7. März 2018

In den letzten 20 Monaten gab es einige Urteile und Beschlüsse rund um Medizinische Versorgungszentren (MVZ), insbesondere hinsichtlich der Anstellung von Ärzten in MVZ und der Nachbesetzung ihrer Stellen nach ihrem Ausscheiden. Im Blick waren also vor allem bedarfsplanungsrechtliche Besonderheiten, die für Zahnärzte sowie Ärzte, deren Fachgruppe nicht der Bedarfsplanung unterliegen, nicht gelten. Dabei fällt auf, dass die Gerichte zum Teil die streitgegenständlichen Vorschriften nicht nur angewandt und ausgelegt haben. Darauf nämlich wäre ihre „Aufgabe“ beschränkt. Vielmehr ging das eine oder andere Gericht bei der Rechtsprechung über die Auslegung hinaus.

Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) bereits mit Urteil vom 04.05.2016 (Az. B 6 KA 21/15 R) die Bedingungen der Anstellung eines Arztes nach dessen Verzicht auf seine Zulassung aufstellte (Nachbesetzung später nur im ursprünglichen Umfang der Anstellung, Anstellung muss nach Verzicht mindestens drei Jahre andauern; nähere Ausführungen dazu finden Sie hier: https://medizinrecht-blog.de/mvz/bsg-nachbesetzung-einer-arztstelle/ ), haben nun auch andere Gerichte erhöhte, nicht aus dem Gesetz hervorgehende Anforderungen aufgestellt. Nachfolgend stellen wir ein paar Beispiele dafür dar:

BSG zur Nachbesetzung von ¼-Stellen innerhalb bestimmter Frist

Ebenso mit Urteil vom 04.05.2016 (Az. hier: B 6 KA 28/15 R) bestätigte das BSG die Auffassung eines Zulassungsausschusses, wonach auch für die Nachbesetzung einer Viertel-Stelle eine Frist von sechs Monaten einzuhalten sei. Der Zulassungsausschuss lehnte im zugrundeliegenden Fall den Antrag einer MVZ-Trägergesellschaft auf Erhöhung des Tätigkeitsumfangs eines angestellten Arztes um 10 Wochenstunden (bedarfsplanungsrechtlicher Faktor 0,25) ab. Die MVZ-Gesellschaft begründete ihren Antrag damit, dass sie noch einen seit längerem nicht nachbesetzten Stellenanteil in diesem Umfang „offen“ habe.

Die Rechtsprechung des hier entscheidenden 6. Senats lautete bis zu diesem Zeitpunkt dergestalt, dass die Frist von sechs Monaten zur Nachbesetzung der Stelle eines angestellten Arztes in einem MVZ nur für den Umfang von Beschäftigungsanteilen von mindestens einer halben Arztstelle gelte (BSG, Urteil vom 19.10.2011 – Az. B 6 KA 23/11 R). Um dem Zulassungsausschuss im hier zugrundeliegenden Fall nun Recht geben zu können, musste das Bundessozialgericht seine dahingehende Rechtsprechung ändern. Ab sofort soll diese sechsmonatige Frist also auch für die Nachbesetzung einer Stelle im Umfang eines Viertels (Bedarfsplanungsfaktor 0,25) gelten. Dabei ist die Frist mit rechtzeitiger Antragstellung gewahrt. Eine Ausnahme gilt für den Fall, in dem sich ein MVZ über ein halbes Jahr ernsthaft, dennoch ergebnislos um eine Nachbesetzung bemüht. Dann nämlich kann diese Frist um weitere sechs Monate verlängert werden. Dies gilt ebenso für Viertel-Stellen. Reicht auch diese Verlängerung nicht aus, um die offene Stelle zu besetzen, empfiehlt das BSG, sich rechtzeitig an den Zulassungsausschuss zu wenden, um ggf. auch später noch eine Vakanz wiederbesetzen zu können.

Begründet hat das BSG seine damit geänderte Rechtsauffassung damit, dass es nicht sein könne, dass größere MVZ Beschäftigungskontingente in einem nicht unerheblichen Umfang „bunkern“ könnten. Ob sich hieraus gewisse Ressentiments der Rechtsprechung gegenüber größeren MVZ ableiten lassen, bleibt abzuwarten.

