Mit einem aufsehenerregenden Urteil vom 19. Dezember 2024 (C-295/23) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) das sich aus der Bundesrechtsanwaltsordnung (vgl. § 59e BRAO a.F.) ergebende Fremdbesitzverbot für Rechtsanwaltskanzleien für unionsrechtskonform erklärt. In seiner Entscheidung hat der EuGH zwar einen Eingriff u. a. in die EU-Niederlassungsfreiheit der klagenden Rechtsanwaltsgesellschaft durch das Verbot bestätigt, diesen Eingriff allerdings als durch zwingende Gründe des Allgemeinwesens gerechtfertigt angesehen. Tragendes Argument des EuGH war hierbei die anwaltliche Unabhängigkeit, welche er als durch die zumindest mittelbare Einflussnahmemöglichkeit von externen Finanzinvestoren gefährdet ansah.
Bemerkenswert ist zunächst, dass der EuGH mit dieser Entscheidung von den Schlussanträgen des Generalanwalts abgewichen ist (was eher unüblich ist) und wesentliche Fragen (insbesondere die Frage, ob das deutsche Recht nach der BRAO dem Kohärenzgebot genügt) gänzlich unbeantwortet gelassen hat. Die Entscheidung als solche ist insofern keineswegs unumstritten. Sie gilt auch ausdrücklich nur für RechtsanwältInnen und nicht für andere freie Berufe, wie etwa PatentanwältInnen, WirtschaftsprüferInnen oder SteuerberaterInnen. Auf ÄrztInnen ist der EuGH in seiner Entscheidung erst gar nicht eingegangen.
Unabhängig von der Frage, wie man nun zu dieser EuGH-Entscheidung steht, versuchen inzwischen verschiedene Stimmen in der Literatur die tragenden Argumente der Entscheidung auch auf den Gesundheitssektor, konkret auf die Beteiligung von Finanzinvestoren an MVZ, zu übertragen. Dieser Vergleich hinkt jedoch.
RechtsanwältInnen sind keine ÄrztInnen!
Betrachtet man zunächst die für ÄrztInnen und RechtsanwältInnen unterschiedliche Regulatorik, fällt auf, dass es gerade im Bereich der MVZ-Gründung zahlreiche Regelungen, gibt, welche die ärztliche Entscheidungsfreiheit sicherstellen. Die herausgehobene Stellung des ärztlichen Leiters, der gem. § 95 Abs. 1 Satz 3 SGB V im MVZ selbst als angestellter Arzt oder als Vertragsarzt tätig sein muss und in medizinischen Fragen per Gesetz weisungsfrei ist, ist nur eine hiervon. Angesichts des medizinischen Fortschritts, der mitunter erhebliche kapitalintensive Investitionen erfordert, ist die seit Jahrzehnten bestehende Möglichkeit auch im Sinne einer zeitgemäßen und innovativen Patientenversorgung sinnvoll. Natürlich ließe sich jetzt argumentieren, dass auch die Anwaltskanzleien Kapital für Investitionen, etwa im Bereich von Legal Tech oder der Aufrüstung mit KI, gebrauchen können, um in Zukunft am Markt bestehen zu können. Allerdings wird hierbei außer Acht gelassen, dass die apparativ-technischen Mittel und Werkzeuge, die der Arztberufe etwa im Bereich der Diagnostik und Operation am Menschen verlangt, schon per se um ein Vielfaches höher sein dürften als die Mittel eines Juristen, der als Geisteswissenschaftler im Wesentlichen mit dem Gesetz und seinem Humankapital arbeitet.
Eine weitere Besonderheit des Anwaltsberufs ist sein Verhältnis im und zum Staat. Als sog. „unabhängiges Organ der Rechtspflege“ darf ein Anwalt beispielsweise nicht zugleich Rechtsanwalt und Richter oder verbeamteter Rechtsprofessor sein. Der Staat ist aber andererseits aufgrund der Verfassung verpflichtet ein funktionsfähiges Gesundheitssystem zu schaffen und Leben und Gesundheit seiner BürgerInnen zu schützen. In seiner bekannten Nikolaus-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht hierzu bereits ausgeführt: „Der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Grundaufgabe des Staates. Ihr ist der Gesetzgeber nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung, Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat.“ Das Gesundheitswesen und insbesondere die Rechte und Pflichten der Ärzteschaft sind deshalb besonders reglementiert.
