Rechtssicher durch den Mitarbeiterübergang nach § 613a BGB – Fachliche Analyse & Praxisempfehlungen für Übernehmende
Einleitung: Praxisübernahme bleibt Favorit bei Existenzgründern
Die Übernahme einer bestehenden Einzelpraxis ist und bleibt die populärste Form des Berufseinstiegs in der Heilberufe-Welt. Rund 60 % aller ärztlichen und zahnärztlichen Existenzgründer wählen diesen Weg – nicht zuletzt wegen des niedrigeren Finanzierungsvolumens gegenüber einer Neugründung (Ø Praxisübernahme: ca. 323.000 €, Neugründung: etwa 422.000 €). Neben Patientenstamm, Ausstattung und etablierten Abläufen ist dabei ein Faktor für den nachhaltigen Praxiserfolg jedoch zentral: das erfahrene Praxispersonal.
Die entscheidende Frage: Muss der neue Inhaber das gesamte Team übernehmen?
Kurze Antwort: Ja – mit ganz wenigen Ausnahmen.
Gesetzliche Grundlage: § 613a BGB
Der gesetzlich verankerte Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 BGB verpflichtet den neuen Praxisinhaber, sämtliche zum Übertragungszeitpunkt bestehenden Arbeitsverhältnisse zu unveränderten Konditionen zu übernehmen. Dies umfasst zahnärztliche und nicht-zahnärztliche Mitarbeitende gleichermaßen, unabhängig davon, ob wirtschaftliche oder persönliche Gründe dagegensprechen.
Zentrale Norm (Auszug):
„Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein.“
Praxistipp:
Unmittelbar vor Vertragsabschluss sollten sämtliche Arbeitsverträge und Zusatzvereinbarungen gesichtet werden. Nur so lassen sich Haftungsrisiken und finanzielle Verpflichtungen realistisch einschätzen.
Kündigungsschutz: Keine Kündigung wegen des Übergangs
Der Schutz des Personals bei einem Betriebsübergang ist umfassend:
Laut § 613a Abs. 4 BGB ist jede Kündigung „wegen des Betriebsübergangs“ durch Alt- oder Neuinhaber unwirksam.
Achtung: Das gilt unabhängig davon, ob die Kündigung vor, während oder kurz nach der Übernahme ausgesprochen wird.
Praktische Folge: Arbeitsverträge „wandern“ inhaltlich 1:1 mit – sämtliche Konditionen (Arbeitszeiten, Gehalt, Urlaub, Gratifikationen, Sonderzahlungen, etc.) bleiben bestehen. Auch betriebliche Übung geht über.
Informations- und Widerspruchsrechte der Belegschaft
Transparente Kommunikation ist Pflicht: Die Beschäftigten müssen vor dem Übergang schriftlich – idealerweise gemeinsam von Alt- und Neuinhaber – nach § 613a Abs. 5 BGB über folgende Punkte informiert werden:
- Zeitpunkt/Geplanter Zeitpunkt des Übergangs
- Grund des Übergangs
- Rechtliche, wirtschaftliche und soziale Folgen für die Arbeitnehmer/innen
- Geplante Maßnahmen bzgl. der Mitarbeitenden
Widerspruchsrecht: Innerhalb eines Monats nach Zugang der Information können Mitarbeitende schriftlich widersprechen.
Folge: Das Arbeitsverhältnis bleibt beim bisherigen Inhaber. Gibt dieser sein Unternehmen vollständig auf, kommt (in der Regel) eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht.
Gestaltungsmöglichkeiten – und ihre Grenzen
Gestaltungsspielräume bestehen, sie sind jedoch stark eingeschränkt:
- Eine einseitige Änderung laufender Verträge durch den neuen Praxisinhaber ist ausgeschlossen. Anpassungsbedarf (z. B. bei Arbeitszeit oder Vergütung) kann ausschließlich im gegenseitigen Einvernehmen per Änderungsvertrag erfolgen.
- Ohne Einigung bleibt nur der arbeitsrechtlich zulässige Weg der Änderungskündigung oder (bei Vorliegen eines anerkannten Grundes) der ordentlichen Kündigung – stets unter Beachtung des Kündigungsschutzgesetzes!
Wichtiger Hinweis: Langjährige Teammitglieder genießen häufig besonderen Kündigungsschutz – sowohl wegen der Dauer der Betriebszugehörigkeit als auch etwaiger sozialer Aspekte.
Besonderheit: Mitarbeitende in Elternzeit
Auch Arbeitsverhältnisse, die während des Übergangs aufgrund von Elternzeit ruhen, sind geschützt. Diese Personen haben nach ihrer Rückkehr einen verbindlichen Anspruch auf Beschäftigung zu den im Vertrag vereinbarten Konditionen. Sämtliche Vorgaben des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) sind zwingend zu beachten.
User Experience: Klare Übersicht & Handlungsempfehlungen
Checkliste für Übernehmende:
- Alle Arbeitsverträge & Zusatzvereinbarungen vorab sorgfältig prüfen
- Belegschaft vollständig & rechtzeitig nach § 613a BGB informieren
- Konditionen und eventuelle Änderungswünsche individuell besprechen
- Auf korrekte rechtliche Formulierung achten (insbesondere bei Kündigungen & Änderungsverträgen)
- Elternzeit- und Sonderfälle gezielt erfassen und berücksichtigen
Praxistipp
Bei Übernahme einer ärztlichen oder zahnärztlichen Praxis gehen die Arbeitsverhältnisse des Personals kraft Gesetzes auf den neuen Inhaber über – zu sämtlichen bestehenden Konditionen. Ein Kündigungsrecht wegen des Wechsels besteht nicht. Anpassungen sind nur einvernehmlich oder über die arbeitsrechtlichen Instrumente der Änderungskündigung möglich. Sorgfalt bei der Vertragsprüfung und transparente Kommunikation sind der Schlüssel für einen konfliktfreien Übergang und den langfristigen Erfolg eines generationenübergreifend starken Praxisteams.
Mehr auch unter: https://medizinrecht-blog.de/arbeitsrecht/praxispersonal-praxisuebernahme/