BSG: Klarstellung bzgl. Umfang eines Zulassungsverzichts

Gründet ein Vertragsarzt ein Medizinisches Versorgungszentrum in der Rechtsform einer GmbH, kann dieser auf seine Zulassung zu Gunsten einer Anstellung in dem MVZ verzichten und behält trotz Verzichts seine Gründereigenschaft (§ 95 Abs. 6 Satz 4 SGB V). Wie verhält es sich, wenn dieser Vertragsarzt eine Zulassung für mehrere Fachgebiete hat, der erklärte Zulassungsverzicht sich aber nur auf eine dieser Fachgebiete bezieht? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Bundessozialgericht ebenfalls in 2016, mit Urteil vom 28.09.2016 entschied es hierüber (Az. B 6 KA 1/16 R).

Die Entscheidung des BSG fiel dergestalt aus, dass der Zulassungsverzicht eines Vertragsarztes nur einheitlich erfolgen könne, da die Zulassung ebenso einheitlich erteilt wurde und sich auf mehrere Fachgebiete bezog. Der Verzicht des Vertragsarztes auf die Zulassung erfolge daher vollständig, sofern er sich nicht auf einen hälftigen Versorgungsauftrag beschränkt. Hintergrund ist, dass eine erteilte Zulassung den Vertragsarzt zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung „in Vollzeit“ berechtige. Die Zulassung für ein weiteres Fachgebiet verändert die Zulassung nur in qualitativer, nicht jedoch in quantitativer Hinsicht. Mit der Zulassung für das weitere Fachgebiet kann der Vertragsarzt nämlich auch in diesem Fachgebiet Leistungen erbringen, nicht aber in doppeltem zeitlichen Umfang. Konsequenterweise war laut BSG also auch hinsichtlich des Verzichts derart zu entscheiden.

Im zugrundeliegenden Fall bedeutete das für den klagenden Vertragsarzt, dass dieser nach dem Verzicht auf seine Zulassung für Fachgebiet A zu Gunsten einer Anstellung in einem MVZ den Sitz für das Fachgebiet B nicht verwerten konnte. Einen solchen „Sitz B“ gab es nach dem Verzicht gerade nicht mehr.

SG Düsseldorf zu einer Anstellung neben einer vollen Zulassung

Ebenfalls am 28.09.2016 entschied das Sozialgericht (SG) Düsseldorf in einem Eilrechtsverfahren per Beschluss, dass die Anstellung eines auch als Vertragsarzt zugelassenen Arztes in einem MVZ nicht genehmigungsfähig ist (Az. S 2 KA 1445/16 ER). Beantragt hatte die MVZ-Trägergesellschaft die Genehmigung der Anstellung dieses Arztes in einem Umfang einer Halbtagsbeschäftigung (Bedarfsplanungsfaktor 0,5). Dieser Arzt war bereits Gesellschafter einer Berufsausübungsgemeinschaft und hatte als solcher eine volle Zulassung inne.

Zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung führte das Gericht aus, dass ein Arzt insgesamt nur mit einem (vollen) Vertragsarztsitz (Faktor 1,0) zugelassen/genehmigt werden könne. Daher komme neben einem vollen Versorgungsauftrag eine Anstellung dieses Arztes in einem MVZ nicht in Betracht. Das Gericht begründet seine Auffassung auch mit einem Hinweis auf § 95 Abs. 9b SGB V, der die Anstellungsgenehmigung und die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung – bezogen auf den Versorgungsumfang – ebenfalls nur alternativ, nicht aber kumulativ vorsehe.

Kritik an dem Beschluss des SG Düsseldorf

Diese Auffassung des SG Düsseldorf überzeugt nicht. Hierbei handelt es sich „nur“ um einen Beschluss in einem Eilrechtsverfahren; dieser ist zwar rechtskräftig, trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass ein Gericht einer höheren Instanz diese Frage einmal anders entscheidet. Gute Gründe gebe es dafür, denn der Beschluss des SG Düsseldorf steht nicht im Einklang mit § 20 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV i.V.m. dem Bundesmantelvertrag-Ärzte. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV steht ein Beschäftigungsverhältnis oder eine andere nicht ehrenamtliche Tätigkeit der Eignung für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit entgegen, wenn der Arzt unter Berücksichtigung der Dauer und zeitlichen Lage der anderweitigen Tätigkeit den Versicherten nicht in dem seinem Versorgungsauftrag entsprechenden Umfang persönlich zur Verfügung steht und insbesondere nicht in der Lage ist, Sprechstunden zu den in der vertragsärztlichen Versorgung üblichen Zeiten anzubieten.

