24. August 2009

Die in den vor 2002 geschlossenen Chefarztverträgen üblicherweise vereinbarten Entwicklungsklauseln benachteiligen den Arzt und verstoßen somit gegen die für allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) geltenden Wirksamkeitsanforderungen. Das hat das Arbeitsgericht (ArbG) Heilbronn mit Urteil vom 09.04.2008 – 7 Ca 214/08 – entschieden.

Doch was bedeutet das eigentlich?

Was genau ist eine Entwicklungsklausel?

Unter Entwicklungsklauseln versteht man Regelungen im Dienstvertrag eines Chefarztes, durch die sich der Krankenhausträger weitergehende, einseitige Änderungen und Einschränkungen in den dem Chefarzt ursprünglich übertragenen Aufgaben- und Verantwortungsbereichen vorbehält, als es das allgemeine Weisungsrecht (auch Direktionsrecht genannt) vorsieht.

Praktisch bedeutet das, das Krankenhaus behält sich das Recht vor, beispielsweise weitere Chefärzte der gleichen Fachrichtung einzustellen, Bettenzahlen zu verändern, Abteilungen neu aufzuteilen, oder auch – wie im oben genannten Urteil – Leitungsfunktionen im Klinikum einseitig zu entziehen. Solche Veränderungen führen im Ergebnis dann meistens zu finanziellen Einbußen des Chefarztes.

Das allgemeine Direktionsrecht kann nicht die beiderseitigen Hauptleistungen – Vergütungs- und Arbeitspflicht – zum Gegenstand haben. Diese gehören zum Kernbereich des Arbeitsverhältnisses, der nur durch Gesetz, Kollektivvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag gestaltet werden kann.

Deshalb behalten sich Arbeitgeber regelmäßig eine Erweiterung ihres allgemeinen Direktionsrechts eben durch Entwicklungs- oder auch Anpassungsklauseln genannt vertraglich vor.

Gerichtliche Überprüfung einer Entwicklungsklausel nach Maßgabe der §§ 305ff. BGB

Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts am 01.01.2002 erstreckt sich die Kontrolle von vorformulierten Vertragsbedingungen im Sinne der §§ 305ff. BGB auch auf Formulararbeitsverträge.

Eine Erläuterung der gesamten Regelungen für allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) würde an dieser Stelle zu weit führen. Deshalb nur so viel: als AGB bezeichnet man Vertragsregelungen, die für eine Vielzahl von Verträgen einseitig vorformuliert wurden. Aufgrund der Regelungen über die Verwendung von AGB können Gerichte solche Vertragsklauseln auf ihre Inhalte hin überprüfen, um den Schutz der schwächeren Vertragspartei zu gewährleisten.

Haben die Parteien ihren Vertrag hingegen einzeln ausgearbeitet, spricht man von einer Individualvereinbarung; Diese unterliegen nicht der gerichtlichen Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB.

Wie so häufig kommt es auch hier auf den Einzelfall an

Handelt es sich nach den vorstehenden Ausführungen um eine vorformulierte Entwicklungsklausel, muss diese nämlich nicht zwingend unwirksam sein. Erst wenn die Klausel eine Vertragspartei unangemessen benachteiligt, ist sie unwirksam. Ansonsten können die Vertragsparteien aufgrund der Privatautonomie den Inhalt ihres Vertrages frei bestimmen.

Eine unangemessene Benachteiligung kann beispielsweise vorliegen, wenn die Regelung für den Chefarzt unzumutbar oder nicht transparent ist. Dazu im Folgenden mehr.

Der vorliegende Sachverhalt:

In dem vom ArbG Hannover zu entscheidenden Fall, hatte sich der Krankenhausträger das Recht vorbehalten, die der Leitung des Chefarztes unterstellten Abteilungen (wahllos) einzuschränken. Dies hat zwangsläufig zur Folge, dass die ebenfalls vertraglich vereinbarten Liquidationsrechte wahlärztlichen Leistungen bezüglich der beschränkten Abteilungen wegfallen. Vereinbart war, dass der Chefarzt finanzielle Einbußen bis zu einem Höchstbetrag von 25% entschädigungslos hinzunehmen habe. An einen sachlichen Grund war die Einschränkung nicht gebunden. Der Krankenhausträger hatte dem Chefarzt dann unter Berufung auf diese Vereinbarung die Laborleitung entzogen, das von dem Chefarzt entsprechend ausgeübte Liquidationsrecht entfiel ersatzlos. Hiergegen erhob er Klage vor dem ArbG Hannover und obsiegte.

