26. März 2015

Neben Honorarrückforderungen und Gewerbesteuerpflichtigkeit drohen „unechten Gemeinschaftspraxen“ jetzt auch sozialversicherungsrechtliche Nachzahlungen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 12. Dezember 2014 (L 4 R 1333/13) eine Entscheidung getroffen, die für Berufsausübungsgemeinschaften von weitreichender Bedeutung ist. Berufsausübungsgemeinschaften, die Senior- und Juniorpartner als Gesellschafter haben, sollten ihre Gesellschaftsverträge überprüfen, ob diese den neuen weitergehenden Anforderungen genügen. Ansonsten sind die Inhaber möglicherweise sozialversicherungpflichtig ohne es zu ahnen.

Der Fall:

In dem Streitfall ging es um eine nicht gleichberechtigte zahnärztliche Gemeinschaftspraxis zwischen einem sog. Senior- und einem Juniorpartner. Der Seniorpartner brachte seine Einzelpraxis einschließlich des gesamten Patientenstammes in die Gemeinschaftspraxis ein, wobei diese im Eigentum und Sonderbetriebsvermögen des Seniorpartners verblieben und der Praxis unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden. Darüber hinaus stellte der Seniorpartner den Juniorpartner im Innenverhältnis von allen Verbindlichkeiten und teilweise sogar von der persönlichen Haftung frei. Letztlich trug der Juniorpartner auch kein unternehmerisches Risiko, da er lediglich eine garantierte Vergütung in Höhe von 30 % des eigenen Umsatzes erhielt, aber keine echte Beteiligung am Gewinn- und Verlust der Praxis vorgesehen war.

Juniorpartner sozialversicherungspflichtig

Im Jahr 2011 führte die Rentenversicherung bei der Praxis eine Buchprüfung für den Zeitraum von 2007 bis 2010 durch. Dabei gelangte die Rentenversicherung zu der Einschätzung, dass es sich bei dem Juniorpartner nicht um einen Gesellschafter, sondern vielmehr um einen Arbeitnehmer der Zahnarztpraxis handelte. Daher war sie der Ansicht, dass der Juniorpartner der Versicherungspflicht unterliege und verlangte von Seniorpartner die Nachzahlung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für den Juniorpartner.

Die Entscheidung:

Das LSG bestätigte die Auffassung der Rentenversicherung und sah den Juniorpartner als versicherungspflichtigen abhängig Beschäftigten der Praxis an. Das LSG führte in seiner Entscheidung aus, dass es bei der Beurteilung, ob der Zahnarzt als Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert oder als Selbständiger in eigener Praxis tätig sei, auf das Gesamtbild ankomme.

Kein wesentliches ins Gewicht fallendes Unternehmerrisiko

Entscheidend für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung was nach Auffassung des LSG zunächst, dass der Juniorpartner kein echtes Unternehmerrisiko trug. Er war weder mit eigenem Kapital am Gesellschaftsvermögen beteiligt, noch trug er ein wirtschaftliches Risiko. Hinzu kam die garantierte Vergütung in Höhe von 30 % seines eigenen Umsatzes sowie das Fehlen einer Verlustbeteiligung.

Keine Gleichberechtigung in der Geschäftsführung

Die Funktion des Seniorpartners als desjenigen, der allein über die Gemeinschaftspraxis bestimmte, zeige sich nach Ansicht des LSG auch darin, dass der Juniorpartner aufgrund seiner Nichtbeteiligung am Gesellschaftskapital im Rahmen der Geschäftsführung nicht gleichberechtigt gewesen sei. Der Juniorpartner war nur alleine geschäftsführungs- und vertretungsberechtigt, sofern die Gemeinschaftspraxis im Einzelfall nicht mit einem höheren Betrag als € 2.000,00 verpflichtet und kein Dauerschuldverhältnis begründet wurde. Auch auf das Gemeinschaftskonto der Gemeinschaftspraxis hatte der Juniorpartner kein eigenes Zugriffsrecht, sondern nur gemeinsam mit dem Seniorpartner oder mit einem mit diesem zu bestimmenden Dritten, während der Seniorpartner alleine auf dieses Konto zugreifen konnte.

Fehlendes Delegationsrecht

Zudem musste der Juniorpartner seine Dienste höchstpersönlich erbringen und durfte nicht – wie typischerweise der Unternehmer – übernommene Aufträge delegieren. Die Verpflichtung, Dienste persönlich zu erbringen, sei ein wesentliches Merkmal abhängiger Tätigkeit, so das LSG. Anders verhielt es sich nur im Falle einer ununterbrochenen Erkrankung über einen längeren Zeitraum als sechs Wochen. In diesem Fall konnte ein Vertreter eingestellt werden. Aber selbst dann hätte der Juniorpartner nicht allein für Ersatz sorgen dürfen, sondern es hätte einvernehmlich mit dem Seniorpartner ein Vertreter eingestellt werden sollen.

