15. Dezember 2016

Das Bundessozialgericht sorgte mit seiner Entscheidung zur Frage der Nachbesetzung einer ¼-Arztstelle in einem MVZ für Aufsehen. Nachdem der bisher erschienene Terminsbericht Nr. 19/16 vom 04.05.2016 (http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=tm&Datum=2016&nr=14253) des 6. Senats erahnen ließ, dass das Urteil erhebliche Konsequenzen im praktischen Umgang  mit freiwerdenden Arztstellen mit sich bringen würde, bestätigte sich dies in den nunmehr vorliegenden Urteilsgründen des Bundessozialgericht vom 04.05.2016, B 6 KA 21/15 R.

Zum Fall der Nachbesetzung

In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte ein HNO-Arzt auf seine vertragsärztliche Zulassung zugunsten der Anstellung in dem klagenden MVZ, welche in einem für diesen Fachbereich wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereich lag, verzichtet. Nachdem der Zulassungsausschuss die Anstellung bei der Klägerin genehmigt hatte, nahm der Arzt seine Tätigkeit im MVZ auf, jedoch antragsgemäß nur im Umfang einer ¾-Arztstelle (23,5 Wochenstunden). Nach 1,5 Jahren beendete der Arzt seine Angestelltentätigkeit im MVZ wieder. Die Stelle wurde durch die Klägerin zunächst mit einer ¼-Stelle (10 Wochenstunden) antragsgemäß nachbesetzt. Kurze Zeit später beantragte die Klägerin die Nachbesetzung im Umfang einer weiteren ¾-Stelle (30 Wochenstunden). Dies lehnte der Zulassungsausschuss jedoch ab und genehmigte die Nachbesetzung nur im Umfang einer halben Stelle (20 Wochenstunden). Dies mit der Begründung, dass eine Nachbesetzungsmöglichkeit von vorneherein nur im Gesamtumfang einer ¾-Stelle bestanden habe, weil auch der zuvor ausgeschiedene HNO-Arzt nur in diesem Umfang tätig war. Eine volle Stelle habe es somit nie gegeben.
Nachvollziehbarer Weise wandte sich das MVZ gegen diese Entscheidung, u.a. mit der Begründung, dass der ausscheidende Arzt ursprünglich immerhin auf seine volle Zulassung zugunsten der Anstellung verzichtet habe, welches einer Übertragung der Zulassung auf das MVZ gleichkomme. Die Reduktion der Arbeitszeit eines angestellten Arztes könne jedenfalls nicht mit dem endgültigen teilweisen Verzicht auf eine Arztstelle verbunden sein.

Nachdem die Klägerin erstinstanzlich mit ihrem Einwand noch Erfolg hatte (SG München, 19.09.2013, S 43 KA 1437/11), scheiterte sie jedoch vor dem Berufungsgericht (Bayrisches LSG, 14.01.2015, L 12 KA 31/14) sowie nunmehr auch im Revisionsverfahren vor dem Bundesozialgericht.

Die Urteilsgründe

Das Bundessozialgericht folgte der Auffassung des beklagten Zulassungsausschusses und der Berufungsinstanz. Unter Verweis auf § 52 S. 2 Bedarfplanungs-RiLi stellte der Senat zunächst klar, dass die Möglichkeit der Nachbesetzung einer Arztstelle im MVZ sich in einem Gebiet mit Zulassungsbeschränkungen daran zu orientieren habe, wie die Stelle bisher besetzt war. Nur so würde dem Bestandsschutzinteresse des MVZ auf der einen und dem Ziel des Abbaus der Überversorgung in dem jeweiligen Gebiet auf der anderen Seite Rechnung getragen werden können.

Dem stünde auch nicht entgegen, dass der ausscheidende Arzt ursprünglich auf seine volle Zulassung verzichtet habe, um danach im MVZ als Angestellter tätig zu werden. Der volle Zulassungsverzicht könne nicht dahingehend verstanden werden, dass ein Arzt seine Zulassung in das MVZ „mitnehme“, auch wenn die Gesetzesbegründung zu der hier relevanten Regelung des § 103 Abs. 4a S.1 SGB V diesen Schluss nahe lege (vgl. BT-Drucks 15/151525, S. 112). Nach den Ausführungen des Bundesozialgerichts sei der Verzicht eines Arztes auf seine Zulassung letztlich nur die maßgebliche Grundlage dafür, um eine Anstellungsgenehmigung in einem wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereich überhaupt erteilen zu können. Der Umfang der zu erteilenden Anstellungsgenehmigung könne sich zwar am zeitlichen Umfang der vorherigen Zulassung orientieren, sei hiervon aber nicht abhängig und könne aus Gründen des Abbaus der Überversorgung auch davon nach unten abweichen.

Das Bundessozialgericht sah es aus systematischen Gründen als erforderlich an, dass es sich bei dem auf die Zulassung verzichtenden Arzt und demjenigen, der die angestellte Tätigkeit im MVZ aufnimmt, um ein und dieselbe Person handelt. Denn anders als beim bloßen Verzicht auf die Zulassung durch einen Vertragsarzt oder einem Zulassungsverzicht verbunden mit der Durchführung der Nachbesetzung des Praxissitzes, welche beide erklärtermaßen darauf abzielen, aus dem System gänzlich auszuscheiden, ist die Nachbesetzungsregelung in der hier einschlägigen Konstellation des § 103 Abs. 4a S. 1 SGB V darauf ausgerichtet, dass die Versorgung weitergeführt wird. Es ändere sich lediglich der Status des Arztes, der nunmehr Angestellter ist. Hierdurch wird letztlich gewährleistet, dass das MVZ eine Stelle nicht einfach durch einen selbst erwählten „Nachfolger“ besetzt und somit die Regelung des § 103 Abs. 4c SBG V, die eine Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses bei der Nachbesetzung vorsieht, nicht umgeht.

