7. Dezember 2016

Eine für alle Ärzte beachtenswerte Entscheidung hat das Sozialgericht (SG) München in seinem Urteil vom 11.10.2016 (Az.: S 38 KA 16 11/24) getroffen. Die 38. Kammer des Gerichts musste über eine Plausibilitätsprüfung gemäß § 106a SGB V aufgrund der Überschreitung von Quartalszeitprofilen im Rahmen eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ), das aus einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) hervorgegangen war, entscheiden. Dabei äußerte sich das SG München in einer ausführlichen rechtlichen Begründung zu einigen Fragen, die sich juristisch eigentlich klar beurteilen lassen, allerdings in der Praxis der Plausibilitätsprüfungsverfahren immer wieder zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Ärzten streitig sind und nicht selten im Rahmen eines Vergleiches – nicht unbedingt zu Gunsten der Ärzte, die oft an schnellen Verfahrensbeendigungen interessiert sind – „beerdigt“ werden.

Die entscheidende Vorschrift des § 106a SGB V hat diesen Wortlaut:

(1) Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen prüfen die Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnungen in der vertragsärztlichen Versorgung.

(2) Die Kassenärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten. Gegenstand der arztbezogenen Plausibilitätsprüfung ist insbesondere der Umfang der je Tag abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand des Arztes; Vertragsärzte und angestellte Ärzte sind entsprechend des jeweiligen Versorgungsauftrages gleich zu behandeln. (…)

Wichtig sind folgende Feststellungen des SG München:

  • Aufgreifpunkt jeder Plausibilitätsprüfung ist zunächst das Gesamtquartalszeitprofil für das MVZ; das führt bei drei Ärzten, bei denen jeweils 780 Quartalsstunden zulässig sind, ein Gesamtwert von 2.340 Quartalsstunden. Im Verfahren schien dies zwischen dem MVZ und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) zunächst strittig gewesen sein, jedoch wird aus der Urteilsbegründung deutlich, dass die KVB zwischenzeitlich eingelenkt hat. Erst auf einer zweiten Stufe werden danach juristisch die Quartalszeitprofile der einzelnen Ärzte in den Blick genommen. Kassenärztliche Vereinigungen beginnen jedoch nicht selten unmittelbar auf der 2. Stufe mit einer arztbezogenen Prüfung (und Geltendmachung einer Honorarrückforderung), obwohl die BAG oder das MVZ insgesamt keine Überschreitung der Quartalszeitprofile aufweist.
  • Angestellte Ärzte mit dem Bedarfsfaktor 0,5 dürfen nicht schlechter behandelt werden als mit diesem Faktor zugelassene Vertragsärzte. Eine Differenzierung von 390 Quartalsstunden für Vertragsärzte und 260 Stunden für angestellte Ärzte ist nicht zulässig. Das Gericht begründet hier ausführlich und verfassungsrechtlich und stellt klar, dass anderslautende Äußerungen verschiedener Gerichte – auch des BSG – vor der Änderung des § 106a Abs. 2 SGB V ergingen und andere Rechtsfragen klären sollten. Diese gilt zwar erst seit dem 23.07.2015 mit Rückwirkung auf alle Verfahren, die am 31.12.2014 noch nicht rechtskräftig waren, jedoch könne man auch sonst über einen Verstoß gegen Art. 3 GG hinsichtlich der Ungleichbehandlung von Vertrags- und angestellten Ärzten annehmen.
  • Zudem macht das SG München – nicht ganz arztfreundlich, juristisch aber nicht unbedingt abzulehnen – deutlich, dass als Aufgreifkriterium bzgl. der Quartalszeiten auf die im EBM-hinterlegten Werte (sog. „EBM-harte Zeiten“) abzustellen ist. Jedoch erlangen die tatsächlichen, im EDV-System erfassten Zeiten im Rahmen der weiteren Prüfung Bedeutung (vgl. § 12 Abs. 3 der Richtlinien zu § 106a SGB V).

Mit der Rechtsprechung zum Gesamtquartalszeitprofil passt sich das SG München in die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) an. Dieses hatte bereits im Urteil vom 14.12.2011 (Az.: B 6 KA 31/10 R) im Rahmen des Vertretungsrechts festgestellt, dass eine Berufsausübungsgemeinschaft im Vertretungsfall als ein Arzt behandelt wird und keine Vertretungssituation bei „interner Vertretung“ vorliegt. Infolgedessen wurden seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen die Vertretungsregelungen geändert, jedoch gleichzeitig – wie dem Verfasser durch Anfragen an Kassenärztliche Vereinigungen bekannt ist – an der Berücksichtigung ausschließlich der Quartalszeitprofile der einzelnen Ärzte festgehalten. Dies wird insbesondere dann relevant, wenn z. B. ein Arzt mit einem halben Versorgungsauftrag innerhalb seiner BAG eine „unechte Urlaubsvertretung“ übernimmt. In die gleiche inhaltliche Richtung geht auch das BSG-Urteil vom 04.05.2016 (Az.: B 6 KA 13/15 R), nach dem Anstellungsgenehmigungen an die einzelne BAG, nicht an den einzelnen Arzt, zugewiesen werden.

Es ist zu hoffen, dass die betreffenden Kassenärztlichen Vereinigungen in Folge der Entscheidung ihre rechtswidriges Verwaltungspraxis ändern und weitere Ärzte so mutig sind, gegen dieses Verwaltungshandeln vorzugehen.

 

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