12. April 2022

Die „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ gilt seit dem 16. März 2022 und noch immer sind viele Fragen offen. Das Arbeitsgericht Gießen verhandelt heute, am 12. April 2022 die Klagen von zwei ungeimpften Seniorenheim-Mitarbeitern. Sie sind ohne Lohnfortzahlung freigestellt worden. Der Ausgang des Verfahrens ist ungewiss. Wir möchten Ihnen einen Überblick verschaffen, was sich seit der gesetzlichen Einführung der „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ getan hat.

Gegenwind bei der Umsetzung der „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“

Nachdem zunächst der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) vor einer Überlastung der Gesundheitsämter warnte und längere Fristen zur Durchsetzung forderte und auch zahlreiche Einrichtungen von drohenden Personalengpässen sprachen, haben sich zahlreiche Länder zunächst dazu entschlossen, die Regelung des § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) auszusetzen. Diese Empfehlungen werden von den Ländern weiter aufrechterhalten.

Die Frage, ob Ärzte oder Krankenhäuser ihrem Personal ein Beschäftigungsverbot erteilen dürfen, auch wenn es noch keine Anordnung vom Gesundheitsamt gibt, ließ das BMG bis zum 16. März 2022 noch offen.

Bundesgesundheitsministerium reagiert

Anschließend positioniert sich das BMG doch noch und es heißt inzwischen auf der Website des BMG:

„Im Hinblick auf Personen, die bereits in den betroffenen Einrichtungen und Unternehmen tätig sind, sind mögliche arbeitsrechtliche Rechtsfolgen abhängig von der Entscheidung des Gesundheitsamtes. Bis das Gesundheitsamt über den Fall entschieden hat und ggf. ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot ausgesprochen hat, ist eine Weiterbeschäftigung der betroffenen Person möglich. Die öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 20a IfSG begründet kein Recht des Arbeitgebers zur Freistellung. Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden können, besteht auch keine Grundlage für kündigungsrechtliche Konsequenzen.“

Handreichung des BMG vom 22. März 2022, Frage 27, Seite 21.

Unbezahlte Freistellung birgt Risiken

Vor dem Hintergrund der Aussagen der BMG sollten Arbeitgeber mit einer unbezahlten Freistellung, die sie allein auf § 20a IfSG stützen, zurückhaltend sein. Bei der unbezahlten Freistellung führen Arbeitgeber in aller Regel auch nicht den Arbeitnehmeranteil an den Sozialversicherungsbeiträgen ab. Da der Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherungsbeiträge unabhängig davon abzuführen ist, ob tatsächlich Arbeitslohn gezahlt wird oder nicht, riskieren Arbeitgeber, die Mitarbeiter ohne vorherige Entscheidung des Gesundheitsamts unbezahlt freistellen, ggf. sogar eine Strafbarkeit wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach §266a StGB.

Aussage des BMG lässt sonstige Pflichten der Arbeitgeber außer Acht

Die Aussage des BMG ist allerdings gefährlich, denn sie stellt allein auf die Vorschrift des § 20a IfSG ab und vermittelt Arbeitgebern, sie könnten Arbeitnehmer ohne Immunitätsnachweis bedenkenlos weiter beschäftigen. Doch bleiben bei der Aussage des BMG andere Arbeitgeberpflichten unberücksichtigt. Eine Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern ohne Immunitätsnachweis, insbesondere dann, wenn diese im Rahmen Ihrer Tätigkeit Kontakt zu vulnerablen Gruppen haben, ist eben nicht ohne Weiteres möglich.

Ganz unabhängig von § 20a IfSG sind Arbeitgeber verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung für ihren Betrieb vorzunehmen und die gebotenen Schutzmaßnahmen zu treffen. Wenn Arbeitgeber dabei zu dem Ergebnis gelangen, dass Mitarbeiter ohne Immunitätsnachweis eine Gefahr darstellen, müssen sie dies in der Gefährdungsbeurteilung festhalten. Darüber hinaus sind die erforderlichen Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Ist danach die eigentliche Tätigkeit von Mitarbeitern ohne Immunitätsnachweis mit der Gefährdungsbeurteilung nicht möglich, müssen Arbeitgeber prüfen, ob ein anderweitiger Einsatz der Mitarbeiter im Betrieb in Frage kommt. Lässt es der Arbeitsplatz zu, kann und sollte der Arbeitgeber dem Mitarbeiter die Beschäftigung im Homeoffice anbieten.

Sofern eine solche Möglichkeit wegen der Art der Beschäftigung oder aus organisatorischen Gründen nicht umsetzbar ist – was im normalen Praxisbetrieb der Regelfall sein dürfte, muss der Arbeitgeber arbeitsrechtliche Konsequenzen prüfen.

Praxistipp zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht

Damit sind die Arbeitgeber mit zahlreichen Fragen und Problemen hinsichtlich der „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ nach wie vor allein gelassen. Sie müssen allerdings entscheiden, wie sie mit Mitarbeitenden umgehen, die keinen Immunitätsnachweis erbracht haben. Wichtig ist, dass die arbeitsrechtlichen Grundsätze beachtet werden. Die vorherige Abklärung, ob nicht eine anderweitige Tätigkeit möglich ist, die Abmahnung und einiges mehr. Wenn Arbeitgeber sich einer solchen Situation ausgesetzt sehen, beraten wir sie gerne, um den Einzelfall rechtssicher zu begleiten.

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