24. August 2020

§ 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG) beinhaltet ein grundsätzliches Verbot der Werbung für digitale medizinische Konsultation. Der Gesetzgeber hat § 9 HWG im Jahr 2019 um einen zweiten Satz ergänzt und eine Ausnahme von diesem grundsätzlichen Verbot der Werbung für Fernbehandlungen geregelt. Demnach ist das Verbot aus Satz 1 nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Damit trug der Gesetzgeber dem Beschluss des 121. Deutschen Ärztetages Rechnung, mit dem eine Anpassung des ärztlichen Berufsrechts im Hinblick auf Fernbehandlungen in die Wege geleitet wurde wurde. 

Mit der Frage, wie die neue Regelung in § 9 Satz 2 HWG auszulegen ist, hatte sich nun das OLG München zu beschäftigen (OLG München, Urteil v. 09.07.2020 – 6 U 5180/19). Das Gericht hat dabei festgestellt, dass der Gesetzgeber auch mit der neuen Regelung des § 9 HWG  an der grundsätzlichen Wertung festgehalten hat, dass eine Werbung für Fernbehandlungen im Interesse der Vermeidung der mit einer solchen Werbung verbundenen Gefahren für die allgemeine Gesundheit im Allgemeinen untersagt ist. Lediglich unter den in § 9 S. 2 HWG genannten Voraussetzungen ist die Werbung mit Fernbehandlungen nunmehr gesetzlich erlaubt. 

Eine Werbung allerdings für ärztliche Fernbehandlungen in Form eines digitalen Arztbesuchs, wobei mittels einer App in Deutschland lebenden Patienten angeboten wird, über ihr Smartphone von Ärzten, die im Ausland sitzen, für nicht näher konkretisierte Behandlungsfälle und -situationen Diagnosen, Therapieempfehlungen und Krankschreibungen zu erlangen, wird von dem Ausnahmetatbestand des § 9 Satz 2 HWG nicht gedeckt.

In dem, dem Urteil zu Grunde liegenden, Sachverhalt ging es um eine Webseite, auf der für ärztliche digitale medizinische Konsultation in Form eines sogenannten digitalen Arztbesuches geworben wurde, wobei mittels einer App in Deutschland lebenden Patienten angeboten wird, über ihr Smartphone per Videoverbindung von in der Schweiz ansässigen Ärzten Diagnosen, Therapieempfehlungen und Krankschreibungen zu erlangen. Es ging also um ein digitales Primärversorgungsmodell, wobei „alternativ zum traditionellen Arztbesuch“ der „digitale Arztbesuch per App“ angepriesen wurde. Dabei wurde damit geworben, dass „erstmals in Deutschland“ die komplette ärztliche Versorgung, nämlich „Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung“, mittels einer App online erfolgen könne („Alles per App“). 

Das OLG München hat dazu festgestellt, dass die Werbung für diese Art der Fernbehandlung auch unter Berücksichtigung der neuen gesetzliche Regelung des § 9 Satz 2 HWG unzulässig ist.

Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber das grundsätzlich geltende Verbot einer Werbung für Fernbehandlungen nach § 9 Satz 1 HWG beibehalten hat. Zwar habe der Gesetzgeber in § 9 Satz 2 HWG nun eine Ausnahme von diesem grundsätzlichen Werbeverbot geregelt, aber eben nur für die Fälle, in denen „nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist“.  Lediglich unter diesen Voraussetzungen ist die Werbung mit der digitale medizinischen Konsultation nunmehr gesetzlich erlaubt. Dabei dürfen, so das OLG München, nur solche digitale medizinischeen Konsultation bei Menschen beworben werden, bei denen die Einhaltung anerkannter fachlicher Standards gesichert ist, wenn also nach dem anerkannten medizinischen Stand der Erkenntnisse eine ordnungsgemäße Behandlung und Beratung unter Einsatz von Kommunikationsmedien grundsätzlich möglich ist.

Digitale medizinische Konsultation

In seiner Urteilbegründung führte das OLG München aus:

„Hierzu führen die Beklagten in ihrer Berufungsbegründung aus, dass in rund 90% der Fälle, weswegen Patienten einen Arzt aufsuchten, eine persönliche Konsultation des Arztes nicht notwendig sei. Diese nicht belegte Behauptung erscheint allerdings wenig nachvollziehbar, nachdem grundsätzlich jeder Krankheitsverdacht nach allgemeinen fachlichen Standards eine Basisuntersuchung erfordert, in der Regel unmittelbar durch Funktionsprüfungen (etwa von Atmung, Kreislauf, Blutdruck) und Besichtigungen, Abtasten, Abklopfen und Abhören des Körpers sowie ggf. der Erhebung weiterer Laborwerte (vgl. Katzenmeier, NJW 2019, 1769 m.w.N. – Haftungsrechtliche Grenzen ärztlicher Fernbehandlung). Bei einer ausschließlichen Videokonsultation, wie sie im Streitfall beworben wurde, muss sich der Arzt demgegenüber von vornherein auf eine verkürzte Wahrnehmung bei der Anamnese verlassen. Der im Fall einer ausschließlichen Fernbehandlung naheliegende Vorwurf einer Vernachlässigung der Befunderhebungspflicht muss den behandelnden Arzt grundsätzlich zu Vorsicht und Zurückhaltung veranlassen, so dass auch nach der Reform des § 7 Abs. 4 MBO-Ä bzw. der Berufsordnungen der Landesärztekammern (die insoweit unterschiedliche Neuregelungen aufweisen) bei dem geringsten Zweifel umgehend eine persönliche Untersuchung des Patienten zu veranlassen sein wird (vgl. Katzenmeier a.a.O.). Die im Streitfall beworbene Ersetzung des persönlichen Arztbesuchs durch eine alternative digitale Fernbehandlung per digitaler App „von der Diagnose über die Therapieempfehlung bis hin zur Krankschreibung“ für nicht näher konkretisierte Behandlungsfälle und -situationen durch in der Schweiz sitzende Ärzte wird von dem Ausnahmetatbestand des § 9 Satz 2 HWG n. F., wonach vorausgesetzt wird, dass ein ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nach allgemein anerkannten Standards in den beworbenen Fällen nicht erforderlich ist, in dieser generellen Weite somit nicht gedeckt. Zwar wird dem von der Werbung angesprochenen potenziellen Patienten, wie von der Beklagten geltend gemacht, grundsätzlich bewusst sein, dass im Wege einer Fernbehandlung in tatsächlicher Hinsicht nur begrenzte Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten des Arztes bestehen, also je nach Krankheitsbild weitergehende Untersuchungen und ärztliche Eingriffe erforderlich sein können. Die streitgegenständliche Werbung berücksichtigt aber nicht, dass auch im Rahmen dieser tatsächlich eingeschränkten Möglichkeiten eine Werbung für Fernbehandlungen nicht generell zulässig ist, sondern nur unter der Voraussetzung, dass bei Einhaltung allgemein anerkannter fachlicher Standards kein persönlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen erforderlich ist im Sinne des § 9 Satz 2 HWG. Wollte man die hier streitgegenständliche Werbung unter die Ausnahmeregelung des § 9 Satz 2 HWG subsumieren, würde das grundsätzliche Werbeverbot für Fernbehandlungen nach § 9 Satz 1 HWG im Übrigen praktisch leerlaufen.“

„Goldstandard“ ärztlichen Handelns

Das Urteil des OLG München ist damit unter zwei Gesichtspunkten interessant: 

Zum einen stellt es klar, dass § 9 Satz 2 HWG als Ausnahmetatbestand zum grundsätzlichen Fernbehandlungsverbot zu verstehen ist und mithin auch entsprechend restriktiv anzuwenden ist. Zum anderen ist aus dem Urteil des OLG München auch herauszulesen, dass das Gericht die Fernbehandlung selbst kritisch sieht. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass sich ein Arzt bei einer ausschließlichen Videokonsultation „von vornherein auf eine verkürzte Wahrnehmung bei der Anamnese verlassen“ muss und sich damit stets dem Vorwurf einer Vernachlässigung der Befunderhebungspflicht ausgesetzt sieht. Das OLG München verweist in seiner Urteilsbegründung darauf, dass die ärztliche Beratung und Behandlung im persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient, das heißt unter physischer Präsenz des Arztes, weiterhin den „Goldstandard“ ärztlichen Handelns darstelle. 

Es stellt sich die Frage, ob dieser Ansatz, dass nämlich die ärztliche Beratung und Behandlung im persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient den „Goldstandard“ ärztlichen Handelns darstellt, richtig und zeitgemäß ist. Mit fortschreitender technischer Weiterentwicklung dürfte diese Annahme immer mehr an Berechtigung verlieren. Angesichts der aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen ist das Urteil des OLG Münchens allerdings nachvollziehbar und richtig. Wer die Fernbehandlung also weiter etablieren und erleichtern möchte, und dazu gehört sicher auch die Werbung für die Fernbehandlung zu erleichtern, der muss den Gesetzgeber auffordern, hier weiter für die notwendigen Klarstellung in den einschlägigen Gesetzen zu sorgen.

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