Die Entscheidung:

Das ArbG Hannover entschied, dass in der Entziehung der Laborleitung und dem damit verknüpften Wegfall des ausgeübten Liquidationsrechts eine unangemessen benachteiligende Abweichung von der vereinbarten Vergütungsregelung zu sehen sei. Dies sei dem Chefarzt auch unter Berücksichtigung der Interessen des Krankenhausträgers nicht zumutbar.

Nach Ansicht des ArbG Hannover verstoße die verwendete Klausel bereits gegen das Transparenzgebot, da ihr nicht zu entnehmen sei, unter welchen Voraussetzungen das einseitige Leistungsbestimmungsrecht tatsächlich ausgeübt werden kann.

Die Entwicklungsklausel sei überdies als Widerrufsklausel einzuordnen, da sich der Krankenhausträger einseitig vorbehalte, die dem Kläger unterstellte Abteilung einzuschränken, mit der Folge, dass sein vertraglich vereinbartes Liquidationsrecht entfiele. Maßgeblich für die Beurteilung der Wirksamkeit von Widerrufsklauseln ist § 308 Nr. 4 BGB. Ergänzend sind die allgemeinen Wertungen des § 307 BGB heranzuziehen und nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB die arbeitsrechtlichen Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen.

§ 308 Nr. 4 BGB bestimmt, dass das sich vom Verwender in AGB vorbehaltene Recht, von der versprochenen Leistung abzuweichen, nur wirksam vereinbart ist, wenn der Vorbehalt unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders auch dem anderen Vertragsteil zumutbar ist.

Das ArbG Hannover geht dementsprechend davon aus, dass eine Klausel, die einseitig und ohne konkreten Anlass – mithin jederzeit – zur Einschränkung der dem Chefarzt zur Leitung unterstellten Abteilung berechtigt bzw. ermöglicht in sonstiger Weise faktisch dafür zu sorgen, dass die Liquidationserlöse aus den wahlärztlichen Leistungen gekürzt werden können, zu weit geht. Insbesondere weil es keinerlei Sachgrundes bedarf, liege eine den Chefarzt unangemessen benachteiligende Abweichung der ursprünglich vereinbarten Vergütungsregelung vor, die ihm auch unter Berücksichtigung der Interessen des Krankenhausträgers nicht zumutbar sei. (so im Ergebnis auch BAG Urt. v. 19.12.06 – 9 AZR 294/06)

Im Hinblick auf die Beurteilung der ausreichenden Transparenz der Klausel setzt sich das Arbeitsgericht in Widerspruch zur Entscheidung des 9. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG aaO). Dieser hatte über eine ähnliche Klausel in einem vor dem 01.01.2002 geschlossenen Vertrag zu entscheiden und führte in seinem Urteil insoweit aus:

…Eine Widerrufsklausel ist schon aus Gründen des Transparenzgebotes nach § 307 I 2 BGB so zu fassen, dass der Arbeitnehmer weiß, in welchen Fällen er mit der Ausübung des Widerrufs rechnen muss…Diesem Transparenzgebot wird hier der vom Verwender formulierte Änderungsvorbehalt gerecht; denn er hat ausdrücklich klargestellt, dass der Arbeitnehmer jederzeit und ohne bestimmten Anlass mit dem Entzug der Privatnutzung rechnen muss…Das beinhaltet jedoch eine – wie oben dargestellt – unangemessene Benachteiligung, die nach § 308 Nr. 4 BGB auch unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den Arbeitnehmer unzumutbar und daher unwirksam ist….

Wie sich andere Gerichte zukünftig angesichts der Rechtssprechung des BAG entschließen und welche Begründung sie anführen, bleibt abzuwarten.

