8. Dezember 2021

Zum Beginn des neuen Jahres jährt sich das „neue“ Mutterschutzgesetz zum fünften Mal. Die Arbeitswelt und die Bedürfnisse berufstätiger Mütter hatten sich seit erstmaligem Inkrafttreten des Mutterschutzgesetz 1952 spürbar verändert, so dass das Mutterschutzgesetz grundlegend reformiert werden sollte. Dies vor allem im Interesse der (werdenden) Mütter, die natürlich auf der einen Seite vor Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz für sich und ihre Kinder geschützt werden sollen, auf der anderen Seite allerdings auch durch eine Schwangerschaft oder auch danach während der Stillzeit nicht in ihrem beruflichen Fortkommen behindert werden sollen. Mutter werden und die Ausübung des Berufs soll sich nicht gegenseitig ausschließen. Beides soll im Einklang stehen, Stichwort: Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Wie so oft liegen auch hier Wunsch und Wirklichkeit allerdings noch weit auseinander. Die Praxis zeigt, dass auch das „neue“ Mutterschutzgesetz, welches seit 01.01.2018 in Kraft ist, immernoch mehr Fragen aufwirft als Lösungen. Essentielle praktische Fragen, die eigentlich nach der Intention des Gesetzgebers mit dem reformierten Mutterschutzgesetz gelöst werden sollten, sind auch noch vier Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht beantwortet. Gerade im Bereich des Gesundheitswesens ist das geradezu fatal, da gerade dieser Bereich von zunehmend weiblichen Beschäftigten gerade auch in der Ärzteschaft geprägt ist und im Gesundheitswesen der Fachkräftemangel mehr als deutlich spürbar ist.

Offener Kritik: „Realität verheerend“

Entsprechend deutlich ist auch die Kritik in einer gemeinsamen Erklärung des Deutschen Ärztinnenbundes, des Hebammenverbands, des Pflegerats und auch der Bundesärztekammer. Mit einem offenen Brief hatten sie sich an die Politik gewandt und sehr deutlich gemacht, dass die Realität „verheerend“ ist (vgl. Deutscher Ärztinnenbund e.V.: Offener Brief an 3 Bundesministerien: DÄB fordert endlich Taten beim Mutterschutz (aerztinnenbund.de)). Die Reform habe in vielen Einrichtungen statt zu einem diskriminierungsfrei gestalteten Mutterschutz zu einer noch häufigeren Verhängung von Beschäftigungsverboten geführt. Die Schriftführer*innen fordern, dass endlich Taten folgen müssen, denn bisher fehlt es nach wie vor an eindeutigen Regeln und Handlungshilfen für eine praktikable Umsetzung des Mutterschutzgesetzes. Verwiesen wird insofern auch auf den nach § 30 MuSchG gesetzlich vorgesehenen Ausschuss für Mutterschutz, der bisher offenbar noch keine spürbaren Ergebnisse im Hinblick auf klare Regeln und Handlungshilfen im Umgang mit dem Mutterschutz geliefert hat. Gerade im Gesundheitswesen, insbesondere in Arzt- und Zahnarztpraxen sowie auch Kliniken, wäre das von erheblicher Bedeutung.

Viele praxisrelevante Fragen noch unbeantwortet

Es fehlt nach wie vor nach einer wünschenswerten einheitlichen und konkreten Bewertung zumutbarer Tätigkeiten im Gesundheitswesen während einer Schwangerschaft und Stillzeit. Unbeantwortet bleiben nach wie vor die Fragen, welche konkreten Tätigkeitsbereiche wirklich eine unverantwortbare Gefährdung für Mutter und Kind darstellen, mit welchen zumutbaren Schutzmaßnahmen wirklich effektiv eine unverantwortbare Gefährdung ausgeschlossen werden kann und was hierfür im Einzelnen genau zu tun ist. Nur wenn diese entscheidenden Fragen auch für die einzelnen Gesundheitsbereiche ganz konkret beantwortet werden, können sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerseite die jeweilige Entscheidung für oder gegen ein (teilweises) Beschäftigungsverbot mit gutem Gefühl vertreten, nachvollziehen und vor allem auch leben.

