7. März 2018

Aufsehen erregte diese Strafsache zu Franchisemodellen von Arzt- und Zahnarztpraxen auch in der Tagespresse: Die beiden Angeklagten boten Dienstleistungen im Bereich der Laboratoriumsmedizin an. Zum einen waren dies Beratungsleistungen zum wirtschaftlichen Betrieb und zu Kooperationen im Laborbereich. Zum anderen stellten sie über eine GmbH Laboreinrichtungen inklusive Geräten, Räumen und Personal für Ärzte zur Verfügung. Dies wurde in zahlreichen Verträgen fixiert. Die in den Laboren tätigen Einzelärzte oder Berufsausübungsgemeinschaften rechneten gegenüber den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen „ganz normal“ ab.

Behauptung der KV: Abrechnungsbetrug

Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Staatsanwaltschaft versuchten nun,  einen Betrugsvorwurf zu konstruieren. Sie behaupteten, durch die verschiedenen Verträge seien die einzelnen Ärzte stark an die Angeklagten gebunden gewesen. In Wirklichkeit seien sie  abhängig Beschäftigte gewesen. Voraussetzung der Abrechnung bei Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften sei aber eine Tätigkeit „in freier Praxis“ gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV (§ 32 Abs. 1 S. 1 Zahnärzte-ZV). Somit sei bei den Kassenärztlichen Vereinigungen ein Betrugsschaden von 79 Mio. Euro entstanden. Bereits in erster Instanz beim Landgericht Augsburg konnte diese Argumentation allerdings nicht durchdringen: Das Landgericht verneinte sowohl einen Täuschungsvorsatz als auch einen Vermögensschaden.

BGH: Keine Strafbarkeit

Der Generalbundesanwalt blieb mit seinem Rechtsmittel der Revision gegen dieses Urteil des Landgerichts beim Bundesgerichtshof (BGH) erfolglos (Urt. v. 12.07.2017, Az.: 1 StR 535/16). Der BGH bejahte, dass die einzelnen Ärzte in den „Außenlaboren“ in freier Praxis tätig waren. Seine entscheidenden Kriterien:

·         Tragen des wirtschaftlichen Risikos und Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg der Praxis

Es müsse maßgeblich von der Arbeitskraft des Arztes abhängen, in welchem Umfang er Einkünfte durch die freiberufliche Tätigkeit erziele.

·         Ausreichende Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht

Befugnis, den medizinischen Auftrag nach eigenem Ermessen zu gestalten und Disposition oder Mitwirkung an der Disposition über Räume, Geräte und Personal.

Der BGH betont ausdrücklich, dass der Arzt neben dem wirtschaftlichen Risiko (Beteiligung an Gewinn und Verlust) nicht auch das Vermögensrisiko tragen müsse, um in freier Praxis tätig zu sein. Dabei verweist er auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG): Eine „freie Praxis“ könne man auch dann annehmen, wenn ein Arzt sowohl die Räume als auch die gesamte Praxisausstattung miete. Zudem erkannte der BGH keinen Vorsatz bei den beteiligten Ärzten.

Gestaltung von Franchisemodellen von Arzt- und Zahnarztpraxen

Das Urteil ist eine große Erleichterung für alle Marktakteure, die als „Geber“ oder „Nehmer“ an Franchisemodellen von Arzt- und Zahnarztpraxen beteiligt sind. Der BGH sieht es nicht grundsätzlich als rechtswidrig an, wenn komplette Praxen inklusive Ausstattung vermietet werden, der (Zahn)arzt also praktisch kein eigenes Kapital aufwenden muss. Es kommt nur auf das wirtschaftliche Risiko an, sowie dass ihm bei den Dispositionen über Räume, Geräte und Personal sowie seines medizinischen Auftrages kein zu strenges Korsett angelegt wird. Sicherlich ist das kein Freibrief für Franchisegeber, mit (Zahn)ärzten „Knebelverträge“ abzuschließen – die individuelle Vertragsfreiheit wird jedoch gestärkt. Die deutlichen Worte in beiden Instanzen dürften dafür gesorgt haben, dass der Verfolgungseifer bei Ermittlungsbehörden, sowie Kammern und Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen nachlässt.

Keine Entscheidung zum normativen Schaden

Das Landgericht Augsburg hatte – entgegen der bisherigen BGH-Rechtsprechung – auch einen Vermögensschaden auf Seiten der Kassenärztlichen Vereinigungen bzw. der Krankenkassen abgelehnt. Die Leistungen seien an sich ordnungsgemäß erbracht. Die Krankenkassen seien von ihrer Leistungspflicht gegenüber den Versicherten befreit. In der Vergangenheit nahm der BGH trotzdem in diesen Konstellationen einen „normativen“ Betrugsschaden an. Dies ist betroffenen Ärzten kaum zu erklären. Da der BGH schon die Leistungserbringung als ordnungsgemäß erachtete, musste er diesmal keine Stellung nehmen. Die ausführliche Erwähnung der Kritiker im Urteil lässt jedoch hoffen, dass die Rechtsprechung bei dieser Frage in Bewegung kommt.

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