In Übereinstimmung mit dem BAG führte das ArbG Hannover weiter aus, dass aufgrund des in § 306 BGB normierten Verbots einer geltungserhaltenden Reduktion nicht in Betracht komme. Das bedeutet, dass die Klausel vom Gericht nicht auf ein mit dem Gesetz in Einklang zu bringendes Maß reduziert wird, sondern vollumfänglich unwirksam ist. Das BAG (aaO) führte insoweit aus:

…Unwirksame Klauseln sind grundsätzlich nicht auf einen mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu vereinbarenden Regelungsgehalt zurückzuführen. § 306 BGB sieht eine solche Rechtsfolge nicht vor…

Als Begründung führen beide Gerichte an, dass dem Vertragspartner des Verwenders von AGB über die § 305 ff. BGB die Möglichkeit eröffnet werden soll, seine Rechte und Pflichten dem vorformulierten Vertrag zu entnehmen. Im Falle einer möglichen Reduktion erlange der Vertragspartner aber immer erst in einem Prozess zuverlässig Kenntnis betreffend den Umfang seiner Rechte und Pflichten. In der Praxis würden dann – so das Gericht – völlig überzogene Klauseln Verwendung finden, da dies keine größeren Konsequenzen für den Verwender hätte. Dies gehe nicht an. Wer AGB verwende, müsse auch das Risiko der Unwirksamkeit einer Klausel tragen.

Die Handhabung bei Verträgen die vor dem 01.01.2002 geschlossen wurden

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Behandlung so genannter Altverträge. Hierunter versteht man Dienstverträge, die vor dem 01.01.2002 und somit nach „altem Recht“ abgeschlossen wurden.

Das ArbG Hannover führte in Anlehnung an das BAG (aaO) aus, dass zwar bei Vertragsschluss die Regelungen über AGB nicht für Arbeitsverträge galten und bei zu weit gefassten Klauseln nach § 242 BGB oder § 315 III BGB jeweils geprüft wurde, ob sich der Arbeitgeber nach Treu und Glauben oder billigem Ermessen entsprechend verhalten hat. Hierfür bleibe bei der nun vorzunehmenden Inhaltskontrolle nach § 307 ff. kein Raum. Die §§ 305 ff. BGB finden seit dem 01.01.2003 auch auf Altverträge uneingeschränkt Anwendung. Der Gesetzgeber hat mit Art. 229 § 5 EGBGB eine Übergangsvorschrift geschaffen; Einziger Sinn dieser Übergangsvorschrift sei gewesen den Arbeitgebern die Möglichkeit zu geben, binnen dieser Jahresfrist ihre Altverträge an die neue Rechtslage nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes anzupassen. Wer dies versäumt habe, könne sich nicht auf sein Vertrauen in den Fortbestand der Altregelung berufen. Nur wer innerhalb dieser Frist seinem Vertragspartner die Anpassung an die neue Gesetzeslage angetragen habe, wäre weiterhin schutzwürdig.

In solchen Fällen käme eine ergänzende Vertragsauslegung i.S.d. § 306 III BGB in Betracht komme, wenn dies die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung der unwirksamen Vertragsklausel gebietet, weil andernfalls die Anforderungen an wirksame Vertragsformulierungen für Altverträge auf eine echte Rückwirkung hinausliefen (so auch schon BAG Urt. v. 12.01.2005 – 5 AZR 364/04; BAG, aaO).

In der Praxis dürfte der Möglichkeit der ergänzenden Vertragsauslegung durch das Gericht indes kaum Bedeutung zukommen. In den seltensten Fällen wird ein Krankenhausträger innerhalb der Jahresfrist dem Chefarzt ein entsprechendes Änderungsangebot vorgeschlagen haben, welches er abgelehnt hat. Allerdings ist das zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit einer vorzunehmenden ergänzenden Vertragsauslegung.

Es bleibt abzuwarten, wie insbesondere Obergerichte diese und die Frage der Beachtung des Transparenzgebotes zukünftig handhaben werden.

Fazit

Entwicklungsklauseln sind nicht per se unwirksam.

Dem Krankenhausträger steht grundsätzlich nicht nur das allgemeine Weisungsrecht des Arbeitgebers zu, er kann sich auch vertraglich die Erweiterung seines Direktionsrechts vorbehalten. Erst wenn die vorformulierte Vertragsklausel den Chefarzt unangemessen benachteiligt oder gegen das Transparenzgebot verstößt, kommt eine Unwirksamkeit der Klausel in Betracht.

So genannte Altverträge sind ebenfalls anhand der Regelungen zu AGB zu beurteilen. Nur in (seltenen) Ausnahmefällen können sich Besonderheiten bei der Auslegung der Entwicklungsklausel ergeben.

Bestehende Altverträge sollten hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den Anforderungen der §§ 305 ff. BGB überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

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