Mit Urteil vom 27.02.2020 – VII ZR 151/18 hat der BGH die bisher offene Frage entschieden, ob Empfänger von fehlerhaften Medizinproduktes neben dem Hersteller auch die in das Konformitätsbewertungsverfahren eingebundene Benannte Stelle auf Schadensersatz in Anspruch nehmen können. Dies hat der BGH nun bejaht.
Hintergrund des BGH Urteils
Hintergrund des Rechtsstreits ist der Skandal um den französischen Hersteller PIP, welcher für seine Brustimplantate minderwertigen Industriesilikon anstelle des vorgesehenen medizinischen Silikons verwendete. Der Hersteller hat mittlerweile Insolvenz angemeldet, so dass Haftungsansprüche von geschädigten Patienten leerlaufen. Fraglich war daher, ob neben dem Hersteller auch die eingeschaltete Benannte Stelle Adressat von Schadensersatzansprüchen sein kann.
Zunächst ist zum Hintergrund wichtig, dass der Hersteller das Konformitätsbewertungsverfahren für seine Medizinprodukte in eigener Verantwortung durchführt und der Empfänger als Endnutzer die gewählte Benannte Stelle nicht ohne weiteres kennt.
Bisher hatte der BGH die Haftungsfrage offengelassen; der EuGH formulierte bislang dazu nur, dass Benannte Stellen besondere Pflichten zur Herstellerkontrolle treffen können, sofern für das zu prüfende Medizinprodukt Hinweise vorliegen, die auf eine Nichtkonformität mit den Anforderungen der Medizinprodukte-RL 93/74/ERWG schließen können. Nach Ansicht des EuGH würden die Benannten Stellen auch zum Schutz des Endanwenders tätig werden, so dass für § 823 Abs. 2 BGB grundsätzlich Raum bestünde.
Die Entscheidung des BGH
Der BGH stellte in seinem Urteil nunmehr zwei Punkte erstmals klar: ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter liegt zwischen der Benannten Stelle und dem Hersteller nicht vor. Bejaht hat der BGH die grundsätzliche Möglichkeit eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB des Endnutzers gegen die Benannte Stelle. Dazu im Einzelnen:
Nach Ansicht des BGH begründe der Vertrag zwischen Hersteller und Benannter Stelle für den Patienten keine solche Leistungs- bzw. Einwirkungsnähe, dass daraus für den Patienten eigene Ansprüche begründet würden. Der Vertrag wirke sich vielmehr nur mittelbar auf den Patienten aus. Zudem verfolgen Patient und Hersteller unterschiedliche Zwecke: während es dem Hersteller auf wirtschaftliche Vorteile durch die Zertifizierung ankomme, droht dem Patient bei unzureichender Zertifizierung eine Gesundheitsgefahr. Beiden Parteien kommt es folglich auf diametral unterschiedliche Aspekte an. Schließlich habe der Hersteller auch kein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Patienten in den Schutzbereich des Vertrags. Ihm kommt es ausschließlich auf die Marktfähigkeit seines Medizinproduktes an.
Hingegen bejaht hat der BGH die grundsätzliche Möglichkeit, dass der Patient gegen die Benannte Stelle einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB zusteht. Denn die Richter qualifizierten § 6 Abs. 1, 2 i.V.m. § 37 MPG, § 7 Abs. 1 Nr. 1 MPV und Anhang II der Medizinprodukte-RL als Schutzgesetz, so dass der deliktische Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB denkbar ist. Die genannten Normen dienen auch dem Schutz des Patienten als Empfänger des zu zertifizierenden Produktes. Die Gewährleistung dieses Schutzes obliege daher auch der Benannten Stelle, weil ihr eigene Prüf- und Untersuchungspflichten obliegen.
Was heißt das nun für die Praxis?
Dem Patienten als Empfänger des Medizinproduktes wird durch die Entscheidung des BGH ein weiterer potentieller Schuldner eröffnet, welches im Falle von Insolvenzen wie von PIP begrüßenswert ist. Gleichwohl obliegt ihm die Beweislast, dass die Benannte Stelle gegen die genannten Schutzgesetze verstoßen hat. Dies wird sich wohl in der Praxis als durchaus beweisbar zeigen, da unter Berücksichtigung der sekundären Darlegungslast von der Benannten Stelle konkrete Informationen zu fordern sind.
Die Entscheidung, dass einzelne Regelungen aus dem MPG und der Medizinprodukte-RL als Schutzgesetz bewertet werden, ist im Interesse der Rechtssicherheit zu begrüßen. Durch die Entscheidung ist zu hoffen, dass der Patientenschutz weiter gefördert wird, da die Benannten Stellen zur sorgfältigen Kontrolle und Prüfung der Produkte angehalten sind, um potentiellen Haftungsinanspruchnahmen zu vermeiden.
Offen gelassen hat der BGH die spannende Frage, ob und welche konkreten Prüfpflichten die Benannten Stellen nunmehr treffen, welche über ihre Standardprüfungen hinausgehen, sofern von dem Produkt Hinweise auf unzureichende Produktgestaltung ausgehen. Denn eigentlich dürfen die Benannten Stellen erst einmal davon ausgehen, dass der Hersteller ein Medizinprodukt auf den Markt bringt, welches nach den geltenden Vorschriften verkehrsfähig ist.
Der Markt für Medizinprodukte bleibt folglich weiter spannend, da die rechtlichen Anforderungen an alle beteiligten Akteure weiter steigen, um die Produktsicherheit zu stärken und mögliche Gesundheitsgefahren abzuwenden. Gerne beraten wir Sie zur Verkehrsfähigkeit Ihres Produktes und potentiellen Marktrisiken.