MandantInnen sind keine PatientInnen!
Auch die jeweils zu schützenden Rechtsgüter sind wesentlich verschieden. Während es bei den rechtssuchenden MandantInnen (das Strafrecht einmal ausgenommen) im Wesentlichen um finanzielle Interessen, d. h. im Kern um das Rechtsgut Vermögen geht, steht bei den PatientInnen die Gesundheit und der Schutz des Lebens im Zentrum. Auch wenn in beiden Fällen eine gewisse Informationsasymmetrie zwischen MandantIn (als juristischem Laien) und PatientIn (als medizinischem Laien) und Anwalt/Anwältin (als RechtsexpertIn) und Arzt/Ärztin (als GesundheitsexpertIn) besteht, ist doch das jeweils zu schützende Vertrauen mit Blick auf die unterschiedliche Gewichtung der in Rede stehenden Rechtsgüter Rechtspflege versus Volksgesundheit grundlegend verschieden. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es im deutschen Recht eine über Jahrzehnte sehr ausgefeilte Rechtsprechung zur Arzthaftung gibt, während die Anwaltshaftung keineswegs derart im Fokus der Rechtsprechung steht.
Wesentliche Unterschiede zwischen MandantInnen und PatientInnen ergeben sich auch aus den dem jeweiligen Abrechnungssystem zugrunde liegenden vertraglichen Beziehungen. Die Tatsache, dass rund 90% der deutschen Bevölkerung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert sind, führt zu einem Blick in das deutsche Sozialrecht, welches sich als Teil des Öffentlichen Rechts in vielen Punkten wesentlich vom deutschen Zivilrecht unterscheidet. Im Sozialversicherungsrecht, zu dem das Krankenversicherungsrecht (SGB V) zählt, gilt das sog. „Sozialversicherungsrechtliche Leistungsdreieck“. In diesem Verhältnis erbringt der Leistungserbringer (BehandlerIn) die Leistung (Krankenbehandlung) am Leistungsempfänger (PatientIn) für den Leistungsträger (GKV). Die Abrechnung erfolgt über das Dreieck, bzw. im ambulanten Bereich unter Dazwischenschaltung der KVen und KZVen über das Viereck. Im Rechtsberatungssektor hingegen gibt es kein passendes Gegenstück zu dieser besonderen Dreiecks- bzw. Vierecks-Konstellation. Die Vergütungssysteme und die Leistungsabwicklung im Gesundheitswesen unterscheiden sich mithin wesentlich von denen der RechtsanwältInnen.
Fazit: Keine neue Grundlage für Verbote von Finanzinvestoren im MVZ-Sektor
Das Urteil des EuGH zur Rechtsanwaltschaft kann nicht einfach als Blaupause für neue Forderungen nach einem Verbot von Finanzinvestoren im Bereich der MVZ herangezogen werden. Wie dargelegt, gibt es nicht nur rechtliche, sondern auch strukturelle Besonderheiten in den beiden Sektoren, die wesentlich sind und eine Gleichbehandlung verbieten. An dieser Stelle muss man aber auch ganz grundlegend sagen, dass die Gefahr der Kommerzialisierung des Arztberufes kein Alleinstellungsmerkmal der Finanzinvestoren ist, sondern – und das zeigen etwa die im Jahr 2016 (!) in Kraft getretenen Anti-Korruptionsvorschriften der §§ 299a und 299b StGB sehr eindrücklich – ein allgemeines Problem der Heilberufe im deutschen Gesundheitssystem.
Ex-BGH-Richter Thomas Fischer sprach in seiner bekanntermaßen sehr polemischen Kolumne „Fischer im Recht“ unter dem Titel „Nieder mit der Ärzte-Korruption!“ gar von einem „System unserer Krankheitsindustrie“ und dessen immanenter Doppelstruktur aus sozialistischer Nachfrage und kapitalistischer Angebotsseite.