2. April 2012

Am 25. Januar 2012 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs einen beachtenswerten Beschluss gefasst und einen Arzt wegen (Abrechnungs)Betrug in 128 Fällen verurteilt (BGH, Beschluss vom 25. 1. 2012 – 1 StR 45/11).

Der betroffene Arzt war zuvor von der Vorinstanz, dem Landgericht München  wegen Abrechnungsbetruges in 129 Fällen (jeweils in einer unterschiedlichen Anzahl tateinheitlich begangener Einzeltaten, insgesamt 2. 339) zu drei Jahren und drei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Zugleich wurde ihm verboten, für die Dauer von drei Jahren als liquidationsberechtigter Arzt oder als angestellter Arzt mit eigenem Abrechnungsrecht tätig zu werden.

Der Grund: Abrechnung von Leistungen, die nicht von dem abrechnenden Arzt persönlich erbracht worden waren.

Der betroffene Arzt  betrieb als Arzt für Allgemeinmedizin eine mit der Erbringung von Naturheilverfahren, Homöopathie- und Osteopathieleistungen sowie Traditioneller Chinesischer Medizin beworbene Praxis, in der er grundsätzlich Privatpatienten behandelte; eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung hatte er nicht.

Ferner hat der angeklagte Arzt, der Mitglied einer Laborgemeinschaft war, von dieser Laborleistungen der Klasse M II bezogen, welche er gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) selbst abrechnen konnte, wobei hierfür gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 GOÄ ein Standard-Steigerungsfaktor von 1, 15 vorgesehen ist. Mit dem Hinweis auf eine „sehr umfangreiche und zeitintensive Leistung aufgrund persönlicher Befundung“ ließ der Angeklagte demgegenüber Laborleistungen der Klasse M II mit dem Höchst-Steigerungsfaktor (§ 5 Abs. 4 Satz 1 GOÄ) von 1, 3 abrechnen. Der Angeklagte wusste jedoch, dass er keine einzige Befundung im Bereich M II selbst je durchgeführt hatte, sondern sämtliche Parameter bei der Laborgemeinschaft bezogen hatte. Die Patienten irrten entsprechend und bezahlten die um die Differenz zwischen dem 1, 15- und dem 1, 3-fachen „überhöhten Beträge“.

Das Urteil ist insbesondere deshalb interessant, weil der BGH klar Stellung dazu genommen hat, wie ein Arzt Laborkosten abzurechnen hat:

Der betroffene Arzt hatte nämlich von einer Laborgemeinschaft bezogenen Untersuchungen der Klasse M II als angeblich im eigenen Labor erbrachte Leistungen der Klasse M I abgerechnet. Hierbei hatte er außerdem teilweise den unzutreffenden Höchststeigerungsfaktor von 1, 3 in Ansatz gebracht.

Hätten die Patienten gewusst, dass es sich in Wirklichkeit um niedriger bewertete M II Leistungen gehandelt hat, hätten sie natürlich lediglich den Preis für M II Leistungen bezahlt.

Vor allem wurde dem Arzt aber zum Verhängnis, dass er nicht persönlich erbrachte Leistungen abgerechnet hat.

Laborleistungen der Klassen M III und M IV (Speziallaborleistungen) konnte der Angeklagte nur von einem hierzu befähigten und einzig gegenüber dem Patienten liquidationsberechtigten Laborarzt (Speziallabor) erbringen lassen. Um dennoch Gewinne aus der Erbringung von Speziallaborleistungen zu erzielen, profitierte der Angeklagte von einer Rahmenvereinbarung mit einer Laborgruppe.

Die Zusammenarbeit zwischen Arzt und der Laborgruppe gestaltetet sich so, dass der Arzt, wenn er Untersuchungen der Klassen M III oder M IV benötigte, die dafür erforderlichen Proben an die Laborgruppen versandte, wo die Proben seinen Wünschen entsprechend fachlich und medizinisch korrekt untersucht wurden

Die erbrachten Leistungen des Laborarztes wurden von diesem jedoch nicht gegenüber dem Patienten geltend gemacht, sondern dem Arzt wurden die Laborleistungen vom Labor zu einem niedrigen, der Höhe nach vom Gesamtbeauftragungsumfang abhängigen Betrag in Rechnung gestellt. Der Arzt zahlte je nach Fall zwischen 0, 32 und 1, 0 des für die Leistung maßgeblichen jeweiligen GOÄ-Satzes an das Labor. Der Arzt rechnete sodann gegenüber Privatpatienten die durchgeführten Untersuchungen als eigene ab, regelmäßig unter Geltendmachung des Standard-Erhöhungsfaktors nach § 5 Abs. 4 GOÄ, d. h. mit einem Faktor von 1, 15.

Im Prozess wurde die Behauptung aufgestellt, dass die Laborgruppe seit vielen Jahren vielen tausend Ärzten im Bundesgebiet die Zusammenarbeit auf Basis solcher Rahmenverträge angeboten hat. Es bleibt zu hoffen, dass diese vielen Ärzte, die Rahmenvereinbarung nicht in gleicher Weise wie der hier betroffene Arzt genutzt haben. Wenn doch, dürften viele Ärzte akuten Handlungsbedarf haben. Denn dieses Urteil zeigt, dass sie nicht nur eine Verurteilung und eine Haftstrafe riskieren, sondern auch der Approbationsentzug droht.

Den der BGH stellt in seiner Entscheidung klar, dass es unerheblich ist, dass in allen der Verurteilung zugrunde liegenden Fällen die Laborleistungen „tatsächlich benötigt“ und wurden „fachlich und medizinisch korrekt“ erbracht worden sind.

