22. August 2016

Dass ein arbeitsrechtlicher Rechtsstreit, zumindest faktisch, nicht nur drei Instanzen umfassen kann, zeigt das Klageverfahren eines Chefarzt gegen seine Arbeitgeberin, eine katholische Krankenhausträgerin, auf. Nach vollem Instanzenzug und einem Schlenker zum Bundesverfassungsgericht ist nun der Europäische Gerichtshof gefordert.

Der Sachverhalt:

Der Rechtsstreit zieht sich mittlerweile seit sieben Jahren hin. Der klagende Chefarzt hatte sich im Jahr 2005 von seiner Ehefrau getrennt, mit der er sowohl zivilrechtlich als auch kirchlich die Ehe geschlossen hatte. Anfang 2008 erfolgte die Scheidung. Zudem wurde ein kirchliches Ehenichtigkeitsverfahren eröffnet. Im August 2008 schloss der Kläger mit seiner Lebensgefährtin, mit der er bereits seit 2006 außerehelich zusammengelebt hatte, zivilrechtlich die Ehe. Spätestens im November 2008 erfuhr dies die katholische Krankenhausträgerin. Nach Erörterungen und Beratungen kündigte die Krankenhausträgerin dem Chefarzt zum 30.September 2009. Daraufhin erhob der Kläger Kündigungsschutzklage.

In dem nun folgenden arbeitsgerichtlichen Verfahren spielen zahlreiche Rechtsnormen des weltlichen und des kirchlichen Rechts sowie theologische Lehrmeinungen ineinander, was die Beurteilung des Falles erheblich verkompliziert.

Ausgangspunkt ist, dass die Katholische Kirche eine sakramentale Ehe für unauflöslich hält und eine zivile Wiederverheiratung nach der Scheidung bei fortbestehendem kirchlichen Eheband als dem Gesetze Gottes widersprechend bewertet (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1644, 1650). Diese Lehre der Codex Iuris Canonici (CIC), das Gesetzbuch der Weltkirche, auf, wenn er in c. 1085 § 1 CIC regelt, dass derjenige eine ungültige Ehe schließt, der durch das Band einer früheren Ehe gebunden ist. Auf Ebene des kirchlichen Arbeitsrechtes wird dies in der Grundordnung des kirchlichen Dienstes (GrO) gespiegelt.

In der zum damaligen Zeitpunkt gültigen GrO vom 22. Januar 1993 [GrO (1993)] regelte § 4 Abs. 1 GrO, dass katholische Mitarbeiter die Grundsätze der katechetischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten; leitende katholischen Mitarbeiter, zu denen auch Abteilungsärzte, also Chefärzte gehören, darüber hinaus ein entsprechendes Lebenszeugnis ablegen.

Sollten diese Anforderungen nicht mehr erfüllt sein, griff in der GrO (1993) ein differenziertes Sanktionssystem. Nach einer Beratung, um diesen Mangel zu beseitigen, kommt als letzte Maßnahme eine Kündigung in Betracht. [Art. 5 Abs. 1 GrO (1993)]. Explizit war nach Art. 5 Abs. 2 GrO (1993). der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe ein sogenannter schwerwiegender Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen konnte. Eine Weiterbeschäftigung war insbesondere bei leitenden Mitarbeitern gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GrO (1993) nicht möglich.

Lediglich aus schwerwiegenden Gründen des Einzelfalls konnte ausnahmsweise von der Kündigung abgesehen werden [Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO (1993)]. Im Fall des Abschlusses einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe schied eine Weiterbeschäftigung jedenfalls dann aus, wenn sie unter öffentliches Ärgernis erregenden oder die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigenden Umständen geschlossen wird [Art. 5 Abs. 5 GrO (1993)]. Diese Grundordnung war auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Zudem war im Dienstvertrag geregelt, dass  „Leben in kirchlich ungültiger Ehe oder eheähnlicher Gemeinschaft“ ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sei.

Der Chefarzt argumentierte folgendermaßen: Zum einen sei er weder leitender Mitarbeiter noch Träger der kirchlichen Verkündigung. Zudem verstieße die Kündigung gegen den Gleichheitsgrundsatz, da andere geschiedene und wiederverheiratete Chefärzte, weiterbeschäftigt oder eingestellt worden seien. Er habe sich zudem nie kirchenfeindlich verhalten, da seine Trennung nicht öffentlich gewesen und kein Ärgernis bei der Belegschaft erregt habe.

Anders die katholische Krankenhausträgerin: Durch den Abschluss der ungültigen Ehe habe der Chefarzt in erheblicher Weise Pflichten aus seinem Arbeitsverhältnis verletzt. Er sei im Übrigen auch leitender Mitarbeiter der Grundordnung. Die vom Kläger herangezogenen Chefärzte arbeiteten nicht in von ihr getragenen Krankenhäusern, seien nicht katholisch oder der Sachverhalt sei nicht vergleichbar gewesen. Einen vergleichbaren Sachverhalt habe es nur in den 80er-Jahren, vor Erlass der GrO, gegeben.

Die erste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts: Kündigung unwirksam

Nach dem Arbeits- und Landesarbeitsgericht hatte in dritter Instanz das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden (Urt. v. 08.09.2011, Az.: 2 AZR 543/10).

