23. August 2022

Eine Frage, die sicherlich ab Herbst dieses Jahres wieder relevant wird: Verfällt der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers, wenn dieser während des Urlaubs in Quarantäne ist?

Oder anders ausgedrückt:

Muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub nach gewähren, wenn sich der Arbeitnehmer während des Urlaubs in eine behördlich angeordnete Quarantäne begeben muss? Wie schon das Arbeitsgericht Neumünster hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (LAG) entschieden (Urteil v. 15.02.2022, Az. 1 Sa 208/21) und damit die Vorinstanz bestätigt, wer in Quarantäne ist, ist nicht auch automatisch arbeitsunfähig.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der in Rede stehenden Rechtsfrage zugelassen worden. Nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Beschluss vom 16.08.2022 sich zur Sache geäußert:

BAG: Gilt Urlaub wäh­rend einer Qua­ran­täne als genommen?

Im zu beurteilenden Fall beantragte der Arbeitnehmer für die Zeit vom 12.10. – 21.10.2020 Urlaub. Der Arbeitgeber bewilligte den Urlaub. In der Folgezeit hatte der Arbeitnehmer Kontakt zu einer mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Person. Die örtlich zuständige Behörde erließ daraufhin am 14.10.2020 einen Bescheid über die Absonderung des Arbeitnehmers in die häusliche Quarantäne, und zwar für die Zeit vom 09.10. – 21.10.2020.

Während dieser Zeit durfte der Arbeitnehmer nun seine Wohnung ohne Zustimmung des Gesundheitsamtes nicht verlassen. Auch war es ihm verboten, haushaltsfremde Personen in seiner Wohnung zu treffen. Nach Beendigung der Quarantänezeit (und des Urlaubs) stritten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer jetzt darum, ob dieser Zeitraum als Urlaub zu betrachten sei oder nicht.

Bisherige Auffassung der BAG zum Urlaubsanspruch und Entscheidung des LAG

„Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.“

§ 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG)

Das BUrlG legt fest, dass ein Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch nicht verliert, wenn er während des bereits bewilligten Urlaubszeitraums arbeitsunfähig erkrankt. Da der Arbeitnehmer in dem geschilderten Fall nicht krank war, sondern sich in Quarantäne begeben musste, greift § 9 BUrlG nicht unmittelbar. Der Arbeitnehmer würde den Urlaubsanspruch also verlieren.

§ 9 BUrlG ist auch nicht analog auf den Fall der Anordnung einer Quarantäne anzuwenden. Eine Analogie erfordert sowohl eine planwidrige Lücke als auch eine vergleichbare Interessenlage. Es liegt schon keine planwidrige Lücke vor. Die Begrifflichkeiten, unter anderem des Ansteckungsverdächtigen, sind seit langem bekannt. Sie wurden aus dem BSeuchG in das Infektionsschutzgesetz übernommen.

Das BAG vertritt seit über 25 Jahren die Auffassung, dass eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG wegen seines Ausnahmecharakters nicht in Betracht kommt. Der Gesetzgeber hat auf diese Rechtsprechung reagiert und eine § 9 BUrlG entsprechende Regelung für den Fortbestand des Urlaubsanspruchs während eines Beschäftigungsverbotes im MuSchG eingefügt (§ 24 S. 2), nicht aber eine Regelung im Infektionsschutzgesetz. (so z.B. das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.02.2022, Az.: 1 Sa 208/21).

Die Entscheidung des BAG

Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet.

Der EuGH soll nun klären, ob der Arbeitgeber aus dem Unionsrecht verpflichtet ist, einem Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub nachzugewähren, wenn dieser während des Urlaubs einer Quarantäneanordnung unterliegt.

Rechtlich wird dem EuGH die konkrete Frage gestellt, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, dass der Arbeitgeber den Urlaub nicht nachgewähren muss, weil der Arbeitnehmer nicht krank war. Der Ausgang des Vorabentscheidungsersuchens ist abzuwarten, um die Frage nach der Urlaubsgewährung endgültig klären und beantworten zu können.

Praxistipp

Aufgrund des Vorabentscheidungsverfahren und dem generellen schnellen Wandel im Arbeitsrecht ist der Arbeitgeber gut beraten, frühzeitige anwaltliche Hilfe anzunehmen. Insbesondere das Arbeitsrecht bedarf einer engmaschigen anwaltlichen Betreuung. Kennen Sie in diesem Zusammenhang unsere MedizinanwälteFlat?

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