26. August 2024

Wenn ein Arbeitnehmer krankgeschrieben ist, zahlt der Arbeitgeber in Deutschland bis zu 6 Wochen weiterhin das Gehalt – das ist im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) geregelt. Aber was passiert, wenn der Arbeitgeber den Verdacht hat, dass die Krankheit nur vorgetäuscht war? Kann er bei Täuschung über eine Krankheit das bereits gezahlte Geld zurückfordern? Genau darum ging es in einem ganz aktuellen Fall des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.07.2024, 12 Sa 1266/23), den wir hier verständlich für Sie zusammenfassen:

Der Hintergrund des Streits

Ein Produktionsleiter, der seit November 2021 in einem Unternehmen beschäftigt war, erhielt am 26. Oktober 2022 eine mündliche Kündigung von seinem Vorgesetzten. Am darauffolgenden Tag, dem 27. Oktober 2022, meldete er sich krank und erschien nicht mehr zur Arbeit. Bereits am 28. Oktober 2022 folgte die schriftliche Kündigung, die das Arbeitsverhältnis zum 30. November 2022 beenden sollte.

Kurz nach Erhalt der Kündigung legte der Arbeitnehmer ärztliche Atteste vor, die bescheinigten, dass er vom 27. Oktober bis zum 30. November 2022 arbeitsunfähig sei. Zunächst erhielt er eine Erstbescheinigung für den Zeitraum vom 27. Oktober bis zum 10. November 2022, gefolgt von einer Folgebescheinigung, die seine Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. November 2022 bestätigte.

Trotz seiner ausgewiesenen Erkrankung nahm der Produktionsleiter in dieser Zeit an zwei Handballspielen teil – einmal als Spieler und einmal als Schiedsrichter. Der Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer weiterhin während der gesamten Krankschreibung entlohnte und insgesamt über 4.000 Euro zahlte, erfuhr später von den Handballaktivitäten.

Daraufhin forderte der Arbeitgeber das gezahlte Geld zurück und warf dem Mitarbeiter vor, seine Krankheit nur vorgetäuscht zu haben, um nicht arbeiten zu müssen. Aus Sicht des Unternehmens sei das sportliche Engagement des Mitarbeiters ein klarer Hinweis darauf, dass er in Wirklichkeit arbeitsfähig war und die Krankmeldung missbräuchlich verwendet habe, um sich der Arbeitspflicht zu entziehen.

Die Positionen der Parteien

Der Arbeitgeber führte an, dass die Teilnahme des Mitarbeiters an den Handballspielen sowie der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der mündlichen Kündigung und der darauf folgenden Krankmeldung deutliche Zweifel daran aufkommen ließen, dass der Mitarbeiter tatsächlich krank war. Zudem wies der Arbeitgeber darauf hin, dass die Erstbescheinigung eine Dauer von 15 Tagen abdeckte, was die in der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie empfohlene Höchstdauer von zwei Wochen überschreitet. Aus Sicht des Arbeitgebers war der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) dadurch erschüttert, sodass der Mitarbeiter die Krankheit hätte beweisen müssen – was dieser  nicht tat. Daher sei die Entgeltfortzahlung unrechtmäßig erfolgt.

Der Mitarbeiter hingegen betonte, dass er tatsächlich krank gewesen sei und dass die ärztlichen Bescheinigungen dies klar belegten. Er argumentierte, dass das bloße Bestreiten des Arbeitgebers nicht ausreiche, um den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzuzweifeln.

Das Urteil des Gerichts zur Täuschung der Krankheit

In der ersten Instanz entschied das Arbeitsgericht Cottbus zugunsten des Mitarbeiters und lehnte die Rückforderung ab. Das Gericht betonte, dass ärztliche Bescheinigungen in der Regel einen hohen Beweiswert haben und nicht ohne Weiteres infrage gestellt werden können. Es wurde nicht nachgewiesen, dass die Handballaktivitäten im Widerspruch zu seiner Erkrankung standen. Auch wurde auf die Möglichkeiten, den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) zur Begutachtung hinzuziehen, hingewiesen.

