachung unerlässlich sind – beides sei ohne realen ärztlichen Kontakt nicht gewährleistet. Weder das Angebot der Online-Apotheke noch die dahinterstehenden ärztlichen Strukturen hielten diesen Erfordernissen Stand.
Rechtlicher Rahmen: Heilmittelwerbegesetz im Fokus
Das Landgericht München I hat vor allem die spezifischen Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) als Grundlage für seine Entscheidung herangezogen. Zentral sind hierbei die Bestimmungen der §§ 9 und 10 HWG, die klare Restriktionen für die Werbung im Gesundheitsbereich setzen. Diese Vorschriften sind darauf ausgerichtet, sowohl den Missbrauch als auch mögliche Gefahren, die durch unsachgemäße Werbung entstehen können, für Patientinnen und Patienten zu minimieren.
Nach § 9 HWG ist es untersagt, für Fernbehandlungen zu werben, sofern nach allgemein anerkannten medizinischen Erkenntnissen hierfür ein persönlicher ärztlicher Kontakt erforderlich ist. Eine Werbung ist also nur dann zulässig, wenn durchgehend sichergestellt ist, dass der medizinische Standard auch ohne unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakt gewahrt bleibt. Dies kann etwa im Rahmen strukturierter Videosprechstunden zutreffen, sofern eine kontinuierliche ärztliche Betreuung gewährleistet ist.
Im vorliegenden Sachverhalt zeigt sich, dass die ausschließliche Erhebung anamnestischer Daten mittels eines Online-Fragebogens den fachlichen Anforderungen an eine qualifizierte Anamnese bei der Behandlung der Adipositas mit der Abnehmspritze nicht genügt. Insbesondere die individuelle Risikobetrachtung und die sorgfältige Abklärung möglicher Nebenwirkungen erfordern nach der aktuellen medizinischen Leitlinie eine persönliche Konsultation. Damit wird die Notwendigkeit unterstrichen, die Besonderheiten und Komplexitäten des Einzelfalls im persönlichen ärztlichen Gespräch zu erfassen, um eine verantwortungsvolle und rechtssichere Behandlung zu gewährleisten.
Weiterhin muss Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente nach § 10 Abs. 1 HWG ausschließlich auf Fachkreise wie Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker beschränkt bleiben. Diese Regelung verhindert grundsätzlich eine direkte Bewerbung solcher Präparate gegenüber der Allgemeinheit, um sicherzustellen, dass eine fachgerechte und informierte Verwendung erfolgt, welche durch qualifiziertes Fachpersonal unterstützt wird.
Fazit
Das Urteil des LG München I verdeutlicht, dass im Bereich der Telemedizin ein hohes Maß an Sorgfalt und rechtlicher Absicherung erforderlich ist. Insbesondere bei der Bewerbung verschreibungspflichtiger Arzneimittel sind persönliche ärztliche Konsultationen und eine engmaschige Nachsorge unverzichtbar, um die Sicherheit von Patientinnen und Patienten zu gewährleisten. Damit setzt das Gericht klare Maßstäbe, die alle Beteiligten – von Pharmaunternehmen über Online-Apotheken bis hin zu medizinischen Dienstleistern – kennen müssen.
Praxistipp
Wer telemedizinische Leistungen anbietet oder verschreibungspflichtige Arzneimittel bewerben möchte, sollte die strengen Regelungen des Heilmittelwerbegesetzes bereits bei der Konzeptentwicklung berücksichtigen. Die Anforderungen sind anspruchsvoll und entwickeln sich stetig weiter – gerade vor dem Hintergrund digitaler Innovationen im Gesundheitswesen. Um die Möglichkeiten der Digitalisierung sicher und verantwortungsvoll zu nutzen, empfiehlt sich eine fachkundige rechtliche Begleitung. Wir beraten Sie praxisnah und individuell dabei, Ihr digitales Angebot rechtssicher zu gestalten und Abmahnrisiken wirksam zu begegnen. Sprechen Sie uns gerne an.