Die Urlaubs- oder Krankheitsvertretung eines ärztlichen Kollegen in dessen Praxis ist unter Vertrags(zahn-)Ärzten die Regel und auch im Interesse der Patienten. Es ist üblich, dass sich Ärzte gegenseitig im Urlaub oder bei längerer Krankheit vertreten. Andere haben gar keine eigene Praxis und sind ausschließlich als Praxisvertreter tätig, wo sonst eine Praxis vorübergehend nicht besetzt wäre. Neben dem Urlaub existieren viele Gründe, die eine Vertretung in der Praxis erforderlich werden lassen. Sei es im Falle von Krankheit, Fortbildung oder sonstigen Verhinderungen. In der Praxis wird hierzu häufig ein sog. Vertretungsvertrag mit einer fixen Vergütung pro Vertretungsstunde vereinbart. Bei diesen Konstellationen ist nach wie vor Vorsicht geboten, wie ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.10.2021 (Az.: B 12 R 1/21 R) zeigt. Das BSG hatte zu beurteilen ob eine Sozialversicherungspflicht oder selbständige Tätigkeit vorlag?
Der Fall zur Sozialversicherungspflicht
Inhaltlich ging es um eine ärztliche (gastroenterologische) Gemeinschaftspraxis, in der eine externe Ärztin, die eigentlich als Oberärztin in einem Krankenhaus angestellt tätig war, Vertretungstätigkeiten ausübte. So übernahm sie nach Absprache im Einzelfall die Vertretung eines Arztes der Gemeinschaftspraxis wegen Urlaubs oder Krankheit. Sie führte u.a. endoskopische Untersuchungen durch, schrieb Befundberichte und gab Therapieempfehlungen. Sie erhielt eine Vergütung je Einsatzstunde in Höhe von € 180.00.
Die deutsche Rentenversicherung stufte die Vertretungstätigkeit der Oberärztin als abhängiges Beschäftigungsverhältnis ein. In der Folge bestand eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Die Gemeinschaftspraxis sah sich also finanziellen Nachteilen aufgrund der Sozialversicherungspflicht ausgesetzt.
Die Entscheidung des Bundessozialgerichts
Das BSG bestätigte die Ansicht der deutschen Rentenversicherung und urteilte, dass die Oberärztin ihre Vertretungstätigkeiten im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausübte.
Die Ärztin sei insbesondere hinsichtlich der Zuweisung bestimmter Patienten weisungsgebunden. Aufgrund des arbeitsteiligen Zusammenwirkens mit dem Praxispersonal und der kostenfreien Nutzung von Einrichtungen und Mitteln der Gemeinschaftspraxis sei sie in deren Arbeitsabläufe eingegliedert.
Das ausschließliche Tätigwerden in einer Vertretungssituation ändere daran nichts. Der Eingliederung in einen fremden „Arztbetrieb“ könne es zwar entgegenstehen, wenn ein Arztvertreter für die Dauer seiner Tätigkeit die Stelle des Praxisinhabers einnehme und zeitweilig selbst dessen Arbeitgeberfunktionen erfülle. Das sei hier aber nicht der Fall gewesen.
Die Oberärztin habe lediglich die ärztlichen Leistungen vertretungsweise erbracht und keine Vertretung in der Rechtsstellung der Mitglieder der Gemeinschaftspraxis geleistet.
Praxistipp zur Vermeidung der Sozialversicherungspflicht
Jede Praxis, die Vertretungsverträge schließt, sollte sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen im Klaren sein. Verträge ohne medizinrechtlich-anwaltliche Begleitung im Sinne einer vermeintlich schnellen und einfachen Lösung können Praxisinhabern schnell teuer zu stehen kommen, wie der Fall zeigt. Wie Sie Problemen vorbeugen, erfahren Sie hier.