19. Juni 2017

Die Praxisübernahme einer Einzelpraxis ist deutschlandweit die beliebteste Form der Existenzgründung. 60% aller Existenzgründer entscheiden sich dafür, die Praxis eines anderen zu übernehmen. Das Finanzierungsvolumen liegt bei der Praxisübernahme mit durchschnittlich ca. € 323.000,00 deutlich unter dem Finanzierungsvolumen von Praxisneugründungen in Höhe von ca. € 422.000,00. Existenzgründer können anhand bereits vorhandener Patientenzahlen und Umsätzen aus den letzten Quartalen und Jahren sich im Vorfeld ein Bild über das Potenzial der Praxis machen. Nicht zu vergessen ist auch das bereits vorhandene Praxispersonal, welches oftmals aufgrund bereits langjähriger Praxiszugehörigkeit u.a. die Patienten kennt und mit den Praxisabläufen vertraut ist.

Doch was ist, wenn man zwar ein Interesse an den Praxisräumlichkeiten, dem Inventar und dem Patientenstamm hat, allerdings nicht auch das gesamte Praxispersonal übernehmen möchte? Die Gründe hierfür können ganz unterschiedlicher Natur sein. Entweder der Personalkostenaufwand ist zu hoch oder auf persönlicher Ebene liegt man mit der einen oder anderen Mitarbeiterin nicht auf einer Wellenlänge.

Muss der oder die neue Praxisinhaber/in auch das Personal übernehmen und wenn ja, zu welchen Konditionen?

Praxisübernahme betrifft auch das vorhandene Praxispersonal

Wer sich als Zahnarzt oder Zahnärztin niederlassen möchte und hierfür eine Praxis eines anderen erwirbt, muss auch das gesamte vorhandene Praxispersonal mit übernehmen. Dies ist gesetzlich in § 613 a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) festgelegt. Darin heißt es: Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über (Betriebsübernahme), so tritt dieser in die Recht und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis ein.

Der Betriebsübergang bei Praxisübernahme betrifft sowohl die zahnärztlichen als auch die nicht-zahnärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der neue Chef muss das Personal zu unveränderten Konditionen vom Vorgänger übernehmen. Eine Kündigung der Mitarbeiter durch den alten oder neuen Chef wegen der Praxisübernahme ist unwirksam, § 613 Abs. 4 BGB.

Für den neuen Chef ist daher von besonderer Bedeutung, dass alle laufenden Verträge, aus denen sich Verbindlichkeiten ergeben, so insbesondere auch die Arbeitsverträge im Vorfeld aushändigen lässt, um die Inhalte und ihre Reichweite für den Fall der Praxisübernahme zu kennen und einschätzen zu können. Entscheidet er sich für die Praxisübernahme, entscheidet er sich auch für das Praxispersonal.

Mitarbeiter schriftlich informieren

Ist die Praxisübernahme beschlossene Sache, müssen die Mitarbeiter entweder durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Arbeitgeber vor dem Praxisübergang schriftlich hierüber unterrichtet werden, § 613 a Abs. 5 BGB. Am Besten informieren sogar beide gemeinsam die Mitarbeiter. Der bisherige Praxisinhaber kann dadurch zeigen, dass er sich um seine Mitarbeiter und den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kümmert. Der neue Praxisinhaber kann sich auf diese Weise den zukünftigen Mitarbeitern vorstellen und bereits seine Anerkennung und das Interesse an der Praxisfortführung im vorhandenen Team bekunden.

Im Rahmen der Unterrichtung nach § 613 a Abs. 5 BGB müssen die Mitarbeiter 1. über den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs, 2. den Grund für den Übergang, 3. die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Praxisübergangs sowie 4. über die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen schriftlich unterrichtet werden. Möchte einer der Mitarbeiter nicht unter dem neuen Chef in der Praxis weiter arbeiten, hat er oder sie das Recht, innerhalb von einem Monat dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den neuen Praxisinhaber schriftlich zu widersprechen, § 613 a Abs. 6 BGB. Die Folge des Widerspruchs ist, dass das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Praxisinhaber bestehen bleibt. Der bisherige Praxisinhaber hätte jedoch dann die Möglichkeit das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zu kündigen, wenn er nach der Praxisabgabe z.B. aus Altersgründen auch keine zahnärztliche Tätigkeit weiterhin ausführen wird.