Anknüpfend an das Erfordernis der Personenidentität, welches sich aus dem erklärten Verzicht auf die Zulassung ergibt, war das Bundessozialgericht gehalten, in einem  weiteren Schritt zu klären, in welchem Umfang die Stelle wiederum vom MVZ nachbesetzt werden könne, wenn der Angestellte, der zuvor auf seine Zulassung verzichtet hatte, seine Tätigkeit in einem MVZ nach einiger Zeit wieder aufgibt. Mangels konkreter Vorgaben orientiert sich der Senat an den Nachfolgevoraussetzungen bei der Praxisnachfolge gemäß § 103 Abs. 3a S. 5 i.V.m S.3 und Abs. 4 S.5 Nr. 6 SGB V durch den dort privilegierten Personenkreis. Hier ist eine vorangegangene Kooperation des Praxisinhabers und seines Nachfolgers von mindestens 3 Jahren vorgesehen, um zu verhindern, dass die Regelung zum Abbau der Überversorgung durch kurze Anstellungs- oder Jobsharings-Verhältnisse umgangen wird. Derselbe Gedanke ließe sich nach Ansicht des Gerichts auch auf die Anstellungsgenehmigung übertragen. Das MVZ erhalte die Anstellungsgenehmigung in einem gesperrten Planungsbereich nämlich nur, weil ein Vertragsarzt als Angestellter im MVZ tätig werden möchte. Die Anstellungsgenehmigung werde jedoch nicht dafür erteilt, damit das MVZ die Gelegenheit bekomme, die Stelle nachbesetzen zu können, ohne an die Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses gebunden zu sein. Das Bundesozialgericht sieht daher für Anstellungsgenehmigungen auch ein striktes Erfordernis, dass der auf die Zulassung verzichtende Arzt tatsächlich beabsichtigt, anschließend 3 Jahre im MVZ tätig zu werden. Denn auch selbst wenn ein Arzt die Anstellung im MVZ vor dem Hintergrund anstrebe, seine Tätigkeit schrittweise (z.B. aus Altersgründen) zu reduzieren, bliebe ihm diese Möglichkeit auch so offen. Der Senat führte insofern beispielhaft an, dass ein Arzt zunächst ein Jahr lang im Umfang, in dem er zuvor als zugelassener Arzt tätig war, im MVZ weiterarbeiten könne und in den folgenden zwei Jahren schrittweise den Tätigkeitsumfang um ¼ des Anrechnungsfaktors reduzieren könne. Eine negative Auswirkung auf das Nachbesetzungsrecht des MVZ sei daher nicht zu befürchten.

Fazit

Möchte sich ein Arzt in einem überversorgten Gebiet in näherer Zukunft zur Ruhe setzen, so wird er sich schon recht frühzeitig über die Ausgestaltung und Umsetzung Gedanken machen müssen. Der Arzt wird berücksichtigen müssen, dass er nicht ohne weiteres in die Angestelltentätigkeit in einem MVZ übergehen kann, wenn er nicht auch beabsichtigt, dort für einige Zeit tätig zu sein.

Umgekehrt wird ein MVZ im Rahmen seiner Personalplanung ein besonderes Augenmerk darauf legen müssen, dass im Zuge der Anstellungsgenehmigung eine Stelle von vorneherein so beantragt und letztlich auch besetzt wird, so dass auch später noch Handlungsoptionen bestehen.

Auch wenn die Nachbesetzung von Arztstellen in gesperrten Planungsbereichen durch dieses Urteil dadurch nicht leichter gemacht wird, sondern ganz im Gegenteil, eine durchaus aufwändige Vorplanung aller beteiligten Akteure erfordert, so erscheint die Auffassung des Bundessozialgerichts dennoch konsequent. Im Bereich der Praxisnachfolge in überversorgten Gebieten sind nur die Bewerber privilegiert, die auch bereits 3 Jahre in Kooperation standen. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, warum nicht die gleiche Wertung bei der Nachbesetzung von Arztstellen im MVZ zum Tragen kommen sollte. Da hier maßgeblich auf den Willen des Angestellten abgestellt wird, wird diese strenge zeitliche Vorgabe durchaus Schwierigkeiten in der Umsetzung und der Nachweisbarkeit mit sich bringen.

Von Seiten des MVZ wird man sich daher hier wohl vertraglich absichern wollen und müssen, der Arzt auf der anderen Seite wird sich dagegen seine Handlungsoptionen offen halten wollen. An den Vorgaben des Bundessozialgerichts führt aber letztlich kein Weg vorbei. Die aufgestellten Kriterien sind nach den ausdrücklichen Worten des Senats für alle Nachbesetzungen fortan zu berücksichtigen, ausgenommen sind nur die Umwandlungsanträge aus der Zeit vor der Urteilsverkündung. Hier gehen Zweifel an der 3-Jahres-Absicht eines auf seine Zulassung verzichtenden Arztes zu Lasten der Zulassungsgremien, die eine erneute Nachbesetzung seiner Arztstelle im MVZ nach dessen Ausscheiden dann nicht versagen dürfen.

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