Zusammengefasst machte das BAG folgende Feststellungen zum kirchlichen Arbeitsrecht:

  • Ein Chefarzt sei leitender Mitarbeiter im Sinne der GrO.
  • Der Chefarzt habe sich in Widerspruch zu den Loyalitätserwartungen gesetzt und gegen die Loyalitätsobliegenheit verstoßen.
  • Zwar stehe ihm das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), sowie der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG hinsichtlich der Eingehung der zweiten Zivilehe zu. Dies sei jedoch mit dem Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht der Kirche abzuwägen. Die Reichweite dieses Selbstbestimmungsrechtes werde dabei durch die Kirchen selbst festgelegt; daher könne es auch nicht nur die Kirche unmittelbar, sondern auch caritative Einrichtungen umfassen.
  • Auch wenn eine Benachteiligung des Chefarztes nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vorliege, sei diese hier gerechtfertigt. Nach dem im Europarecht gründenden § 9 Abs. 2 AGG berühre „das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion nicht das Recht der Religionsgemeinschaften und der ihnen zugeordneten Einrichtungen iSd. § 9 Abs. 1 AGG, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.“

Im Rahmen einer Gesamtabwägung gab das BAG dem Chefarzt gleichwohl Recht.

Dabei stellte es zunächst in seine Überlegungen ein, dass die Krankenhausträgerin auch nichtkatholische Chefärzte, also leitende nichtkatholische Mitarbeiter an die nicht diese Anforderungen gestellt wurden, sowie geschiedene und wiederverheiratete Chefärzte beschäftige, so dass die Befolgung der Glaubens- und Sittenlehre gleichsam keine conditio sine qua non gewesen sei. Zudem sei der Krankenhausträgerin auch vorher das – in gleicher Weise gegen den Arbeitsvertrag verstoßende – mehrjährige eheähnliche Zusammenleben des Chefarztes bekannt gewesen. Art 8, 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sprächen zudem dafür, dass der Chefarzt das Recht hätte, mit seiner Partnerin in einer zivilrechtlich geordneten Ehe zu leben. Schließlich habe er sich nie gegen die Glaubens- und Sittenlehre ausgesprochen, führe sogar ein katholisches Ehenichtigkeitsverfahren durch und genieße bei Kollegen und Mitarbeitern hohes Ansehen.

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde der Krankenhausträgerin

Gegen dieses BAG-Urteil hatte die Krankenhausträgerin Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht. Dieser Verfassungsbeschwerde wurde stattgegeben (Beschl. v. 22.10.2015, Az.: 2 BvR 661/12). Das BVerfG gewichtete jedoch die Argumente anders und warf dem BAG vor, es habe eine eigene Einschätzung zur Bedeutung der Loyalitätsobliegenheiten bezüglich der Tätigkeit des Klägers in seiner Abwägung vorgenommen, zu der es bei Berücksichtigung des kirchlichen Selbstverwaltungsrechtes nicht berechtigt sei. Daher wurde der Fall zur Entscheidung wieder an das BAG zurückverwiesen, damit dieses noch einmal die Abwägung von Verfassungsrechtspositionen in vom BVerfG ausgeführter Weise vornehme.

Die zweite Entscheidung des BAG

Das BAG überraschte jedoch die juristische Fachöffentlichkeit damit, den Fall nicht sofort zu entscheiden, sondern ein sogenanntes Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) einzuleiten [BAG, Beschl. v. 28.07.2016, Az.: 2 AZR 746/14 (A)].. Im Rahmen dieses Verfahrens soll der EuGH klären, „ob die Kirchen nach dem Unionsrecht [Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16); Anm. d. Verf.]  bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten unterscheiden dürfen zwischen Arbeitnehmern, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören.“ (BAG-Pressemitteilung Nr. 39/16).

Der Fall wird somit weiter spannend bleiben und – sofern es zu keiner Einigung der Beteiligten kommt – noch in mindestens zwei Runden gehen.

Die Reform der Grundordnung im Jahr 2015

Die maßgeblichen Streitpunkte dürften sich nach der GrO-Reform des Jahres 2015, die mittlerweile in allen katholischen Diözesen in Kraft getreten ist, mittlerweile weitgehend, wenn auch nicht vollständig erledigt haben. Nun ist eine Zivilehe nach zivilrechtlicher Scheidung bei bestehendem kirchlichen Eheband gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2c) GrO (2015) nur noch ein Kündigungsgrund, „wenn  diese  Handlung  nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder  im  beruflichen  Wirkungskreis  zu  erregen  und  die  Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen.“

Selbst dann kommt es jedoch nach § 5 Abs. 3 S. 1 GrO (2015) auf die Einzelfallumstände an. Einen in der Regel zwingenden Kündigungsgrund stellt es nunmehr nur noch für pastoral oder katechetisch tätige Dienstnehmer dar. Allerdings verlangt § 4 Abs. 1 S. 2 GrO (2015) bei leitenden Mitarbeitern „in der Regel“ immer noch das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre. Ob und inwieweit dies in der (gerichtlichen) Praxis jedoch noch eine justiziable Rolle spielt bleibt abzuwarten. Gerade vor diesen Änderungen erstaunt es jedoch, dass das Gerichtsverfahren zur alten GrO (1993) derartig heftig geführt wird.

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