Das LAG Berlin-Brandenburg entschied anders und der Arbeitgeber konnte die Rückzahlung der bereits gezahlten Entgeltfortzahlung verlangen. Die zweite Instanz sah den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigungen als erschüttert an, da der Mitarbeiter nichts zu seiner Erkrankung und den möglichen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit vorgetragen hatte. Die unstreitigen Indizien (Teilnahme an den Handballspielen, Krankschreibung genau bis zum Ende der Kündigungsfrist und Ausstellung der Erstbescheinigung entgegen der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie für mehr als 2 Wochen), verstärkten den Verdacht des Arbeitgebers. Es war nun Aufgabe des Arbeitnehmers vorzutragen, welche tatsächlichen physischen oder psychischen Hintergründe vorgelegen haben, sodass er infolge Krankheit an der Arbeitsleistung im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG gehindert war. Dies hat er nicht getan, sodass die Behauptung des Arbeitgebers, dass der Arbeitnehmer in der ganzen Zeit gar nicht krank war, als zugestanden gilt. In dem Zusammenhang hat das Berufungsgericht auch betont, dass eine fehlende vorherige Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) hier nicht entgegensteht. Der Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers war daher berechtigt.

Tipp bei erkennbarer Täuschung einer Erkrankung

Dieser Fall zeigt, wie wichtig es ist, dass Krankmeldungen sowohl von Arbeitnehmern einerseits als auch von attestierenden Ärzten nicht auf die leichte Schulter genommen werden dürfen.

Ärztliche Bescheinigungen haben zwar einen hohen Beweiswert und bieten damit einen starken Schutz für Arbeitnehmer, aber sie können unter bestimmten Umständen zu Recht angefochten werden. Wenn beispielsweise sportliche Aktivitäten während einer laufenden Krankschreibung ausgeübt werden, kann das den begründeten Verdacht erzeugen, dass eine Arbeitsunfähigkeit nicht vorlag. Der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen einer Kündigungserklärung und einer Arbeitsunfähigkeit, die genau den Zeitraum der Kündigungsfrist abdeckt, können nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ebenfalls ernsthafte Zweifel begründen und verstärken dann auch den Verdacht des Arbeitgebers.

Auch seitens der ausstellenden Ärzte ist größte Sorgfalt geboten: Hier gilt erstmal der Grundsatz, dass die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht für einen mehr als 2 Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden soll (§ 5 Abs. 4 S. 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie). Etwas anderes bedarf besonderer Gründe, die in einem Rechtsstreit wie dem vorliegenden Fall nötigenfalls dann auch der Arbeitnehmer selbst vortragen und beweisen muss; ggf. muss sich dann allerdings auch der attestierende Arzt erklären und dies kann für diesen ebenfalls erhebliche Folgen haben, wenn sich eine AU als falsch erweist. Siehe hierzu Gefälligkeitsatteste: Ärzte können sich strafbar machen! und Missbrauch von Gesundheitszeugnissen: Die Folgen und Strafen

Eines steht fest: Es ist heute keineswegs ausgeschlossen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) erfolgreich anzufechten, wenn berechtigte Zweifel vorliegen. Doch der Weg dahin erfordert ein sehr präzises und durchdachtes Vorgehen. Arbeitgeber sollten in solchen Fällen frühzeitig rechtlichen Beistand in Anspruch nehmen, um die Situation umfassend zu prüfen und die richtigen Schritte einzuleiten. Dabei ist es wichtig, alle relevanten Beweismittel zu sammeln und taktisch klug vorzugehen, um mögliche Risiken zu minimieren und eine fundierte Entscheidung treffen zu können. So können Sie als Arbeitgeber sicherstellen, dass unberechtigte Entgeltfortzahlungen vermieden werden und Sie rechtlich auf der sicheren Seite stehen. Sprechen Sie uns an, wir begleiten Sie im gesamten Prozess, außergerichtlich und falls erforderlich auch im gerichtlichen Verfahren.

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