Entscheidend für das Gericht war allein der Umstand, dass der angeklagte Arzt zur eigenen Liquidation dieser Laborleistungen nicht berechtigt war.

Erschwerend kam hinzu, dass der hier angeklagte Arzt, in Absprache mit sechs seiner Patienten Rechnungen, die angeblich erbrachte und erstattungsfähige Leistungen auswiesen, erstellen lassen hat, obwohl er keine Leistungen oder nicht erstattungsfähige Leistungen erbracht hat (Lieferung nicht erstattungsfähiger Medikamente bzw. Injektionen; Behandlung einer nicht privat versicherten Tochter einer privatversicherten Patientin; fingierte Hausbesuche zur „Ersparung“ eines Selbstbehalts; fingierte Leistungen zur hälftigen Teilung des Erstattungsbetrags mit dem Patienten). Die Patienten reichten diese Rechnungen bei ihren jeweiligen Versicherungen, in einem Fall zusätzlich bei einer Beihilfestelle ein und erhielten so die in Rechnung gestellten Kosten des Angeklagten erstattet.

Ferner ließ der Arzt Behandlungen als eigene abrechnen, die in seinen Praxisräumen tätige Therapeuten (ein Osteopath und ein aus China stammender Arzt für Traditionelle Chinesische Medizin) erbrachten, die im Tatzeitraum weder approbiert noch niedergelassen waren und daher keine Berechtigung hatten, selbständig Leistungen an Patienten zu erbringen und abzurechnen. Tatsächlich erbrachten diese an Patienten des Angeklagten in eigener Verantwortung, ohne Aufsicht oder Kontrolle durch den Angeklagten osteopathische Leistungen und Akupunkturleistungen. Der Angeklagte führte jeweils ein „Eingangsgespräch“ und ein „Abschlussgespräch“ mit den Patienten, er hatte aber nicht die fachlichen Kenntnisse, die Tätigkeit der Therapeuten zu überwachen.

Diese erhielten von dem angeklagten Arzt zwischen 40 und 55 € für jede Behandlung und ließ diese („eingekauften“) Leistungen den Patienten sodann als selbst erbrachte ärztliche Leistung in Rechnung stellen: Leistungen des Osteopathen wurden meist mit 125, 60 € berechnet, Leistungen des Akupunkteurs mit 71,17 € oder 83,76 €.

Hauptkritikpunkt des Gerichts war es, dass der angeklagte Arzt selbst keine Leistung erbracht hat, diese jedoch selbst abgerechnet hat. Im Verfahren hatte der Arzt versucht, sich damit zu rechtfertigen, dass ihm die Forderungen durch das Labor abgetreten worden seien und er mithin lediglich das Factoring für das Labor übernommen habe. Der BGH wies jedoch zu Recht darauf hin, dass eine solche Abtretung, so es diese überhaupt gegeben hat, mangels ausdrücklicher Einwilligung des Patienten nichtig sei. In Wahrheit hat es sich nach Auffassung des Gerichts um eine gegen Art. 31 Musterberufsordnung für Ärzte (Verbot der Zuweisung gegen Entgelt) verstoßende Zuwendung gehandelt.

Der BGH hat damit einmal mehr klargestellt: Wenn ein Arzt nicht selbst erbrachte ärztliche Leistungen als eigene hat abrechnet, behauptete er nicht lediglich, zu deren Abrechnung berechtigt zu sein, sondern auch (zumindest konkludent), dass die Voraussetzungen der der Abrechnung zugrundeliegenden Rechtsvorschriften eingehalten worden seien.

Insofern überträgt der BGH die gefestigte Rechtsprechung zum Abrechnungsbetrug bei Vertragsärzten (vgl. BGH, Urteil vom 1. September 1993 – 2 StR 258/93; BGH, Urteil vom 10. März 1993 – 3 StR 461/92; BGH, Urteil vom 21. Mai 1992 – 4 StR 577/91; BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 – 4 StR 420/91), auch auf privatliquidierende Ärzte.

Das Gericht verweist ausdrücklich auf die mit der 4. Änderungsverordnung zur GOÄ vom 18. Dezember 1995 (BGBl. I, 1861) eingeführten Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 2 GOÄ. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass Ärzte Laborleistungen von darauf spezialisierten (und entsprechend preisgünstiger arbeitenden) Laborärzten beziehen und aus der Differenz zwischen dem Preis der „eingekauften“ Laborleistungen und den dafür nach GOÄ in Rechnung gestellten Gebühren erhebliche Gewinne erzielen. Um der damit verbundenen Ausweitung medizinisch nicht indizierter Laborleistungen entgegen zu wirken, sollte dem Arzt jeglicher finanzieller Anreiz im Zusammenhang mit nicht selbst erbrachten Speziallaborleistungen genommen sein.

Der angeklagte Arzt hatte übrigens noch versucht, sich damit zu rechtfertigen. dass er sein „Abrechnungsverhalten überwiegend als legal angesehen“ habe. Dies glaubte ihm das Gericht jedoch nicht. Das Gericht verweist zudem darauf, dass derjenige, der weiß, dass er sich auf Kosten eines anderen durch Vortäuschen eines in Wahrheit nicht gegebenen Zahlungsanspruchs bereichert, weiß oder zumindest billigend in Kauf nimmt, dass er trotz erbrachter Leistungen keinerlei Zahlungsanspruch hat, der Zahlende also rechtsgrundlos leistet und dadurch in Höhe des Gezahlten geschädigt ist.

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