10. März 2017

In letzter Zeit häuft sich bei uns die Frage zum Thema Mutterschutz, ob und in welchem Umfang angestellte schwangere Zahnärztinnen weiterhin ihren Beruf ausüben dürfen oder nicht. Allgemein wird die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber eine angestellte Zahnärztin sofort nach Bekanntgabe von ihrer Tätigkeit freizustellen hat. Es wird ein unbeschränktes Beschäftigungsverbot ausgesprochen. Grundlage sind die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes (MuSchuG), der Verordnung zum Schutz der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchuArbV) sowie einige spezielle Vorschriften zu speziellen Gefahrenbereichen, wie z.B. in der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) oder der Röntgenverordnung (RöV).

In Zeiten, in denen zunehmend Frauen den Zahnarztberuf ergreifen, dürfte dies nicht ganz unproblematisch werden. Nicht nur für Praxisinhaber und den Praxisbetrieb bedeutet es einen enormen Verlust, wenn eine in Vollzeit tätige angestellte Zahnärztin von heute auf morgen ausfällt. Auch für eine junge Zahnärztin selbst, deren Weiterbildungszeit sich durch einen schwangerschaftsbedingten Ausfall verlängert, bedeutet eine zwangsläufige Freistellung einen Einschnitt in die berufliche Entwicklung. Dies jedenfalls dann, wenn sie angestellt tätig sind und der Arbeitgeber von der Schwangerschaft Kenntnis erlangt (§ 5 Abs. 1 MuSchG). Für selbstständig tätige Zahnärztinnen in eigener Praxis gelten die Mutterschutzbestimmungen nicht. Der Grund liegt hier in der haftungsrechtlichen Situation aufgrund des Über-Unterordnungsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin. Im Gegensatz zu einer Arbeitnehmerin, die arbeitsvertraglich grundsätzlich gegenüber ihrem Arbeitgeber zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet ist, kann eine selbständig Zahnärztin grundsätzlich frei und selbstbestimmt entscheiden, ob und in welchem Umfang sie auch während der Schwangerschaft- und Stillzeit weiterhin beruflich tätig sein möchte.

Eine Initiative zweier Chirurginnen, die trotz Schwangerschaft weiter bei ihrem Arbeitgeber operieren wollten (http://www.opids.de/start.html), hat gezeigt, dass das Mutterschutzgesetz von 1952 in seiner Auslegung und Anwendung einer Überarbeitung bedarf. Die möglichen Gestaltungsmittel, die sich gleichwohl bereits aus der derzeit geltenden Fassung des MuSchG und insbesondere aus der MuSchuArbV ergeben, um die Arbeitsbedingungen für Zeiten der Schwangerschaft im Hinblick auf etwaige Risiken anzupassen, werden oftmals zu wenig ausgeschöpft.

Im Hinblick auf Zahnärztinnen dürfte das genauso gelten. Wie bei Chirurginnen, die aufgrund ihres Tätigkeitsprofils zwangsläufig mit Instrumenten und Körperflüssigkeiten am Patienten im OP arbeiten, arbeiten Zahnärztinnen im Wesentlichen am Behandlungsstuhl im direkten Patientenkontakt. Weder aus dem MuSchG noch aus der MuSchArbV ergibt sich jedoch die generelle Aussage, dass einer angestellten schwangeren Zahnärztin per se ein unverzügliches Beschäftigungsverbot auferlegt werden muss. Es lohnt sich daher, sich eingehender mit den Regelungen zu befassen und sich im Hinblick auf die individuelle Praxissituation sogar rechtlich beraten zu lassen. Dies jedenfalls dann, wenn ein generelles Beschäftigungsverbot weder im schutzwürdigen Interesse der Arbeitnehmerin noch im betrieblichen Interesse des Arbeitgebers liegt und es durchaus Aufgaben gibt, die auch eine schwangere Zahnärztin weiterhin erledigen kann.

Individuelle Gefährdungslage aufgrund ärztlichem Attest – § 3 Abs. 1 MuSchG

Richtig ist, dass gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG werdende Mütter nicht beschäftigt werden dürfen, soweit nach ärztlichem Zeugnis eine Gefährdung für Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung besteht. Hierbei handelt es sich um ein individuelles Beschäftigungsverbot, welches an die körperliche und gesundheitliche Konstitution der Schwangeren anknüpft und die von dem behandelnden Gynäkologen oder Betriebsarzt attestiert werden muss. Auch besteht ein Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs. 2 MuSchG für die letzten 6 Wochen vor dem voraussichtlichen, ärztlich attestierten Entbindungstermin, sofern sich die Schwangere nicht ausdrücklich zur weiteren Beschäftigung bereit erklärt. Darüber hinaus ist eine Beschäftigung in der Zeit von 8 Wochen nach der Entbindung zwingend ausgeschlossen gemäß § 6 Abs. 1 MuSchuG (bei Früh- oder Mehrlingsgeburten 12 Wochen nach der Entbindung).