Gesetzliche Vorgaben des Mutterschutzgesetz sind unzureichend

Das Gesetz sieht zwar vor, dass die Arbeitgeber für jeden Arbeitsplatz eine generelle Gefährdungsbeurteilung durchzuführen haben. Sobald sie von einer Schwangerschaft einer Mitarbeiterin erfahren, müssen sie zudem eine individuelle Gefährdungsbeurteilung durchführen und dabei prüfen, für welche Tätigkeitsbereiche sie zum Schutz von (werdender) Mutter und Kind zumutbare Schutzmaßnahmen ergreifen können, um eine unverantwortbare Gefährdung auszuschließen. Dies Angaben sowie auch die Auflistung der unzulässigen Tätigkeiten, gerade auch im Umgang mit Gefahr- und Biostoffen, sind allerdings für die Beantwortung im Einzelfall unzureichend. Denn nach der Rechtsprechung muss auch bei der Beurteilung, ob eine Tätigkeit eine unverantwortbare Gefährdung darstellt, auch eine Abwägung zur Wahrscheinlichkeit vorgenommen werden: Je schwerwiegender der potentielle Gesundheitsschaden durch eine Tätigkeit für Mutter und/oder Kind ist, desto geringer reicht die Wahrscheinlichkeit eines potentiellen Schadeneintritts für die Annahme einer unverantwortbaren Gefährdung und umgekehrt. So die Theorie. Aber was bedeutet das im Einzelnen?

Der Teufel steckt im Detail

Der Teufel steckt bekanntlich im Detail und überfordert regelmäßig Praxisinhaberinnen und Klinikchefsinnen. Gleichzeitig sind dafür verantwortlich, die Arbeitsbedingungen und die hierfür erforderlichen Schutzmaßnahmen wirksam festzulegen. Aus Angst vor potentiellen Gesundheitsschäden und dem Vorwurf, nicht genug für den Arbeitsschutz der Mitarbeiterinnen getan zu haben, ist man daher nachvollziehbarer Weise eher vorsichtig. Diese Vorsicht führt dann allerdings gerade im Gesundheitswesen schnell zu einem Beschäftigungsverbot, um potentielle Gesundheitsgefahren gerade auch durch Infektionskrankheiten in jedem Fall zu vermeiden. Zudem gibt es gerade für Ärztinnen und Zahnärztinnen, deren Aufgabe gerade darin besteht, Patienten zu behandeln, oftmals aufgrund bestehender Strukturen keine sinnvolle Möglichkeit der Arbeitsplatzumgestaltung oder eines zeitweisen Arbeitsplatzwechsels.

Zukunftsfähigkeit des Gesundheitswesen gestalten

Die Zukunftsfähigkeit des Gesundheitswesen steht damit ersichtlich auf dem Spiel. Fakt ist, dass das Gesundheitswesen zunehmend weiblich ist und die Funktionsfähigkeit wird noch eher an seine Grenzen stoßen, wenn Frauen schon während der Ausbildung oder dem Studium und später im Beruf aufgrund einer Schwangerschaft in ihrer beruflichen Entwicklung gehindert und ausgebremst werden. Für ein zukunftsfähige Gestaltung der Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen müssen Zeiten der Schwangerschaft, vor allem auch der Stillzeit unbedingt mitbedacht werden, auch von Seiten der Politik. Kernstück für den Arbeitgeber bei seiner individuellen Arbeitsplatzgestaltung ist die Gefährdungsbeurteilung. Bisweilen wird dies oftmals eher als lästiges Übel oder reiner Formalismus angesehen. Gerade hier könnte allerdings für Arbeitgeber eine Chance gesehen werden, um innovative Lösungen für zukunftsfähige Arbeitsplätze gerade auch für Mütter im Gesundheitswesen zu entwickeln. Mit dem Ursprungsgedanken des Mutterschutzgesetzes, eine Diskriminierung und berufliche Benachteiligung von (werdenden) Müttern zu vermeiden, können Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung für sich zu Nutze machen, um auch ihre Praxisstrukturen und Tätigkeitsbereiche gänzlich zu überdenken, um damit als attraktiver Arbeitgeber, der wirklich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf lebt, deutlich zu punkten. Gibt es z.B. Möglichkeiten, auch abseits der Patientenbehandlung Ärztinnen und Zahnärztinnen in der Praxis oder Klinik zumindest für einen begrenzten Zeitraum einzusetzen, wenn bestimmte Behandlungsfelder wie z.B. bestimmte Operationen oder zahnärztliche Behandlungen für die Zeit der Schwangerschaft oder Stillzeit nicht verantwortbar sind? Gibt es Möglichkeiten, die Videosprechstunde für sich nutzbar machen zu können? Können Teilbereiche in der klinischen Ausbildung und im Studium durch digitale Lösungen ersetzt werden und somit Fehlzeiten vermieden werden?