Damit ist zunächst eines klar: grundsätzlich ist eine anderweitige Tätigkeit neben einer vollen Zulassung möglich. „Anderweitige Tätigkeit“ ist hier auch grundsätzlich nicht als „nicht-ärztliche Tätigkeit“ zu verstehen. Genau lässt sich dieser Norm jedoch nicht entnehmen, welcher zeitliche Umfang oder welche zeitliche Lage der anderweitigen Tätigkeit der Zulassung des Vertragsarztes entgegensteht. Jedenfalls zulassungsschädlich ist die andere Tätigkeit, wenn sie den Arzt daran hindert, „Sprechstunden im üblichen Umfang und zu den üblichen Zeiten“ anzubieten. Der Mindestumfang der anzubietenden Sprechstunden ergibt sich aus dem Bundesmantelvertrag. Danach sind bei vollem Versorgungsauftrag 20 Stunden in der Woche anzubieten (vgl. § 17 Abs. 1a Satz 1 BMV-Ä). Welche Lage dieser Zeiten genau üblich ist, ist normativ nicht genau festgelegt. Bei der Verteilung der Sprechstunden auf die Tage sind grundsätzlich die Besonderheiten der fachlichen Ausrichtung der Praxis sowie die Bedürfnisse der Versicherten (z.B. nach Abend- und Wochenendsprechstunden) zu berücksichtigen.

Inzwischen dürfte sich „eingebürgert“ haben, dass mittwochs und freitags nachmittags oftmals keine Sprechstunde angeboten wird. Was spräche also unter Berücksichtigung des § 20 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV sowie des Bundesmantelvertrages dagegen, an diesen beiden Nachmittagen einer anderen ärztlichen Tätigkeit nachzugehen? Die Antwortet lautet: nichts!

Betrachtet man die Argumente hinsichtlich der Bedarfsplanung, so scheint es auch übertrieben pedantisch-formalistisch, einzig auf den Anrechnungsfaktor abzustellen, da dieser die Realität zum Teil nicht wiederspiegelt. Dies zeigt sich an folgendem Beispiel: ein angestellter Arzt, der im Umfang von 30 Wochenstunden arbeitet, wird mit dem Faktor 0,5 genehmigt und geführt. Arbeitet er nur eine Stunde mehr, d.h. 31 Wochenstunden, wird er schon als ¾- oder Ganztagsstelle geführt. Rein praktisch gesehen macht es doch aber kaum einen Unterschied, ob man neben einer 30 Stunden-Stelle einer Nebenbeschäftigung nachgeht oder neben einer 31 Stunden-Stelle! Auch wenn es im zugrundeliegenden Fall um eine Anstellung neben einer vollen Zulassung geht, ist im Zusammenhang mit dem Bedarfsplanungsargument dieser Vergleich jedoch durchaus heranzuziehen. Zieht man wiederum den Mindestumfang von 20 Sprechstunden in der Woche heran, blieben dem Vertragsarzt neben den Sprechstunden weitere 10 Stunden, die er für Verwaltungstätigkeiten aufwenden könnte, womit er in Summe auf die vorgenannten 30 Stunden käme, die bei einem angestellten Arzt als Halbtagstätigkeit durchgingen.

Die zuvor aufgeführten Argumente belegen, dass der Beschluss des SG Düsseldorf nicht interessengerecht ist, insbesondere nicht für den Vertragsarzt, der sich nicht allein auf seinen Versorgungsauftrag in eigener Praxis beschränken, sondern darüber hinaus auch an anderer Stelle (z.B. an einer Universitätsklinik o.ä.) Patienten behandeln möchte. Immerhin greift das SG hiermit in die Berufsfreiheit des Vertragsarztes ein; ob dieser Eingriff gerechtfertigt ist, lässt sich durchaus bezweifeln.

Fazit: Medizinische Versorgungszentren

Diese drei vorgestellten gerichtlichen Entscheidungen zeigen, dass es schon erstaunlich ist, wie weit sich die Judikatur zum Teil über ihre eigentlichen „Aufgaben“ „hinwegsetzt“ und Vorschriften nicht nur auslegt, sondern ihnen eine Bedeutung zumisst, die so gar nicht dem Gesetz zu entnehmen ist. Vielmehr würde mit diesen „Auslegungen“ die Vorschriften entsprechend ergänzt. Die zuletzt dargelegte Entscheidung zeigt insbesondere, dass die Gerichte teilweise offenbar andere, ebenso zu berücksichtigende Regelungen außer Acht lassen und damit nicht unerheblich in die (Grund-)Rechte des Vertragsarztes eingreifen. In den nächsten Tagen werden wir Ihnen weitere gerichtliche Entscheidungen rund um MVZ in einem zweiten Teil vorstellen.

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