Alles beim Alten

Widersprechen die Mitarbeiter nicht gegen die Praxisübernahme, geht das Arbeitsverhältnis 1:1 auf den neuen Praxisinhaber über. In vielen Punkten bleibt also alles beim Alten. Der neue Praxisinhaber tritt in die Fußstapfen des bisherigen Praxisinhabers und ist an die Rechte und Pflichten aus dem vor seiner Zeit abgeschlossenen Arbeitsvertrag genauso gebunden wie auch die Mitarbeiter. Alle Regelungen aus dem Arbeitsvertrag wie z.B. Arbeitszeit, Gehalt und Urlaubstage gelten weiterhin. Ist eine Mitarbeiterin nur in Teilzeit an 3 Tagen die Woche in der Praxis angestellt gewesen und hatte gleichwohl 30 Urlaubstage pro Kalenderjahr, bleibt es auch dabei.

Auch an bereits bestehende Vereinbarungen zu prozentualen Umsatzbeteiligungen für zahnärztliche Mitarbeiter oder auch Prophylaxehelferinnen sowie sonstige Gratifikationen, die vertraglich vereinbart oder aufgrund betrieblicher Übung im Laufe der Zeit Teil des Arbeitsverhältnisses geworden sind, bleibt der neue Praxisinhaber gebunden. Gerade deswegen ist für diesen um so wichtiger, dass er sich durch Vorlage der Arbeitsverträge ein genaues Bild über seine Rechte und Pflichten als neuer Arbeitgeber gegenüber dem alten Praxispersonal im Vorfeld eine genaue Status-Quo-Analyse vornimmt.

Andererseits gelten aber auch unter dem neuen Chef die gleichen Kündigungsfristen wie im Verhältnis zum bisherigen Praxisinhaber. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist bei Vorliegen der entsprechenden Kündigungsgründe unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfristen selbstverständlich weiterhin möglich. Die Kündigung darf nur nicht aufgrund bzw. wegen der Praxisübernahme erfolgen (§ 613 a Abs. 4 BGB). Gerade bei Kündigungen, die zumindest einen zeitlichen Zusammenhang zur Praxisübernahme aufweisen, ist daher im Vorfeld ganz genau darauf zu achten und am besten rechtlich überprüfen zu lassen, ob das Kündigungsverbot nach § 613 a Abs. 4 BGB der Wirksamkeit einer Kündigung nicht entgegen steht-

Gestaltungsspielräume im bestehenden Arbeitsverhältnis

Möchte ein neuer Chef an den Mitarbeitern dauerhaft festhalten, was bei einer Praxisübernahme auch erstmal die Regel sein sollte, hält er bestimmte arbeitsvertragliche Konditionen für nicht dauerhaft tragbar, stellt sich die Frage, ob es hier Gestaltungsspielräume im bestehenden Arbeitsverhältnis gibt. Dies dürfte vor allem für vertraglich vereinbarte Vergütungsmodelle oder Arbeitszeiten relevant sein.

Da einzelne Vertragsbestandteile nicht einseitig vom Arbeitgeber abgeändert werden dürfen, vor allem wenn der Arbeitnehmer dadurch schlechter gestellt wird als vorher, besteht nur die Möglichkeit sich entweder mit den betroffenen Mitarbeitern entsprechend zusammen zu setzen und einen neuen Arbeitsvertrag auszuhandeln (Änderungsvertrag). Oder der Praxisinhaber muss, weil eine „Neuverhandlung“ in der Praxis oftmals schwer zu vermitteln und umzusetzen ist, unter Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere Beachtung des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG), dem betroffenen Mitarbeiter kündigen und ggf. neues Personal einstellen.

Nicht selten sind Mitarbeiter aus Zeiten des Praxisvorgängers bereits seit Jahren oder Jahrzehnten in der Praxis angestellt. Aufgrund der entsprechend langen Kündigungsfristen und u.a. auch der Frage der soziale Rechtfertigung ist eine wirksame ordentliche Kündigung durch den neuen Praxisinhaber nicht so einfach durchzusetzen, in der Konsequenz aber auch ggf. gar nicht gewollt. Immerhin handelt es sich um erfahrene Mitarbeiter, die die Praxisabläufe kennen und die für die erfolgreiche Fortführung der Praxis einen sehr hohen Stellenwert haben können. Möchte der neue Praxisinhaber an dem Arbeitsverhältnis als grundsätzlich festhalten und sieht gleichwohl das Erfordernis, einzelne Vereinbarungen abzuändern, gibt es nur die Möglichkeit, eine Änderungskündigung auszusprechen.