Risiko von Regressen, Degressionskürzungen oder Budgetkürzungen reicht nicht
Allein der Umstand, dass der Juniorpartner sich ggf. Regressansprüchen ausgesetzt sehe, reiche für die Annahme eines Unternehmerrisikos nicht aus, denn insoweit handele es sich um Ansprüche, die letztlich jeder Arbeitnehmer gewärtigen müsse, wenn ihm ein Fehler bei der Arbeit unterlaufe. Auch das Risiko von Degressionskürzungen und Budgetüberschreitungen sei ein Spezifikum, das jeden Arzt und Zahnarzt treffen könne. Darin könne ebenfalls kein Unternehmerrisiko gesehen werden. Das Risiko, nicht durchgehend Arbeiten zu können, weil nicht genügend Patienten da seien, sei ein Risiko, das auch jeden Arbeitnehmer treffe, der nur Zeitverträge bekomme oder auf Abruf arbeite. Zum echten Unternehmerrisiko werde das Wagnis, kein Entgelt zu erzielen deshalb regelmäßig erst, wenn bei Arbeitsmangel nicht nur kein Einkommen erzielt werde, sondern zusätzlich auch Kosten für betriebliche Investitionen und/oder Arbeitnehmer anfallen oder früher getätigte Investitionen brach liegen. Ein solches Unternehmerrisiko trug der Juniorpartner nach Auffassung des LSG jedoch nicht.

Allein eine geringe Beteiligung am Goodwill genügt nicht

Das LSG führt in seiner Entscheidung weiter aus, für eine selbstständige Tätigkeit des Juniorpartners und ein Unternehmerrisiko spreche auch nicht die Tatsache, dass er nach seinem Ausscheiden eine Abfindung erhalten sollte. Diese Abfindung resultiere aus den vom Juniorpartner für die Praxis rekurrierten Patienten, für die er entschädigt werden sollte. Es sei nicht so, dass er hierdurch einen Anteil an der ursprünglichen Praxis erhielte. Es handele sich vielmehr um den Zuwachs, den er selbst der Praxis erbracht hatte.

Fehlende Weisungsabhängigkeit in zahnärztlichen Fragen ist kennzeichnend für den Zahnarztberuf

Etwas anderes lasse sich auch nicht darauf stützen, dass er keinen Weisungen hinsichtlich seiner Tätigkeit unterlag. Dies sei kennzeichnend für seine Tätigkeit als Zahnarzt, so das LSG, und demnach kein Indiz für eine selbständige Tätigkeit in eigener Praxis. Weisungen seien bereits aufgrund der beruflichen Ausbildung des Juniorpartners nicht erforderlich gewesen.

Absicht einer zukünftigen Kapitalbeteiligung und gleichberechtigten Tätigkeit
Auch die vertraglich fixierte Absicht, den Juniorpartner mittelfristig am Kapital der Gesellschaft zu beteiligen und eine gleichberechtigte Tätigkeit herbeizuführen, ändert nach Ansicht des LSG nichts an der Annahme einer abhängigen Beschäftigung. Abzustellen sei nicht darauf, was beabsichtigt war und im Übrigen nie zu Stande gekommen sei, sondern allein auf das, was tatsächlich gelebt wurde.

Genehmigung der Gemeinschaftspraxis durch die KZV ist irrelevant
Letztlich sei die Genehmigung der Gemeinschaftspraxis durch die KZV für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht relevant, da das sozialversicherungsrechtliche Verhältnis in diesem Zusammenhang gar nicht geprüft werde.

Fazit:

Die Entscheidung des LSG zeigt erneut die Brisanz „unechter Gemeinschaftspraxen“.

Nachdem zunächst das Bundessozialgericht mit Urteil vom 23.06.2010 (Az.: B 6 KA 7/09) entschieden hatte, das an eine „unechte Gemeinschaftspraxis“ gezahlte Honorare für einen Zeitraum von 16 Quartalen zurückgefordert werden können, waren im Anschluss die Finanzgerichte auf die Problematik „unechter Gemeinschaftspraxen“ aufmerksam geworden. Das Finanzgericht Düsseldorf (Az.: 11 K 3968/11 F) vertrat die Auffassung, dass nicht am Gesellschaftsvermögen beteiligte Juniorpartner, die auch nicht am Gewinn und Verlust der Gesellschaft beteiligt sind, sondern lediglich eine prozentuale Beteiligung am eigenen Honorarumsatz erhalten, eine Gewerbesteuerpflichtigkeit der gesamten Praxis nach sich ziehen können. Jetzt kommen weitere sozialversicherungsrechtliche Risiken hinzu, wie das Urteil des LSG zeigt.

Daher gilt es Altverträge von Berufsausübungsgemeinschaften unter diesen neuen Gesichtspunkten zu überprüfen und ggf. an die Erfordernisse der Rechtsprechung anzupassen. Dies betrifft vor allem solche Praxen, in denen es Juniorpartner bzw. sogenannte nullbeteiligte Gesellschafter gibt. Von einer solchen Null-Beteiligung spricht man immer dann, wenn Personen Mitgesellschafter in einer Berufsausübungsgemeinschaft werden, ohne dabei am Gesellschaftskapital beteiligt zu sein. Die finanziellen Risiken sind in einem solchen Fall erheblich, wenn Gerichte – wie hier das LSG – zu der Auffassung gelangen, dass keine Berufsausübungsgemeinschaft besteht, sondern tatsächlich ein Anstellungsverhältnis vorliegt.

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