Spezielle Gefährdungslage aufgrund spezieller Arbeitsbereiche  – § 4 MuSchG, §§ 1 und 3 MuSchArbV

Darüber hinaus ergeben sich aus § 4 MuSchG weitere Beschäftigungsverbote aus speziellen Gefährdungslagen. Werdende Mütter dürfen demnach grundsätzlich nicht mit schweren körperlichen Arbeiten beschäftigt werden oder mit Arbeiten, bei denen sie schädlichen Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen oder Strahlen, Staub, Gasen oder Dämpfen, Hitze, Kälte, Nässe, von Erschütterungen oder Lärm ausgesetzt sind. Tatsächlich ergeben sich hieraus in Verbindung mit den Regelungen aus der MuSchuArbV sowie der speziellen Regelungen wie z.B. der RöV oder StrlSchV eine ganze Reihe von Sachverhalte, aus denen sich im Ergebnis zwangsläufig eine Beschäftigungsbeschränkung oder gar ein Beschäftigungsverbot für die werdende Mutter ergibt.

Erfordernis der Einzelfallprüfung – Individuelle Gefährdungsbeurteilung

Ob im Einzelfall eine spezielle Gefährdungslage für eine angestellte Mitarbeiterin, also auch für eine angestellte Zahnärztin, vorliegt und es auf ein unverzügliches Beschäftigungsverbot zum Schutze der Schwangeren und ihr Ungeborenes hinauslaufen muss, bedarf in jedem Fall einer konkreten Einzelfallprüfung.

Beschäftigt ein Arbeitgeber Arbeitnehmerinnen im gebärfähigen Alter, muss er auch völlig unabhängig von einer Schwangerschaft bereits vorab eine generelle Gefährdungsbeurteilung von Arbeitsbereichen vornehmen. Dies ergibt sich aus dem gesetzlichen Erfordernis, dass ein Arbeitgeber seine schwangere oder stillende Arbeitnehmerin über mögliche Gefährdungslagen rechtzeitig unterrichten und entsprechende Maßnahme zur Beseitigung der Gefährdungslage für seine schwangere Angestellte unverzüglich vornehmen muss (§ 2 Abs. 1, §§ 1 und 3 MuSchArbV). Umsetzbar ist dies nur, wenn ein Arbeitgeber sich also bereits vor der Anstellung von Arbeitnehmerinnen im gebärfähigen Alter mit dem Thema Arbeitsschutz und insb. Mutterschutz gründlich beschäftigt.

Darüber hinaus muss der Arbeitgeber aber auch genauso eine individuelle Gefährdungsbeurteilung bei Vorliegen einer Schwangerschaft einer konkreten Arbeitnehmerin in einem konkreten Arbeitsumfeld vornehmen. Die individuelle Gefährdungsbeurteilung richtet sich dabei natürlich auch an den gesundheitlichen Voraussetzungen der Schwangeren aufgrund des ärztlichen Attestes. Von Bedeutung ist hierbei insbesondere die aktuelle gesundheitliche Konstitution und der aktuelle Impf- und Antikörperstatus der Schwangeren bezüglich bestimmter Infektionskrankheiten, die im Falle des Auftretens während der Schwangerschaft insbesondere bei dem Ungeborenen zu schweren gesundheitlichen Schäden führen könnten (Ringelröteln, Zytomegalie etc.).

Daneben spielt gerade in Gesundheitsfachberufen zusätzlich noch das konkrete Arbeits- und Tätigkeitsfeld eine Rolle. Hier geht es um die Frage, in welchem Maße der Kontakt mit ggf. infektiösen Patienten und/oder sonstigen gefährlichen Stoffen unausweichlich und auch schädlich ist und ob eine kurzzeitige Umgestaltung der Arbeitsbereiche lediglich für die Zeit der Schwangerschaft und Stillzeit möglich und dem Arbeitgeber zumutbar ist, so dass eine Gefährdung für Schwangere und Ungeborenes ausgeschlossen werden kann. Diese Fragestellung, die von den ganz individuellen Umständen des Einzelfalls abhängen, ist durchaus komplex und kann von Fall zu Fall völlig unterschiedlich beurteilt werden. Zum Einen muss man sich mit den möglichen Infektionskrankheiten selbst befassen und verstehen, welche Übertragungswege hier relevant und daher ggf. auszuschließen sind. Darüber hinaus muss man das Arbeitsumfeld auch im Übrigen beleuchten, in denen sich die Angestellten bewegen und anhand der einzelnen Vorschriften im MuSchArbV eruieren, ob und in welchem Umfang eine weitere Tätigkeit jeweils erfolgen kann.