Änderungskündigung

Die Änderungskündigung ist die Kündigung des bisherigen Arbeitsvertrages verbunden mit dem Angebot eines neuen Arbeitsvertrages, um das Arbeitsverhältnis zu neuen bzw. geänderten Bedingungen fortzusetzen. Der Praxisinhaber muss jedoch darauf achten, dass gerade im Falle, dass das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, diese Form der Kündigung genauso der gerichtlichen Überprüfung stand halten muss, wie jede andere ordentliche Kündigung auch. Das bedeutet, dass der neue Praxisinhaber sich vorher genau überlegen muss, welche Gründe er hier anführen kann, damit die Kündigung überhaupt wirksam wäre, selbst wenn bei Einverständnis der Mitarbeiter am Ende das Arbeitsverhältnis zu den vom Arbeitgeber gewünschten neuen Konditionen fortgeführt wird. Dies sollte vorher im Einzelnen rechtlich geprüft werden.

Mitarbeiterinnen in Elternzeit

Schließlich sollten sowohl vom Vorgänger als auch vom neuen Praxisinhaber die Mitarbeiterinnen nicht vergessen werden, deren Arbeitsverhältnisse beispielsweise aufgrund von Elternzeit vor, während und nach der Praxisübernahme noch ruhen. Der neue Praxisinhaber sollte bedenken, dass diese Mitarbeiterinnen auch nach der Praxisübernahme einen Anspruch auf Rückkehr auf ihren Arbeitsplatz haben. Der neue Praxisinhaber sollte daher die betroffenen Mitarbeiterinnen im Hinterkopf behalten und sich vor allem auch mit den Regelungen Bundeselterngeld und – Elternzeitgesetz (BEEG) gründlich befassen, damit er weiß, welche Ansprüche Mitarbeiter in Elternzeit haben und welche Regelungen und auch Kündigungsschutzvorschriften hier zu beachten sind.

Praxistipp:

Die Praxisübernahme wird bei Existenzgründungen nach wie vor favorisiert. Im Rahmen der Kaufentscheidung sollte sich der neue Praxisinhaber in jedem Fall alle Arbeitsverträge der Praxis vorzeigen lassen. Nur dann kann er auch einschätzen, welche Verbindlichkeiten auf ihn zukommen. Denn mit der Übernahme der Praxis geht auch das Praxispersonal mit über, sofern diese nicht widersprechen.

Der neue Praxisinhaber tritt damit in alle Rechte und Pflichten aus dem bereits vorhandenen Arbeitsvertrag ein. Sich von diesen Mitarbeitern ggf. doch zu trennen, ist aufgrund des Kündigungsverbotes im Falle einer Kündigung wegen der Praxisübernahme (§ 613 a Abs. 4 BGB) oder der oftmals langen Praxiszugehörigkeit nicht unproblematisch. Dies muss zum einen wohl überlegt sein und sollte in jedem Fall vorab rechtlich geprüft werden, um etwaige gerichtliche Streitigkeiten zu vermeiden.

 

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4 Antworten

  1. Bestimmt gibt es solche Muster. Haben Sie aber Verständnis, dass wir solche Muster nicht im Angebot haben, weil wir denken, dass individuell erarbeitete Verträge der Bedeutung der Angelegenheit deutlich mehr entsprechen. Ein Arbeitsvertrag sollte z.B. auch zum Ausdruck bringen, welcher Arbeitgeber Sie sein wollen und sind. Bereits das kann ein Muster nicht leisten.

  2. Guten Tag,
    Ich hätte eine Frage zur Probezeit bei Praxisübernahme. Ich bin angestellte Frauenärztin und die Praxis wird demnächst übergeben. Wir haben den alten Vertrag erneut erhalten, wo wieder die Rede von 3 Monaten Probezeit ist. Darf der neue Chef auch wieder Probezeit anordnen?
    Herzliche Grüße Katja Eckstein

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