Arbeitgeber im Kreuzfeuer – Klare Handlungsempfehlungen erforderlich

Damit Arbeitgeber hier zukunftsfähig agieren können, braucht es gleichzeitig klare Handlungsanweisungen seitens des Gesetzgebers und vor allem seitens des Ausschusses für Mutterschutz, der genau hierbei den Arbeitgeber im Einzelnen wirksam unterstützen soll. Nach fast fünf Jahren haben sich nach unserem Kenntnisstand noch keine für die Arzt- und Zahnarztpraxen wirklich hilfreichen Empfehlungen ergeben, auf die sich Arbeitgeber für ihre Praxisentscheidung valide und einheitlich berufen könnten. Dies ist umso tragischer, wenn man bedenkt, dass Arbeitgeber bei Mitteilung einer Schwangerschaft von heute auf morgen vor vollendete Tatsachen gestellt werden und ad hoc Entscheidungen treffen müssen, für die der Ausschuss für Mutterschutz nach auch fast fünf Jahren offenbar noch keine tragfähige Lösung gefunden hat. Arbeitgeber stehen daher mit ihrer Entscheidung alleine da und müssen gleichzeitig befürchten, dass Krankenkassen die gesetzlich vorgesehenen Erstattungsansprüche für Mutterschutzlohnzahlungen in Frage stellen und hier vor allem erstmal Fakten schaffen, indem sie Zahlungen aussetzen und die Arbeitgeber auf den Kosten sitzen bleiben. Zumindest fürs Erste. Denn ob die Krankenkassen rechtmäßig handeln, z.B. nach 12 Monaten einfach die Erstattung des Mutterschutzlohns auszusetzen, obwohl die gesetzliche Grundlage dafür fehlt, müsste erstmal gerichtlich diskutiert werden. Dies dauert und belastet regelmäßig auch das Verhältnis zu den Mitarbeiterinnen.

Praxistipp zum Mutterschutzgesetz

Die Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens muss bei allen politischen Entscheidungsträgern die oberste Priorität haben. Dazu gehört auch, das Mutterschutzgesetz so zu gestalten, dass Arbeitgeber hiermit auch wirklich was anfangen können und nicht Gefahr laufen müssen, ihre Entscheidung entweder gegenüber der Mitarbeiterin, der Krankenkasse oder sogar der Aufsichtsbehörde mühsam rechtfertigen zu müssen. Es müssen Taten folgen, jetzt. Gleichzeitig sollten sich Arbeitgeber proaktiv auf den Weg machen und schon heute an Morgen denken. Sie sollten in jedem Fall ein ganzheitliches Schutz- und Beschäftigungskonzept im Umgang mit Schwangerschafts- und Stillzeiten für sich entwickeln, um damit zukunftsfähig zu bleiben. Dies geht nur mit fachlicher betriebsmedizinischer und rechtlicher Expertise und wird sich am Ende als Investition in die Zukunft in jedem Fall auszahlen.

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