Nach langer Zeit wurden am Donnerstag beim ersten Senat des Bundesgerichtshofes unter dem Vorsitz von Professor Büscher mal wieder Wettbewerbsverfahren verhandelt, die für viele unserer Mandanten relevant sind. Natürlich konnten wir uns das nicht entgehen lassen und haben uns auf den Weg nach Karlsruhe gemacht, um beide Verhandlungen persönlich anzuhören und Ihnen aus erster Hand berichten zu können. Der erste Fall betraf die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Medikaments durch die Apotheke. In der zweiten Verhandlung ging es um die Frage, ob es sich bei einer Mundspülung mit einem Chlorhexidin gehalt von 0,12% um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt oder doch um ein Kosmetikum.
Medikamentenabgabe ohne Verschreibung (I ZR 123/13)
An einem Samstagvormittag suchte eine Kundin die Apotheke auf und verlangte nach einem verschreibungspflichtigen blutdrucksenkenden Mittel (Tri-Normin 25). Dieses war ihr ausgegangen. Das Krankheitsbild der Patientin war nach dem Vortrag der Beklagten bedenklich, es hätte durchaus zu einer lebensgefährlichen Situation kommen können. Die Kundin war der Apotheke bereits bekannt, jedoch hatte sie dieses Mal kein Rezept dabei. Die Mitarbeiterin der Apotheke versuchte daraufhin, den behandelnden Arzt der Patientin zu erreichen. Dies gelang aber nicht, sodass sie eine andere Ärztin anrief und um eine Anweisung bat.
Nach dem Vortrag der beklagten Apotheke ließ sich die Ärztin telefonisch die Situation und den Zustand der Patientin schildern und gab nach Schilderung der Sachlage telefonisch die Anweisung, das Medikament auszuhändigen. Die Verschreibung wollte sie am Montag schriftlich nachreichen.
Tatsächlich wurde am Montag dann ein Rezept durch die Patientin vorgelegt. Dieses war allerdings nicht von der Ärztin, die telefonisch zur Ausgabe des Medikamentes riet, sondern von dem behandelnden Arzt der Patientin ausgestellt worden, den diese zwischenzeitlich erreicht hatte. Die Ärztin dagegen stellte nach dem Vortrag der Beklagten kein Rezept mehr aus, weil bereits eines vorlag.
Die Parteien streiten nun darüber, ob eine dem § 4 Abs. 1 AMVV genügende Verordnung vorlag, weil die Ärztin nur telefonisch die Verschreibung ankündigte, tatsächlich aber kein Rezept ausstellte.
Weiter streiten sie darüber, ob die Abgabe des Medikamentes unter dem Gesichtspunkt des sogenannten rechtfertigenden Notstandes ausnahmsweise zulässig war, ob die beklagte Apotheke das Medikament also abgeben durfte, um das Leben der Patientin zu retten. Zwar drohte bei nachträglicher Sicht keine konkrete Gefahr, die beklagte Apotheke beruft sich aber darauf, dass auf die Situation am Apothekentresen abgestellt werden muss. Zu diesem Zeitpunkt hätte angesichts des Krankheitsbildes der Patientin niemand sicher sagen können, ob diese es ohne die Medikamente bis zum nächsten Notdienst schafft.
Zuletzt wurde in der Verhandlung die Frage aufgeworfen, ob die Abgabe eines einzelnen verschreibungspflichtigen Medikamentes überhaupt die Interessen der Marktteilnehmer überhaupt spürbar beeinträchtigen konnte. Der Bundesgerichtshof tendierte in der mündlichen Verhandlung eher dazu, diese Frage zu bejahen, da die maßgebliche Vorschrift eine sogenannte Marktverhaltensvorschrift ist und ein Verstoß die Interessen der Verbraucher damit immer spürbar beeinträchtige. Es sei keine Einzelfallentscheidung zu treffen.
Zwischenzeitlich ist in dieser Sache eine Entscheidung ergangen. Der Bundesgerichtshof hat die Abgabe des Arzneimittels für unzulässig erachtet. Die Begründung zu dieser Entscheidung liegt uns noch nicht vor. Sollte der Bundesgerichtshof tatsächlich entschieden haben, dass keine Verordnung durch einen Arzt vorlag, weil das nachgereichte Rezept von einem anderen Arzt ausgestellt wurde, ergibt sich daraus eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die Apotheken. Wir werden Sie über die Entscheidung und die hieraus erwachsenden Konsequenzen jedenfalls auf dem Laufenden halten.
Mundspülung mit Chlorhexidin – Arzneimittel oder Kosmetikum? (I ZR 141/13)
In der zweiten Verhandlung hofften die Parteien nach jahrelanger Rechtsunsicherheit endlich auf eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob es sich bei einer 0,12%igen Chlorhexidin-Mundspül-Lösung, um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt oder doch um ein Kosmetikum.
Das Verfahren ist bereits über 8 Jahre(!) alt. Immer wieder wechselte die Akte die Gerichte, war zwischenzeitlich auch schon beim Bundesgerichtshof und beim Europäischen Gerichtshof, ging dann zurück an die Vorinstanz und landete nun erneut beim ersten Senat des Bundesgerichtshofes.
Chlorhexidin Arzneimittel oder Kosmetikum
Auch nach der Verhandlung ist die richtige Einordnung der Produkte aber (leider) noch nicht abschließend geklärt und die Reise der Akte noch nicht beendet – der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt zwar aufgehoben, aber keine Entscheidung getroffen, sondern an dieses zurückverwiesen.
Der Senat bezweifelte in der mündlichen Verhandlung die Auffassung der Vorinstanz (OLG Frankfurt), wonach ein Funktionsarzneimittel deshalb vorliege, weil die Mundspülung mit einer Wirkungsangabe beworben werde. Denn nur weil dem Mittel eine Wirkung zugesprochen wird, bedeutet dies nicht, dass diese Wirkung pharmakologisch ist. Die pharmakologische Wirkung sei aber Voraussetzung für ein Funktionsarzneimittel.
Damit wird nun das Oberlandesgericht Frankfurt Beweis darüber erheben müssen, ob die Mundspülung pharmakologisch wirkt oder nicht. Hierzu wird wohl ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen. Folglich wird sich der Prozess vermutlich noch längere Zeit hinziehen.
Nicht nur die Parteien, sondern auch alle anderen Hersteller von Mundspülungen, müssen damit weiterhin auf einer unsicheren Rechtslage agieren. Wir wünschen uns und Ihnen, dass die Fragen bald endgültig geklärt werden. Wir halten Sie in jedem Fall auf dem Laufenden.