Gerade in kleineren Praxisstrukturen sind Arbeitgeber, die aufgrund der gesetzlichen Vorgaben im Falle der Schwangerschaft ihrer Mitarbeiterin unverzüglich agieren müssen, auf diesen Fall nicht immer ausreichend vorbereitet. Unter Druck wird nach Bekanntgabe der Schwangerschaft schnell die Entscheidung getroffen, „auf Nummer sicher zu gehen“ und die Mitarbeiterin ab sofort von der Arbeit freizustellen. Diese Entscheidung wird vermutlich auch sehr oft von den zuständigen Aufsichtsbehörden gestützt, denen der Arbeitgeber die Schwangerschaft nach Bekanntgabe mitteilen muss (§ 5 Abs. 1 S. 3 MuSchG). Es verwundert daher nicht, dass somit die allgemeine Auffassung vertreten wird, dass schwangere Zahnärztinnen unverzüglich freizustellen sind. Wenn es jedoch Möglichkeiten gibt, dass Chirurginnen unter bestimmten Rahmenbedingungen auch während der Schwangerschaft mit dem Skalpell in der Hand weiter am OP-Tisch stehen können, weshalb sollte dies bei Zahnärztinnen per se gänzlich anders zu beurteilen sein? In Zeiten des eingangs angesprochenen stetig wachsenden Frauenanteils, erscheint eine pauschale generalisierende Lösung (Beschäftigungsverbot) nicht für jeden Einzelfall gleichsam praktikabel und wünschenswert.

Durchaus mag es Zahnarztpraxen geben, für die sich eine anderweitige zahnärztliche Tätigkeit, u.a. auch weg von Bohrer und Füllungsmaterial weder praktisch noch wirtschaftlich erschließen lässt. Auch lässt sich eine ggf. notwendige Umgestaltung von konkreten Arbeitsbereichen nicht in jeder Zahnarztpraxis verwirklichen, wenn die räumlichen Gegebenheiten dies nicht zulassen.
In anderen Zahnarztpraxen kann es jedoch aufgrund der räumlichen Gegebenheiten und der Möglichkeit, bestimmte Aufgabenbereich anders zu strukturieren und aufzuteilen, jedoch geradezu erstrebenswert sein, unter dem Aspekt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Weiterbeschäftigung auch während der Schwangerschaft selbst für Zahnärztinnen zu ermöglichen. Der Fall der beiden Chirurginnen zeigt jedenfalls, dass in Zusammenarbeit mit Arbeitgeber, Aufsichtsbehörde und Betriebsarzt ein Konzept unter Berücksichtigung der schutzwürdigenden Belange der Schwangeren und der des Arbeitgebers erstellt werden kann, in denen eine Weiterbeschäftigung während der Schwangerschaft auch bereits unter den derzeitigen Rahmenbedingungen der einschlägigen Schutzvorschriften zumutbar und möglich ist.

Tatsächlich hat der Gesetzgeber einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, dass unter anderem die Regelungen zu den Beschäftigungsverboten zugunsten von Schwangeren, die ihren beruflichen Werdegang weiterverfolgen wollen, verbessern sollte. Den Schwangeren sollte ein großzügigeres Mitspracherecht eingeräumt werden. Das Gesetz sollte zum 01.01.2017 in Kraft treten, dies ist bisher jedoch noch nicht geschehen. Wann mit der gesetzlichen Neuregelung gerechnet werden kann, ist aktuell nicht bekannt. Sobald dieses Gesetz jedoch in Kraft tritt, dürfte sich nochmal einiges tun.

Fazit

Der Frauenanteil im zahnärztlichen Bereich wächst. Um so wichtiger ist es, dass sich Arbeitgeber bereits vor der Anstellung von jungen Zahnärztinnen im gebärfähigen Alter mit dem Thema Mutterschutz auseinandersetzen und eine Gefährdungsbeurteilung für den Betrieb durchführen, aus dem sich schließlich ein Handlungskonzept für den Fall der Schwangerschaft erstellen lässt. Die gesetzlichen Regelungen, insbesondere das MuSchuG und die MuSchArbV, schreiben jedenfalls nicht ausdrücklich vor, dass schwangere Zahnärztinnen ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe ihrer Schwangerschaft grundsätzlich nicht mehr in einer Praxis weiter beschäftigt werden dürfen. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles, insbesondere auf die gesundheitliche Konstitution der Schwangeren und die Art der Weiterbeschäftigung an. Genauso bedeutend ist, ob das Arbeitsumfeld und der jeweilige Tätigkeitsbereich für einen begrenzten Zeitraum während der Schwangerschaft (und Stillzeit) zum Zwecke der Weiterbeschäftigung in zumutbarer Weise gefährdungsfrei umgestaltet werden kann. Getreu dem Motto „Wo ein Wille, da ein Weg“ dürfte es jedenfalls im Interesse so mancher Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber liegen, eine berufliche Benachteiligung von Schwangeren durch ein auferlegtes Beschäftigungsverbot wenn möglich zu vermeiden.

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